Die Wahrheit: Die Haare zu blau

Dead can dance: Sind Senioren jetzt die Zukunft der Clubkultur? Im Berliner Club Berghain stehen nur noch Alte und Greise in der Einlassschlange.

Lässt gern Rentner vorbei: Berghain-Türsteher Sven Marquardt Foto: dpa

Es wurde auch langsam Zeit. Die Clubszene reagiert auf den demografischen Wandel. In der Weltmetropole Berlin ist der berüchtigte Techno-Club Berghain der erste Laden, der von nun an regelmäßig dem älteren Party-Volk mit speziellen Ü-70-Veranstaltungen einheizen will.

Doch so einfach, wie Helene (76) und Gertrud (81) sich das Partymachen vorgestellt haben, ist die Sache nicht. Die Schlange vor dem Eingang ist lang, und nicht jeder, der einmal vorne angekommen ist, schafft es auch in den Club – das Berghain hat eine der härtesten Türen der Welt (Stahl).

Soeben wird eine große Gruppe Grauköpfe mit kaum sichtbarem Kopfschütteln abgewiesen. Gedemütigt und deprimiert trotten die vierzig Rentner aus Görlitz zurück zu ihrem Bus.

Scheitern am Herrenhandtäschchen

Woran es lag, dass sie nicht eingelassen wurden, wissen sie nicht. Sie können nur spekulieren. Lag es daran, dass nicht alle beigefarbene Kleidung trugen, sondern zum Teil vorwitzig graue? Haben die reichlich mitgeführten Herrenhandtäschchen den Ausschlag gegeben, wo doch jeder weiß, dass winzige Rucksäcke, wie sie ausnahmslos alle Seniorinnen der Gruppe trugen, von den Türstehern viel lieber gesehen werden? Sind einige der Damen zu sehr geschminkt oder sind Giselas Haare doch einen Tick zu blau? All das Raten hilft nichts, die Gruppe wird es wohl am Ostbahnhof im altershippen Restaurant der Galeria Kaufhof versuchen, bevor sie wieder in die von Kultur- und Baudenkmälern vollgestellte Provinz zurückmuss, ohne das berühmte ehemalige Heizkraftwerk von innen gesehen zu haben.

Allseits bekannt ist lediglich ein Kriterium beim Einlass ins Berghain: keine Pfleger! Ansonsten drückt Berghain-Türsteher Sven Marquardt – selbst fast schon 70 – bisweilen mal beide Augen zu, wenn auch eher die der Besucher.

„Einmal das Berghain sehen und sterben“, erklärt der mächtigste Mann Berlins, „das ist manchmal der letzte Wunsch, den die Leute haben und den wir gerne erfüllen. Die Erben setzen Opa vor der Tür ab, und ein paar Stunden später können sie hinten schon die Überreste mitnehmen.“

Gedemütigt und deprimiert trotten die vierzig Rentner aus Görlitz zurück zu ihrem Bus

Helene und Gertrud sind mittlerweile die nächsten in der Schlange. Gebieterisch baut sich Marquardt vor ihnen auf und begutachtet die beiden mit Kennerblick. Kurz zögert er, dann tritt er zur Seite und lässt die Damen passieren. Abermals bleiben die Gründe rätselhaft. War es die demonstrativ zur Schau gestellte Gleichgültigkeit der beiden, die zu sagen scheint: Im Ohrensessel vor dem Fernseher ist es auch ganz schön? War es Helenes Jack-Wolfskin-Regenjacke oder waren es Gertruds Nordic-Walking-Stöcke? Sven Marquardt schweigt zu solchen Fragen und schiebt die beiden vorsichtig hinein.

Endlich drinnen, geht es richtig zur Sache. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Unten auf der Tanzfläche legt DJ Palliation gerade „Die Amigos“ auf, in der Panoramabar laufen auf einer riesigen Leinwand Promi-Magazine in Dauerschleife. Kaffee Hag und Blasentee fließen in Strömen, in manch dunklen Ecke werden Kuchenorgien gefeiert, hier und da geht auch schon mal eine Weißweinschorle lieblich oder ein Eierlikör über den Tresen.

Doch Eierlikör ist nicht das Härteste im Angebot. Nootropika, Desmopressin, Betablocker – die clubeigenen Apotheker haben jegliches fürs Seniorenherz auf Lager. Und das Beste: Die Kasse zahlt alles.

Uringeruch in dunklen Ecken

Aufnahmen dieser Veranstaltungen gibt es bislang nicht. Bisher hat es noch keiner der Alten geschafft, seine Super8-Kamera ins Berghain zu schmuggeln. Es wäre wahrscheinlich auch sinnlos, denn drinnen ist es ohnehin zu dunkel – nicht der einzige Grund, weshalb sich Helene und Gertrud zum wiederholten Male verlaufen haben. „Es gibt zu viele dunkle Ecken, verwirrende Gänge, und manchmal riecht es auch nach Urin“, sagt Gertrud, und Helene fügt lachend hinzu: „Da hätten wir auch im Heim bleiben können.“

Irgendwann finden sie dennoch Anschluss. Ein kleines Männlein, das sich als Harald vorstellt, spricht sie an. Wie sich herausstellt, ist er Stammgast, seit es das Ü-70-Angebot gibt. „Ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen soll, wenn ich um halb vier aufwache“, erklärt er. „Der Arzt hat noch nicht offen, der Supermarkt, wo ich gerne zwischen den Regalen herumstehe, auch noch nicht.“

Dann erzählt er abgefahrene Geschichten von drei Tage dauernden Bridge-Turnieren, schier endlosen Mittagsschläfchen und wie ihm damals vor Stalingrad der Fuß abgefroren ist. „Was im Berghain geschieht“, raunt Harald, „bleibt im Berghain. Denn wenn ich wieder zu Hause bin, kann ich mich an nichts erinnern.“

„Jetzt zeige ich euch mal was, Mädels.“ Harald nimmt Helene und Gertrud an die Hand und verschwindet mit ihnen im Darkroom. Und schon keine Minute später hört man alle drei hemmungslos schnarchen.

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kari

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