Kommentar zum Marsch nach Aleppo: Besser geht immer

Ja, es ist naiv. Und nein, Menschenleben werden sie nicht retten. Nicht eines. Trotzdem ist der Friedensmarsch nach Aleppo eine gute Idee.

Ein Mann trägt ein psychedelisch buntes Porträt John Lennons über eine Straße

Den Geist John Lennons dürften auch die Teilnehmer des Friedensmarschs von Berlin nach Aleppo im Gepäck haben Foto: dpa

Was soll das denn bringen? Glauben die tatsächlich, dass sie so irgendetwas bewirken können? Dass sie die Kriegsherren in Syrien so sehr beeindrucken, dass alle stante pede die Waffen schweigen lassen? Also jetzt mal ehrlich, die sind doch ganz schön naiv. Oder?

Rund 500 Menschen haben sich am zweiten Weihnachtstag in Berlin auf den Weg gemacht. Sie wollen zu Fuß nach Aleppo, um die humanitäre Katastrophe in Syrien zu beenden. Und ja, das ist naiv. Die Marschierer werden wahrscheinlich genauso viele Menschenleben retten wie die westlichen Staaten mit all ihren bisherigen Bemühungen: nämlich keine. Vielleicht wird die Initiative sogar schnell verläppern, enden mit einer Kurzmeldung: Friedenstruppe gibt auf.

Aber was, bitte schön, ist denn die Alternative? Soll ausgerechnet in einem Land, in dem neben den Syrern längst auch Russen, Türken, Kurden, Amerikaner, Deutsche, Iraker, Saudis und viele mehr militärisch aktiv sind, in dem niemand mehr sagen kann, wer nur gut und wer nur böse ist, eine Ausweitung der Kampfhandlungen eine Lösung bringen? In Zeiten von Putin? Und Trump? Auf die Gefahr hin, dass der unerträgliche lokale Krieg zum weltweiten eskaliert?

Ein Krieg kann nur auf zwei Arten zu Ende gehen. Entweder er dauert, bis eine Seite gewonnen hat. Bis sie sich nach all den grausamen Schlachten, der Zerstörung, den Toten, den Verstümmelten so sehr durchgesetzt hat, dass der Gegner sich nicht mehr wehren kann. Oder alle Beteiligten setzen sich an einen Tisch und schließen nach zähen Verhandlungen einen Kompromiss, der eigentlich für keine Seite erträglich ist: Frieden.

    Die Berliner Initiative hat eine Voraussetzung für solche Gespräche im Gepäck: radikale Neutralität. Dennoch ist es tatsächlich sehr, sehr unwahrscheinlich, dass sich die Kriegsherren von der Wandertruppe an einen Tisch zwingen lassen. Aber falls irgendwer einen bessere Idee hat, möge er sich melden.

    Na?

    Nein?

    Eben.

    Nicht einmal die Marschierer behaupten, sie hätten die ultimative Lösung. Sie tragen weiße Fahnen, die Flagge der Kapitulation. Sie haben es aufgegeben. Ehrlicher geht es nicht.

    „You may say, I’m a dreamer, but I’m not the only one“, hat John Lennon einst gesungen. Heute klingt sein „Imagine“ kitschig, naiv. Aber was bleibt anderes, als zu glauben, dass noch zu retten ist, was nicht mehr zu retten ist?

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    Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz als Autor, CvD und ab 2005 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Twitter: @gereonas Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de Foto: Anke Phoebe Peters

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