Kommentar Jugendhilfe für Flüchtlinge: Recht nach Herkunft

Die Ministerpräsidentenkonferenz fordert ein Gesetz speziell für Flüchtlinge. Die andere Idee ist, die Ansprüche aller jungen Volljährigen zu kappen.

Ein Jugendlicher aus kocht in einer Unterkunft für unbegleitete Flüchtilinge

Ein Jugendlicher kocht in einer Unterkunft für unbegleitete Flüchtilinge Foto: dpa

Wo liegt der Unterschied zwischen einem 16-jährigen deutschen Jungen, der keine fürsorgenden Eltern hat, und einem allein geflüchteten aus einem anderen Land? Rein vom Jugendhilferecht her gibt es ihn nicht. Beide haben Anspruch auf geeignete Hilfe. Sei es eine gut betreute Jugendwohnung oder – falls es sie gibt – eine nette Pflegefamilie, in die er gut passt.

Nun sollen – so der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom Freitag – extra Gesetze für die jungen Flüchtlinge entwickelt werden. Sie haben das Ziel, die Kosten besser zu steuern. Es sei doch viel sinnvoller und funktioniere auch gut, diese Kids in Gast- und Pflegefamilien unterzubringen, hört man zum Beispiel aus dem grün-schwarz regierten Baden-Württemberg, das den aus Bayern eingebrachten Vorstoß offenbar voll mitträgt. Nur: Dort, wo es sich anbietet und sinnvoll ist, gibt es die Unterbringung in Pflegefamilien ja heute schon. Dafür muss kein Gesetz geändert werden.

Oft fehlt es gerade für ältere Jugendliche an geeigneten Familien. Und manchmal passt es auch nicht, dann möchten die Kinder und Jugendlichen lieber in einer Einrichtung wohnen. Das ist individuell unterschiedlich und vom Gesetz her bisher möglich. Also ist ein Spezialgesetz dafür überflüssig. Was die Ministerpräsidenten offenbar wollen, was aber nicht geht, ist ein abweichendes Recht je nach Herkunft der Kinder. Beispielsweise ein schlechter betreutes Jugendwohnen als billiges Angebot für junge Geflüchtete. Das verstößt gegen das Diskriminierungsverbot. Man darf gespannt sein, wie die Familienministerin ein solches Gesetz ausgestalten wird.

Weil das womöglich nicht geht, gibt es auch die Idee, die Ansprüche aller jungen Volljährigen zu kappen, also sowohl die der bereits hier in Deutschland geborenen, als auch die der nach Deutschland geflüchteten. Sie sollen, so die Linie der CDU-geführten Länder in der Protokollnotiz der Ministerpräsidentenkonferenz, nicht mehr regelhaft unter das Kinder- und Jugendhilfegesetz fallen.

Auch das wäre eine Katastrophe. Schon heute steigt die Zahl der jungen volljährigen Obdachlosen, davor warnte kürzlich das in Berlin, Dortmund, Hamburg und Köln tätige Streetworkerprojekt „Off Road Kids“. Unter ihnen sind auch ehemalige Heimkinder, die zu früh „verselbstständigt“ wurden, als sie mit ihrem 18. Geburtstag den bisherigen Anspruch auf Jugendhilfe verloren haben, weil jener von klammen Kommunen als Kannleistung ausgelegt wird.

Das Deutsche Jugendinstitut in München spricht in einer Studie von etwa 20.000 von allen Hilfesystemen „entkoppelten“ Jugendlichen. Besonders die Gruppe der sogenannten „Care-Leaver“ braucht mehr, und nicht weniger, Unterstützung. Man bedenke: Auch Kinder aus intakten Familien leben heute länger zu Hause oder setzen bis Mitte 20 auf die Begleitung ihrer Eltern, um in dieser komplexer gewordenen Welt ihren Platz zu finden.

Egal, ob junge Flüchtlinge oder Ex-Heimkinder, an ihnen zu sparen, ist das Dümmste, was Deutschland tun kann, denn anstatt Integration befördert es die Ausgrenzung junger Menschen.

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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