Gutachten über Hildesheimer Seminar: Gegen Israel geschossen

„Einseitig, unwissenschaftlich, nicht tragbar“, so lautet das Fazit eines Gutachtens zu einem Palästina-Seminar an der Hochschule Hildesheim.

Schönes Klischee: Das Bild vom palästinensischen David wurde auch in Hildesheim kultiviert. Foto: dpa

HANNOVER taz | An der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) in Hildesheim sind mehr als zehn Jahre lang in einem Seminar antisemitische und israelfeindliche Klischees vermittelt worden. Das ist das Ergebnis eines Gutachtens, dass die Direktorin des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität (TU) Berlin, Stefanie Schüler-Springorum, im Beisein von Niedersachsens grüner Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajić am Montag in Hannover vorgestellt hat.

Zur Pflichtlektüre des Seminars „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ habe etwa ein Artikel des Journalisten Donald Boström gehört, der Israels Armee die Vermarktung von Organen getöteter Palästinenser unterstellte. Der Text wiederhole „mittelalterliche antijüdische Fantasien von Kindsmord und -missbrauch“, so Schüler-Springorum. In einer Textsammlung sei das „in der Tradition antisemitischer Propaganda seit dem 19. Jahrhundert“ stehende Klischee bedient worden, „die Juden“ seien eine „internationale und überzeitlich homogene Gruppe“ – also Hetze, die Menschen jüdischen Glaubens jede Individualität abspricht und die besonders von den Nationalsozialisten benutzt wurde.

Unwissenschaftliche Lektüre

Zur Seminarlektüre, die der taz vorliegt, gehörten auch Texte, in denen Israel der Einsatz von Phosphorbomben vorgeworfen wurde – Attentate palästinensischer Gruppen wurden dagegen nicht thematisiert. Insgesamt sei das von einer aus Palästina stammenden Lehrbeauftragten gegebene Seminar, das sich an angehende SozialarbeiterInnen richtete, „einseitig, unwissenschaftlich und in dieser Form an einer deutschen Hochschule nicht tragbar gewesen“, so das Fazit der TU-Professorin.

Irritierend ist auch die Entstehungsgeschichte der seit 2006 angebotenen Lehrveranstaltung: Ein heute nicht mehr an der Hochschule tätiger Dozent hatte damals die Idee, eine vierstündige Einführung für Studierende, die in Israel ein Praktikum absolvieren wollten, durch Gastauftritte von Vertreterinnen beider Konfliktparteien zu ergänzen. Doch nach Ende der Einführung und nach Abgang des Dozenten verselbstständigte sich die Sache: Bis zum Sommersemester 2016 gab es an der HAWK zwei konträre, semesterbegleitende Lehrveranstaltungen zum Nahost-Konflikt, heißt es in dem Gutachten des Zentrums für Antisemitismusforschung: „eine ‚palästinensische‘ und eine ‚israelisch-jüdische‘“.

Zwei hochemotionale Veranstaltungen zum Nahost-Konflikt, angeboten von einer aus Palästina stammenden Chemielehrerin und einer jüdisch-israelischen Kunsttherapeutin standen bereits seit Jahren in der Kritik.

Laut Gutachten des Zentrums für Antisemitismusforschung hat die Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) seit 2006 didaktisch versagt.

Vermittelt worden sei, „dass es jeweils nur eine ‚ethnisch‘ begründete Position im Nahost-Konflikt“ gebe.

„Geleugnet“ worden sei so „jedwede interne Heterogenität beider Bevölkerungsgruppen“.

„Gelernt“ hätten Studierende dabei, „dass ‚betroffene‘ Frauen hochemotional reagieren und daher ‚Wissenschaft‘ weder betreiben noch vermitteln können“.

Zwar riet die HAWK, beide Seminare zu besuchen. Verpflichtend wurde dies aber erst in diesem Jahr – Studierende, die nur eine Veranstaltung besuchten, liefen Gefahr, völlig einseitig informiert zu werden. Außerdem waren beide Dozentinnen nicht qualifiziert, historische und politikwissenschaftliche Inhalte zu vermitteln: Eine ist Lehrerin für Chemie und Biologie, die andere Kunsttherapeutin.

Kritik war seit Jahren bekannt

Trotz jahrelanger Kritik, der sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, anschloss, verteidigte die Ethikkommission der HAWK diese wissenschaftlichen Kriterien widersprechende Form der Lehre bis in den vergangenen Sommer hinein. Die verantwortliche Dekanin Christa Paulini trat erst im September zurück. Anfang November sprach sich dann der Senat der Hochschule gegen eine zweite Amtszeit von HAWK-Präsidentin Christiane Dienel aus – im taz-Interview räumte sie ein, zu lange „aus der Rolle der Hochschulpräsidentin gehandelt“ zu haben, „die eine Einmischung von außen verhindern wollte“.

Als Reaktion auf das Versagen der Hochschule kündigte Niedersachsens Wissenschaftsministerin Heinen-Kljajić an, die Auswahlkriterien für Lehrbeauftragte überprüfen zu lassen. Auch soll die Meinung Studierender stärker beachtet werden – die hatten das Seminar in Evaluationen nicht selten als „emotional“ und „unwissenschaftlich“ beurteilt. Für die Landtagsopposition kritisierte CDU-Fraktionsvize Jörg Hillmer, Heinen-Kljajić habe sich erst unter dem Druck intensiver Medienberichte eingeschaltet – und so „dem Ansehen des Landes Niedersachsen geschadet“.

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