Dokumentarfilm „Theo Who Lived“: Der Houseboy der Dschihadisten

Zwei Jahre war Theo Padnos in der Gewalt von Kämpfern der Al-Nusra-Front in Syrien. Er wurde gefoltert. Davon erzählt ein Film.

Ein Olivenhain

Im Dokumentarfilm „Theo Who Lived“ simuliert Theo Padnos auch seine Flucht durch Olivenhaine Foto: imago/blickwinkel

In dem Raum mit den hellblau getünchten Wänden liegt eine Matratze mit unschuldigem braunem Retro-Blumenmuster. Das karg eingerichtete Zimmer lässt Theo Padnos noch schmächtiger, noch zarter wirken, als er es ohnehin schon ist.

So ähnlich habe das Zimmer ausgesehen, in dem sein fast zweijähriges Martyrium begann, erzählt der amerikanische Journalist in dem Dokumentarfilm „Theo Who Lived“.

Theo Padnos ist Amerikaner. Vier Jahre ist es her, dass sich der freie Journalist dazu entschied, illegal nach Syrien zu reisen. Er war unzufrieden mit seinen Recherchen aus Antakya, der türkischen Stadt an der syrisch-türkischen Grenze. Wollte direkt vom Ort des Geschehens berichten, Geschichten aus erster Hand liefern.

Als Kriegsreporter sah er sich nicht. Seine Reise sollte in den Nordosten des Landes gehen, in das Gebiet, das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unter der Kontrolle des syrischen Machthabers Baschar al-Assad stand.

Immer wieder reisten ausländische Journalisten zu dieser Zeit nach Syrien – und kamen wieder zurück. Padnos hatte im Jemen und in Damaskus Arabisch gelernt, er glaubte, gut vorbereitet zu sein.

Er rennt durch Olivenhaine

Schnell baute er Kontakt zu Syrern auf, die ihn über die Grenze nach Syrien schmuggeln sollten. Doch Padnos war in die Hände von Kämpfern der Al-Nusra-Front gelangt, dem syrischen Ableger der Terrororganisation al-Qaida.

Die Terroristen verdächtigten ihn, ein amerikanischer Spion der CIA zu sein. Fast zwei Jahre lang hielten sie ihn in ihrer Gewalt, folterten und misshandelten ihn, drohten ihm mit dem Tod.

In dem Dokumentarfilm stellt Padnos das Erlebte nach. So simuliert er seine Flucht über die türkisch-syrische Grenze, rennt dafür durch Olivenhaine und zwängt sich in enge Zellen, die Hände hinterm Rücken gefesselt. In einer anderen Szene stellt er sich auf einen klapprigen Stuhl und legt sich eine Schlinge um seinen schmalen Hals. Er will seine drohende Erhängung so plastisch wie möglich darstellen.

„Sie foltern, um dich zu psychisch brechen. Um dich zu transformieren, dir klarzumachen, dass du ein Ungläubiger bist.“

Merhmals hatten ihn die Djihadisten für Stunden auf so einen Hocker gestellt und damit gedroht, den Hocker umzutreten. Für sie war Padnos die Inkarnation des imperialen Amerikas – all das wogegen sie glaubten, zu kämpfen.

Sie warfen ihm Hiroshima vor, Afghanistan und den Irak-Krieg. Mehrmals gab Padnos zu, für die CIA zu arbeiten – unter Folter sei man bereit, alles zu gestehen. Doch die Terroristen suchten nicht nach Informationen, sie wollten keine Antworten.

Menschlichkeit und Zuneigung

„Sie foltern, um dich zu psychisch brechen. Um dich zu transformieren, dir klarzumachen, dass du ein Ungläubiger bist. Vor dem Foltern beten sie zu Allah. Sie denken, dass ihre Tat sie näher zu Gott bringt“, glaubt Padnos.

Viele Monate hatte Padnos in einer Gefängniszelle verbracht, die zu kurz war, um sich der Länge nach auszustrecken. Im Film legt er sich in Embryonalstellung in so eine Zelle und mokiert sich über die lieblose Inneneinrichtung. Immerhin hat sie ein kleines Fenster, gerade groß genug, um seinen Kopf herauszustrecken.

Padnos erzählt, wie er so schaffte, Kontakt zu seinen Wärtern aufzubauen. Wie es ihm eines Tages gelang, an Papier und Stift heranzukommen. Wie er begann, zu schreiben, möglichst winzig, um ja kein Papier zu verschwenden.

Padnos schrieb über seine Kindheit in Vermont, seine Familie, seine erste Freundin. Über Menschlichkeit und Zuneigung, all das, war er in seiner Gefangenschaft so schmerzlich vermisste. Und er las seine Geschichten den Wärtern vor.

„Das hat sie beruhigt. Diese jungen Männer haben meine Erzählungen aufgesaugt. Kein Wunder, sie leben in einem Teufelskreis von Hass und Gewalt“, meint Padnos heute. „Zu den Terroristen laufen sie über, weil die ihnen Antworten anbieten – und materielle Sicherheit. Und wenn sie schon keinen Frieden haben dürfen, dann sollen es wenigstens die Jungfrauen im Paradies sein“.

Nur selten unverhohlene Wut

Es sind solche Aussagen, die sich wie ein roter Faden durch die Dokumentation ziehen. Padnos schaffte es unter widrigsten Bedingungen, Verständnis für die Situation seiner Peiniger zu zeigen und baute so ein persönliches Verhältnis zu ihnen auf.

Er pflichtete ihnen bei, wenn sie Amerika und den Westen kritisieren und stellte sich auf ihre Seite, wenn sie die westliche Nahost-Politik der letzten Jahrzehnte für das Unglück der arabischen Welt verantwortlich machten. So schaffte er es sogar, in der Gunst des Islamisten-Anführers Abu Maraya al-Qahtani aufzusteigen.

Er sei der „Houseboy“ der Djihadisten gewesen, sagt Padnos und hört sich fast ein bisschen stolz dabei an.

Irgendwann durfte er einfache Arbeiten für die Terroristen ausübern, säuberte zum Beispiel die Läufe der Kalaschnikows. Er sei der “Houseboy“ der Djihadisten gewesen, sagt Padnos und hört sich fast ein bisschen stolz dabei an.

Nur selten kommt im Film unverhohlene Wut zum Ausdruck. Etwa als Padnos eine Szene nachstellt, in der er von seinen Wärtern ausgepeitscht wird.

Immer wieder lässt er eine Weidenrute auf den Boden schlagen. Das zurrende Geräusch ist kaum zu ertragen, obgleich es nur Brennesseln sind, die sich unter den Peitschenhieben beugen.

Bereitschaft zur Vergebung

Oder als der Regisseur Padnos mit einem CNN-Interview konfrontiert. In ihm spricht der amerikanische Journalist Matthew Schrier kurz nach seiner Flucht aus Syrien über ihre gemeinsame Zeit in Gefangenschaft.

Die beiden Journalisten hatten sich über sechs Monate eine Zelle geteilt und zusammen die Flucht geplant. Doch Matthew Schrier hatte die Nerven verloren und Theo in der Zelle zurückgelassen.

Doch genauso schnell, wie der plötzliche Wutausdruck kam, hat sich Padnos auch wieder gefangen: „Was kann ich ihm denn schon vorwerfen?“, räumt er ein.

Es scheint, als habe Theo Padnos die Bereitschaft zur Vergebung verinnerlicht. Vielleicht war es dieser Pragmatismus, gepaart mit seiner irgendwie immer positiv anmutenden Grundeinstellung, die ihn davor bewahrt haben, von Folter und Erniedrigung gebrochen zu werden.

"Theo Who Lived". Regie: David Schisgall. Mit Theo Padnos, USA 2016, 86 Min.

Fragt man ihn heute, was denn passieren müsse, um den Krieg in Syrien zu beenden, spricht er sich für einen Stopp der Waffenlieferungen an Syrien aus. Auf die Frage, was die Syrer jetzt bräuchten, setzt er eine ernste Mine auf und antwortet: „Love!“ Das wirkt auf den ersten Blick naiv. Und ist doch ganz ernst gemeint.

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