Ein Vereinsmuseum für den FC St. Pauli: Niederlagen hinter Glas

Hall of Pain: Das von den Fans gestaltete Museum soll nicht Triumphe und Trophäen zeigen, sondern Misserfolge und stetiges Wiederaufstehen.

Ein Fan-Arbeiter im Museum

Flexen, schweißen und hämmern selber: die Fans Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Nackter Beton, unverkleidete Rohre. Kein Putz, überall liegen Leitungen herum. Die Räume im Erdgeschoss des Stadions erinnern an den Rohbau einer Tiefgarage – und nicht an ein Museum. Und doch soll hier bis 2018 ein solches entstehen. Insgesamt 900 Quadratmeter, davon 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche, müssen hergerichtet werden. Zeit ist genug. Doch das dafür benötigte Geld ist nicht vorhanden. Noch nicht.

In den Katakomben der Gegengeraden des Millerntor-Stadions entsteht derzeit ein Fußballmuseum, das einzigartig ist. Das FC-St.-Pauli-Museum. Ungewöhnlich ist schon seine Geschichte. Denn ursprünglich sollte in die Stadionräume die Stadionwache der Polizei einziehen.

Die Fans rebellierten gegen den „Polizeipalast im Piratenschiff“. Nannten die geplante Wache, die größer sein sollte als die meisten ihrer Art in anderen Stadien, „Goliathwache“ – in Anlehnung an die berühmte, nur einen Steinwurf entfernte kleine Davidwache an der Reeperbahn.

Doch um die Wache zu verhindern, bedurfte es einer sinnvollen Alternativnutzung für die der Polizei versprochenen Räume. Die Idee eines Vereinsmuseums, bis dahin nur in den Köpfen weniger Club-Anhänger verhaftet, bekam Konjunktur in der Fanszene. Die Fanproteste hatten Erfolg. Die Wache wurde außerhalb des Stadions gebaut und ist inzwischen fertig. Und das Museum wird kommen – das steht fest.

Besonders ist auch, dass nicht der Verein, sondern die Fans das Museum gestalten, finanzieren und konzipieren. Christoph Nagel, einer der Museumsaktivisten, spricht „von dem komplexesten Projekt, das jemals von der Fanszene realisiert wurde“. 2012 wurde der gemeinnützige Verein „1910 – Museum für den FC St. Pauli e. V.“ gegründet, um das ambitionierte Projekt zu realisieren. Baupläne mussten erstellt, gefühlte tausend Genehmigungen bei den verschiedensten Ämtern eingeholt, eine inhaltliche Konzeption entwickelt, Ausstellungsstücke akquiriert und Finanzmittel eingeworben werden.

Trophäen gibt es kaum welche

All das funktioniert rein ehrenamtlich. Etwa einmal pro Woche trifft sich die fünf- bis sechsköpfige Gruppe, die das sortiert und katalogisiert, was einmal ausgestellt werden soll. 700 der bislang zusammengetragenen 4.000 Fundstücke und Geschenke aus Fan-Nachlässen wurden so bislang inventarisiert. Historische Trikots und Fußballschuhe, Presseartikel, ein alter Kreidewagen, die mit alten Aufklebern „geschmückten“ Fenster des alten Vereinsheims, das dem Stadionneubau weichen musste.

Das Museum soll zeigen, was den Mythos FC St. Pauli ausmacht

Trophäen gibt es hier kaum zu sehen – der Verein hat nie die Deutsche Meisterschaft, den DFB-Pokal oder gar die Champions League gewonnen. Als er im Dortmunder Vereinsmuseum an den Vitrinen mit den Schalen und Preisen entlang schlenderte, hat Anhänger Nagel festgestellt: „Pokale ohne Geschichte sind nur große Vasen – du siehst sie an und du fühlst nichts.“

Doch ums Gefühl soll es im Museum des FC St. Pauli gehen: Um Geschichte und ums Geschichtenerzählen. Es soll sich eine Beziehung zwischen dem Ausgestellten und den Besuchern aufbauen. Der schmucklose Oddset-Pokal, der lediglich zwischen Hamburger Amateurmannschaften ausgespielt wird, wird die wichtigste Trophäe im St.-Pauli-Museum sein. Der Gewinn 2005 berechtigte die Kiez-Kicker zur Teilnahme am DFB-Pokal, bei dem sie die vier viel höherklassigen Teams – Burghausen, Bochum, Berlin und Bremen – rauswarfen und durch die ungeplanten Millioneneinnahmen den vor der Insolvenz stehenden Verein retteten. Die Erfolgsgeschichte, die dann begann und dem Verein schließlich solide Finanzen und ein neues Stadion bescherte, wäre ohne Oddset-Pokal nie möglich gewesen. Das ist eine der vielen Geschichten, die es zu erzählen gilt.

„Hall of Pain“ statt „Hall of Fame“

Sie wollen nicht das „klassische Sporterfolgsmuseum“, sagt Nagel und fügt hinzu: „Wie auch, ohne Titel?“ Während es etwa in Dortmund oder beim HSV keine Hinweise auf verlorene Lokalderbys – hier gegen Schalke, da gegen St. Pauli – gibt, sondern nur Titel und Triumphe, sollten am Millerntor „Misserfolge sichtbar gemacht“ werden.

Neben der obligatorischen „Hall of Fame“, in der alle anderen Vereinsmuseen die Cluberfolge zur Schau stellen, wird es im St.-Pauli-Museum auch eine „Hall of Pain“ geben. „Es geht ums Wiederaufstehen nach Niederlagen und Rückschlägen“, sagt Nagel. „Wir wollen kein Fußball-, sondern ein Lebensmuseum werden.“

So soll auch die enge Beziehung zwischen dem Verein und dem Stadtteil, nach dem er benannt ist, sichtbar werden. Und die Ausstellung versucht eine Antwort auf die Frage zu finden, „warum dieser Club ohne jeden großen Titel europaweit so bekannt ist?“, sagt der St.-Pauli-Fan Nagel.

Wer das Museum betritt, solle ein Gefühl dafür bekommen, warum sich die Fans gerade mit diesem Club so identifizieren, was den Mythos FC St. Pauli ausmacht. Dazu gehören zudem die zahlreichen politischen und sozialen Aktivitäten, die den Club bekannt gemacht haben: Sein konsequenter Antifaschismus, sein Engagement für Flüchtlinge und Projekte wie „Viva con Aqua“ oder die „Kiezhelden“, die hier ihren Anfang nahmen.

Es fehlt noch Geld

Bis es so weit ist, werden noch zwei Jahre vergehen. Oder auch drei. Das für die erste Ausbaustufe benötigte Geld, rund eine dreiviertel Million Euro, ist durch Fundraising-Aktionen und Spenden fast eingespielt. Doch eine weitere dreiviertel Million fehlt noch, um die kargen Betonräume in ein lebendiges Museum zu verwandeln.

Im kommenden Jahr soll es aber bereits zwei provisorische Ausstellungen als Vorgeschmack auf das Museum geben. Eine davon wird sich dem „FC St. Pauli im Dritten Reich“ widmen.

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