Kommentar Überwachung & Kriminalität: Sichtbarkeit macht Angst

Sicherheit ist vor allem eins: ein gutes Gefühl. Und Überwachungsbilder stören dieses Gefühl – auch wenn ihr Nutzen unbestreitbar ist.

eine U-Bahn fährt in den Bahnhof Schönleinstraße ein

Im Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße wurde ein Obdachloser angezündet Foto: dpa

Bisher geht es in der Diskussion über mehr oder weniger Kameras im öffentlichen Raum vor allem um zwei Punkte. Kann Videoüberwachung Verbrechen verhindern oder aufklären? Doch was die Sichtbarkeit von Gewalt mit der Gesellschaft macht, wird meist übersehen. Der Verhinderungseffekt ist zumindest zweifelhaft. Wer Gewalt aus purem Affekt, aus spontanem Verlangen oder schlichter Dummheit begeht, wird kaum darüber nachdenken, ob er gerade gefilmt wird. Wer aber ein Verbrechen plant, wählt sich klugerweise eine Maskierung. Oder einen anderen Ort.

Bei Terroristen muss man sogar davon ausgehen, dass sie einen videoüberwachten Ort für ihre Tat bevorzugen würden. Weil es dann Bilder gibt, gefilmten Horror, der sie ihrem eigentlichen Ziel näher bringt: der Verbreitung von Angst und Schrecken. Anders ist es mit der Aufklärung. Selbst die schärfsten Kritiker müssen zugeben, dass Videos hierbei helfen können. Und Aufklärung ist ein hohes Gut. Wie groß das gesellschaftliche Bedürfnis danach ist, erkennt man schon daran, dass die Fahndungsvideos der Polizei nach den beiden Vorfällen in Berliner U-Bahnhöfen tausendfach bei Facebook und Twitter geteilt wurden.

Aber hat sich durch den Fahndungserfolg die Sicherheit in der Gesellschaft erhöht? Objektiv mag das so sein. Doch Sicherheit ist vor allem eins: ein gutes Gefühl. Und das lässt sich schnell erschüttern – etwa wenn Polizisten mit Maschinengewehren in der Öffentlichkeit stehen. Die sollen für mehr Sicherheit sorgen, bewirken aber das Gegenteil: Verunsicherung. Ist es wirklich schon so schlimm, dass hier Schwerbewaffnete stehen müssen?

Den gleichen Effekt haben Überwachungsbilder. Zumindest wenn sie nicht nur als internes Beweismittel, sondern für eine öffentliche Fahndung genutzt werden. Auf jeden Fall, wenn dabei sogar die Tat gezeigt wird. Wenn sie sichtbar wird.

Wer im Internet gesehen hat, wie ein Mann einer Frau so in den Rücken tritt, dass sie eine U-Bahn-Treppe herabstürzt, wird diese Bilder beim nächsten Gang in einen Bahnhof im Kopf haben. Das Wissen um die Möglichkeit verunsichert. Und der Gedanke, dass auch diese Folgetat wieder gefilmt wird, mag dann auch nicht mehr beruhigen. Man muss daher geradezu froh sein, dass es von dem grausamen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt so gut wie keine Bilder gibt.

Die Macht der Bilder ist stark, sie fegt die Beweiskraft jeder Statistik hinweg

Der Effekt geht aber weit über den einzelnen Fahrgast hinaus. In Zeiten einer unbegrenzten Verbreitung im Internet schürt die Emotionalität der Bilder die eh schon eskalierte Debatte über den Zustand unserer Gesellschaft. Da kann man dann noch so oft darauf hinweisen, dass die Zahl der Gewalttaten in den Berliner Bussen und Bahnen – auch wegen der Videokameras – seit Jahren rückläufig ist. Es wird trotzdem vor allem heißen: Früher habe es so etwas nicht gegeben, also müsse etwas getan werden – dabei gab es früher nur keine Bilder der Gewalt.

Die Macht der bewegten Bilder ist so stark, dass sie die Beweiskraft jeder Statistik hinwegfegt. Der Einzelfall wird zum Beleg für das Ganze. Denn jeder hat es mit eigenen Augen gesehen. Im Zeitalter postfaktischer Debatten ist das mehr als bedenklich.

Aber kann man deshalb auf die Bilder verzichten? Oder benötigen wir noch viel mehr Kameras? Auch im öffentlichen Raum? Eins zumindest sollte klar sein: Vor jeder Veröffentlichung sollte genauestens geprüft werden, welche Bilder tatsächlich gezeigt werden müssen. Und welchen Effekt das hat. Nichts wäre schlimmer, als die Gesellschaft weiter in Angst zu versetzen. Denn Angst ist ein sehr schlechter Ratgeber.

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Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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