Verlorene Wahl der Demokraten: Was lief schief in Amerika?

Die Demokraten müssen die Wahl genau analysieren, um künftig Fehler nicht noch einmal zu machen. Dafür brauchen sie auch einen passenden Kandidaten.

Auf dem Boden liegt nach einer Wahlveranstaltung Müll

Was bleibt nach dem Chaos? Die Demokraten müssen aus der letzten Wahl Schlüsse ziehen Foto: reuters

Die Zustimmung für den noch amtierenden US-Präsidenten liegt bei über 50 Prozent. Das Wirtschaftswachstum betrug in den vergangenen drei Monaten gut 3 Prozent. Seit 73 Monaten ist ein durchgängiger Beschäftigungsanstieg zu verzeichnen – ein Rekord. Die Arbeitslosenquote hat sich halbiert. Barack Obama und seine Partei können also wirtschaftliche Erfolge vorweisen. Dem stand in Donald Trump ein republikanischer Herausforderer gegenüber, der die amateurhafteste Wahlkampagne in der politischen Geschichte der USA führte.

Trump hielt es nicht mal für nötig, US-Bürger zu animieren, sich in die Wahlregister eintragen zu lassen. Er trat unverhohlen sexistisch und rassistisch auf – in einem Land, dessen Wählermehrheit weiblich ist und einen Anteil von 30 Prozent nichtweißer Wähler hat. Wie ein Kind, das sich daneben benimmt, um Aufmerksamkeit zu bekommen, nahm Trump seine demokratische Kontrahentin, wenn auch unabsichtlich, jedes Mal in Schutz, sobald sie negative Schlagzeilen bekam, einfach, indem er selbst welche machte. Zu den drei Fernsehduellen erschien er stets unvorbereitet, und glaubt man den Umfragen, hat er sie alle verloren.

Wie ist dann möglich, dass er die Wahl dennoch gewonnen hat? Sechs Staaten, die Obama jeweils zweimal hintereinander gewinnen konnte, gingen jetzt an Donald Trump. Hauptsächlich im oberen Mittleren Westen, wo die lokale Wirtschaft durch den Abbau von Jobs in der verarbeitenden Industrie am Boden liegt. Viele weiße Wähler ohne College-Abschluss, „die weiße Arbeiterklasse“, wechselten von Obama zu Trump. In diesem Wählersegment gewann Trump 8 Prozentpunkte hinzu, während Clinton bei den Wählern mit College-Abschluss 9 Prozentpunkte hinzugewinnen konnte. Laut einer Analyse des Pew Research Center ist das die größte Differenz seit 1980.

Beinahe alle politischen Beobachter zeigten sich geschockt darüber, dass es am Ende doch genügend weiße Wähler aus der Arbeiterklasse waren, die das Rennen entschieden haben – wo doch so viel darüber geredet wurde, dass die Zahl weißer Wähler bei jeder Wahl kontinuierlich sinkt. Der Umfragen-Analyst der New York Times, Nate Cohn, warnte bereits im Juni, dass es falsch sei, aus Stichproben am Wahltag Schlüsse über die demografische Entwicklung des Landes zu ziehen. Er nannte eine Analyse der Wahlregister, der zufolge 10 Millionen der Arbeiterklasse zugehörige Weiße mehr registriert waren als bis dahin angenommen. Cohn schloss daraus, dass mehr weiße Arbeiter als bisher angenommen Obama in mehreren Schlüsselstaaten zum Sieg verholfen hatten.

Hautfarbe und Geschlecht

Warum hat sich die weiße Arbeiterklasse gegen die von Obama bevorzugte Nachfolgerin entschieden? Die wirtschaftliche Entwicklung spricht doch eigentlich für sich. Und dann sind da noch die Faktoren ethnische Zugehörigkeit und Geschlecht.

Auch wenn sich die Gesamtwirtschaft im Aufschwung befindet, die Erholung vom Börsencrash von 2008 geht nur langsam vonstatten, insbesondere – und das ist besonders wichtig – in den ländlichen Gebieten und früheren Industriestädten, die sich nun abgehängt fühlen. Als Obama um ihre Gunst warb, hatte er starke Argumente für die weiße Arbeiterschaft parat. 2008 war es das Argument, dass die Republikaner die Wirtschaft ruiniert haben. 2012 reklamierte er für sich, eine Rettungsaktion für die Autoindustrie an den Start gebracht zu haben, die den Mittleren Westen vor dem Ruin bewahrt hat.

Der Autor Bill Scher ist Redakteur beim Politico-Magazin und Mitarbeiter der Website Real Clear Politics

Solcherlei wirtschaftliche Errungenschaften konnte Hillary Clinton sich nicht auf die Fahnen schreiben. Im Gegenteil, sie musste politische Altlasten ihres Mannes schultern. Bill Clintons einstmals guter Ruf als Ökonom ist stark beschädigt, da seine internationale Handelspolitik dazu geführt hat, dass Jobs in der verarbeitenden Industrie in andere Länder verlegt wurden. Befürworter von Bill Clintons Handelsvereinbarungen halten dagegen, dass die Vereinigten Staaten von niedrigeren Preisen profitiert hätten. Doch dieses Argument zieht einfach nicht in Gegenden, in denen Fabriken vollständig abgewickelt wurden.

Hillary Clinton versuchte, sich von der Handelspolitik ihres Ehemannes zu distanzieren, indem sie sich gegen das transatlantische Handelsabkommen aussprach. Da sie aber während der Verhandlungen bereits als Befürworterin des Abkommens aufgetreten war, wirkte ihr Sinneswandel nicht aufrichtig. Donald Trump wiederum stellte sich der von den Republikanern verfolgten Freihandelspolitik entgegen und ließ kaum eine Gelegenheit aus, das Freihandelsabkommen TTIP scharf zu kritisieren.

TTIP-Kritik gewinnt Wähler

Mit einem fatalen Ergebnis: Das verdeutlicht ein Blick nach Wisconsin, einem Staat, der seit 1984 in keiner Präsidentschaftswahl einen Republikaner gewählt hat. Bei Umfragen nach Verlassen der Wahllokale offenbarten die Wählerinnen und Wähler Wisconsins ihre Skepsis gegenüber der Handelspolitik: 50 Prozent der Befragten glauben, dass sie es war, die zu Jobverlusten in den USA geführt habe, während nur 35 Prozent denken, durch Freihandel würden Jobs entstehen. Und Trump konnte die Mehrheit der Freihandelsgegner für sich gewinnen.

Politische Analysten hatten weiße Arbeiter gar nicht mehr auf dem Zettel. Doch sie entschieden die Wahl

Aber die Wähler in Wisconsin, von denen 86 Prozent Weiße waren, scheinen auch die Bewegung „Black Lives Matter“ abzulehnen. Viele Linke haben die Bewegung mitsamt ihrem etwas platten Slogan auch deshalb unterstützt, um die Debatte über rassistisch motivierte Vorurteile angesichts tödlicher Polizeigewalt voranzutreiben. Hillary Clinton hat „Black Lives Matter“ ebenfalls vehement unterstützt. Aber in Wisconsin waren nur 35 Prozent der Wähler der Meinung, dass „Weiße bevorzugt behandelt“ werden. Trump konnte sieben von zehn Wählern für sich gewinnen, die diese Ansicht ablehnen.

Die Frage der ethnischen Zugehörigkeit schwingt auch in der anhaltenden Debatte um die Gesundheitsversorgung mit. Das als Obamacare bekannte Gesetz ist vor sechs Jahren in Kraft getreten. Es fordert die Bürger dazu auf, eine Krankenversicherung abzuschließen, sofern sie nicht bereits über ihren Job oder ein soziales Hilfsprogramm krankenversichert sind, und stellt Fördermittel für prekäre Beschäftigte zur Verfügung. Da nicht jeder in den Genuss von Subventionen kommt, betrachten einige Weiße Obamacare fälschlicherweise als ein Programm, mit dem ihre Steuergelder für die Finanzierung der Gesundheitsfürsorge Nichtweißer ausgegeben werden.

Obamacare spaltete

Einem Bericht der New York Times zufolge fand der Politikwissenschaftler Michael Tesler heraus, dass „rassistische und verbitterte“ Weiße die von der Regierung geschaffene Gesundheitsversorgung nicht unterstützen, weil ihr Initiator ein Afroamerikaner ist. Wählerbefragungen vom Dienstag zeigten, dass Obamacare die Wählerschaft fast gleichmäßig spaltet, selbiges gilt für die Anhänger von Trump und Clinton.

Bleibt noch die historische Kluft zwischen den Geschlechtern. Clinton lag bei weiblichen Wählerinnen um 12 Prozentpunkte vorn und Trump um ungefähr genauso viele bei männlichen – laut Pew Research Center ist das die größte Differenz dieser Art seit 44 Jahren. Clinton gewann landesweit etwas mehr Stimmen, weil die meisten Wähler in den USA Frauen sind. Trump erhielt in Wisconsin etwas mehr Stimmen, weil der Anteil männlicher Wähler ein wenig höher war, zudem hat er im landesweiten Vergleich dort bei Männern wie Frauen generell etwas besser abgeschnitten.

Die böse Hillary

Selbstverständlich ist Hillary Clinton auch einiges anderes vorzuwerfen. Zuallererst ist da ihr Gebrauch eines privaten E-Mail-Servers zu nennen, während sie Außenministerin war – was Trump dafür nutzte, sie als „betrügerisch“ und „korrupt“ zu diffamieren. Die daraus resultierende Untersuchung durch das FBI verfolgte die demokratische Präsidentschaftskandidatin bis zum Ende des Wahlkampfs, gekrönt von der umstrittenen und bis dahin noch nicht da gewesenen Ankündigung des FBI-Chefs, dass gegen sie ermittelt wird, obwohl es keinerlei Anklage gab.

Zudem kennzeichnen ihre Verbindungen zu Geldgebern von der Wall Street und ihre jahrzehntelange Zugehörigkeit zur politischen Elite in der Hauptstadt Washington sie als eine Figur des verhassten „Establishments“. Fakt ist, dass ihr mehr männliche als weibliche Wähler diese Kritikpunkte nachgesehen haben.

Um Trump nach Clintons freiem Fall die Macht so schnell wie möglich wieder entreißen zu können, werden sich die Demokraten sehr genau überlegen müssen, mit wem als Kandidat sie in vier Jahren antreten wollen. Es muss jemand sein, der die abtrünnigen weißen Wähler aus der Arbeiterklasse zurückgewinnen kann, ohne kritische nichtweiße Wähler zu vergraulen.

So viel ist sicher, das wird eine harte Diskussion. Einige werden sagen, dass der Kandidat eher ein populistischer Ökonom sein müsse. Andere werden nach einem Außenseiter rufen. Wieder andere werden auf der Ernennung einer Frau bestehen. Die Demokraten werden darüber nachdenken müssen, ob ein Volk, das zwar bereit war, einen Afroamerikaner zu seinem Präsidenten zu wählen, schon bereit ist, die Geschicke des Landes in die Hände einer Frau zu legen.

Aus dem Englischen von Sylvia Prahl

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