Lage von Geflüchteten in Griechenland: Angst und Schrecken auf Chios

Faschisten haben im Flüchtlingscamp auf der Insel Chios Zelte in Brand gesetzt. Viele schlafen seitdem in Parks oder am Strand.

Eine Frau und ein Kind stehen in einem offenen Schrank, der mitten auf einer grünen Wiese steht

Geflüchtete suchen Schutz vorm Regen auf der Insel (Archivaufnahme aus dem Januar 2016) Foto: ap

ATHEN taz | Die Flüchtlinge im Camp Souda auf Chios leben seit zwei Wochen in Angst, viele von ihnen suchen sich Schlafplätze außerhalb der Unterkunft. Faschisten hatten Mitte November in zwei aufeinanderfolgenden Nächten große Felsbrocken auf die Zelte der Menschen geschleudert. Molotowcocktails setzten die Zeltplanen in Brand und zerstörten das letzte Hab und Gut mehrerer Flüchtlinge und Migranten. „Zum Glück gab es keine schweren Verletzungen bei dem Angriff“, sagt Maria Lavida.

Die in Camp Souda stationierte Ärztin arbeitet für die Hilfsorganisation Ärzte der Welt. Ein 17-jähriger Junge sei am Kopf verletzt worden, berichtet Lavida. Er sei aber nicht in Gefahr. „Doch die ohnehin schon hohe psychische Belastung der Menschen ist nach dem Angriff nochmals gestiegen“, so Lavida. Viele litten jetzt unter Schlaflosigkeit, aus Angst vor weiteren Angriffen.

Über 100 der früheren Bewohner des Camps Souda schlafen deswegen nun lieber im Park oder abgelegen am Strand, um sich nicht noch einmal in Gefahr zu begeben. „Vor allem Familien mit kleinen Kindern möchten unter gar keinen Umständen zurück ins Camp“, berichtet Vassilis Pachoundakis. Der 43-Jährige arbeitet seit Monaten als Freiwilliger der amerikanischen Hilfsorganisation Samaritans Purse auf Chios.

Die Sicherung des Camps durch Polizisten wirke jetzt wie eine Farce. Die Polizei hätte viel zu langsam eingegriffen und die Faschisten agieren lassen, so Pachoundakis. Die Gewalt hat Pachoundakis kommen sehen. „Ausländerfeindlichkeit und Faschismus haben hier einen leichteren Stand als zum Beispiel auf der Insel Lesbos, auf der auch Tausende von Flüchtlingen ausharren“, sagt Pachoundakis. Denn Chios sei für ihre konservative Bevölkerung bekannt.

Bei den Wahlen im September 2015 lag die konservative Partei Nea Demokratia mit rund 33 Prozent knapp 5 Prozent vor der linken Syriza. Die faschistische Partei Chrysi Avgi kam mit 5,82 Prozent auf Platz vier. Zwar lag auf Lesbos – Insel der ArbeiterInnen und Linken – Syriza vorn. Doch auch hier belegte die Chrysi Avgi Platz vier.

Konservative sind flüchtlingsfeindlich
Vassilis Pachoundakis

„Familien mit kleinen Kindern möchten auf keinen Fall zurück ins Camp“

Anders als auf Lesbos habe man auf Chios aber nach und nach eine immer stärkere Ablehnung der Konservativen gegenüber den Flüchtlingen beobachten können, so Pachoundakis. Außerdem sei die linksalternative Szene hier nicht so groß. Es fehle an Widerstand. Die etwa 2.000 Flüchtlinge und Migranten sitzen durch das EU-Türkei-Abkommen auf der Insel fest. Die Prüfung der Asylverfahren geht nur sehr langsam voran, da es immer noch an MitarbeiterInnen fehlt. Auch das Umverteilungsprogramm der EU hält nicht, was es versprochen hat: Bisher wurden nur gut 5.000 Flüchtlinge aus Griechenland in andere EU-Staaten gebracht. Bis heute hätten es 30.000 sein sollen.

„Gerne würden wir die Flüchtlinge aus Chios wenigstens aufs Festland bringen, um die Lage vor Ort zu entschärfen“, sagt ein Sprecher des griechischen Ministeriums für Migrationsangelegenheiten. Doch das dürfe man nicht. „Uns sind durch das EU-Türkei-Abkommen die Hände gebunden“, so der Sprecher.

Bringe man die Menschen aufs Festland, könne das als eine Aufkündigung des Abkommens interpretiert werden. Die Folge: Die Türkei könnte weitere Flüchtlinge nach Griechenland lassen. „Das würde das aktuelle Problem der Überbelegung der Inseln multiplizieren“, so der Sprecher. „Uns ist natürlich klar, dass nicht alle auf Chios mit einemmal Faschisten sind“, betont er. Doch seien die Entwicklungen besorgniserregend. Der faschistischen Tendenz müsse unbedingt Einhalt geboten werden, so der Sprecher. „Es ist tragisch“, resümiert Vassilis Pachoundakis. „Die Angst der Flüchtlinge vor Angriffen hört auch in Europa nicht auf.“

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