Autorin über historische Krimis: „Die Apartheid prägt uns immer noch“

Malla Nunn wurde in Südafrika geboren und schreibt Kriminalromane. Ein Gespräch über ihr neues Buch „Zeit der Finsternis“.

Autorin Malla Nunn lächselt in die Kamera

„Die Idee, dass sich die Menschen in Gruppen sortieren lassen, mochte ich noch nie“, sagt Malla Nunn Foto: Fiora Sacco

taz.am wochenende: Frau Nunn, „Zeit der Finsternis“ ist Ihr vierter Krimi, der im Südafrika der frühen 1950er Jahre angesiedelt ist. Ihr Ermittler Emmanuel Cooper, eigentlich ziemlich hardboiled, ist gerade Vater geworden. Wie viel Malla Nunn steckt in Emmanuel Coopers Kind?

Malla Nunn: Eine Menge. Ich wurde ein paar Jahre später geboren, in Swasiland. Mein Vater ist etwas dunkelhäutiger als meine Mutter. Er gehörte zu dem Teil der Bevölkerung, den man in der Apartheidzeit coloureds nannte, also alle, die nicht als schwarz und auch nicht als weiß galten. Meine Eltern mussten zu drei verschiedenen Richtern gehen, und alle weigerten sich, ihnen die Heiratserlaubnis zu geben, denn es war für Weiße illegal, Nichtweiße zu heiraten. Wie Kommissar Cooper und seine Frau gehörten meine Eltern also verschiedenen Rassekategorien an.

Sie waren noch Grundschülerin, als Ihre Familie 1970 nach Australien auswanderte. Da hat man doch sicher vieles vergessen?

Na ja, ich war immerhin fast zwölf, als wir das Land verließen. Das waren prägende Jahre. Ich erinnere mich sehr stark daran, wie alles aussah, an Empfindungen und Gerüche. Die Schule, auf die ich ging, war speziell für gemischte Kinder. Wir fühlten uns immer wie ein eigener Stamm. Ich bin in einer ländlichen Gegend aufgewachsen, in einer kleinen, streng religiösen Community. Wir lebten ziemlich rückständig. Trotzdem ging es in Swasiland vergleichsweise liberal zu, denn wir lebten unter britischem Protektorat. Es herrschte zwar, wie unter den Buren im übrigen Südafrika auch, Segregation. Aber immerhin wurde man nicht schon allein deshalb ins Gefängnis gesteckt, weil man untereinander Beziehungen einging.

Ihr Ermittler hat sich diesmal nach Johannesburg versetzen lassen, um bei seiner Frau sein zu können. Dort kommt nach einem brutalen Überfall auf eine weiße Familie in einem der edleren Viertel ein Mann ums Leben. Die Tochter sagt aus, es seien schwarze Jugendliche gewesen. Sie lügt, was Cooper als Einziger bemerkt. Als er deshalb suspendiert wird, ermittelt er weiter. Wie haben Sie sich diesen Typen ausgedacht?

Ich hab überlegt, wie brauche ich ihn? Welche Perspektive soll er auf das Land, in dem er lebt, haben? Ich habe eine Reihe von Verwandten, die Veteranen sind, aus beiden Weltkriegen. Soldat werden war damals fast die einzige Möglichkeit, mal aus dem Land herauszukommen und etwas von der Welt zu sehen. Also machte ich Cooper zu einem Kriegsveteranen. In den blutigen Kriegen in Europa mit ihren zerstörten Landschaften sahen die nichtweißen Soldaten auch, dass es nicht so weit her ist mit der Zivilisiertheit, mit der die Weißen ihre Überlegenheit begründen. Cooper, der zwar als Weißer eingestuft wird, aber als coloured aufwuchs, sollte genau diesen Blick haben.

Woher wissen Sie, wie sich ein südafrikanischer Kommissar damals verhielt?

Im Wesentlichen benutze ich mein Vorstellungsvermögen. Aber ich habe einen Experten in Südafrika, der Expolizist ist. Sein Vater war auch schon Polizist. Dem schicke ich, was ich geschrieben habe, und er korrigiert mich dann.

Sie waren früher Regisseurin. Wie kamen Sie zum Krimi?

Tja, ich bin schwanger geworden. Sie lachen. Aber ich kam gerade aus Südafrika zurück, wo ich eine Dokumentation über meine Mutter gedreht hatte, und hatte diverse Ideen für weitere Filme. Dann ging mir auf, dass ich wohl kaum drehen kann, wenn das Baby erst mal da ist. Ich dachte, hm, auch wenn ich jetzt mehr zu Hause herumhänge, sollte ich vielleicht trotzdem an irgendwas arbeiten.

Person: Malla Nunn wurde im südafrikanischen Swasiland geboren. 1970 wanderte ihre Familie nach Australien aus. Sie studierte Englisch, Geschichte und Theater und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Sydney.

Bücher: 2009 erschien „Ein schöner Ort zu sterben“, es folgten „Lass die Toten ruhen“ (2011) und „Tal des Schweigens“ (2015). „Zeit der Finsternis“ ist der vierte Emmanuel-Cooper-Roman und erscheint im Argument Verlag (Deutsch von Laudan & Szelinskis, 304 Seiten, 13 Euro).

Ihr Schreibstil ist ziemlich visuell. Sie machen sich sogar Gedanken darüber, an welcher Art Ohrringe man schwarze Landeier damals erkennen konnte. Wie recherchieren Sie so etwas?

Das mit den Ohrringen wusste mein Vater. Von den Zuständen in dem Krankenhaus für Nichtweiße, das in „Zeit der Finsternis“ vorkommt, hat mir eine Freundin der Familie berichtet, die dort früher gearbeitet hat. Im Wesentlichen würfele ich Versatzstücke von Oral History zusammen.

Einmal heißt es im Buch, dass schwarzen Bediensteten unter Androhung schwerer Strafen beigebracht wurde, weiträumig um viele Dinge herumzureden, um nicht zu vertraulich zu wirken.

Ja, solche Details sind mir wichtig. Es gibt gerade ziemliche Konflikte in Südafrika. Die einheimischen Schwarzen fragen sich, warum zum Beispiel für Jobs in Restaurants bevorzugt Einwanderer aus Mosambik oder Simbabwe eingestellt werden. Das hat damit zu tun, dass sich die Migranten Weißen gegenüber völlig anders verhalten. Sie sehen den Leuten, die sie bedienen, in die Augen. Das war schwarzen Südafrikanern jahrzehntelang verboten. Das Apartheidsystem hat unheimlich nachhaltig Verhaltensweisen geprägt.

Wie werden Sie eigentlich in Australien gelesen? Ziehen die dortigen Leser eine Verbindung zum Verhältnis von Weißen und Schwarzen im eigenen Land?

Sie lesen meine Bücher, so viel ich weiß, als rein südafrikanische Geschichten. Was erstaunlich ist, denn südafrikanische Offizielle reisten schon Ende des 19. Jahrhunderts nach Australien, um sich abzuschauen, wie man dort die natives räumlich von der weißen Bevölkerung getrennt hat. Die Gründung der Homelands in Südafrika geht auf eine australische Idee zurück. Der Queensland’s Aboriginal Protection Act von 1897 wurde eine Art Blaupause für die verschärften Apartheidgesetze in Südafrika nach 1948. Da gab es eine ziemliche Kumpanei.

Cooper ermittelt diesmal viel in Sophiatown. Was hat Sie an dem Viertel gereizt?

Bis es ab 1955 nach und nach zwangsgeräumt und schließlich niedergewalzt wurde, war Sophiatown wie ein Treibhaus, in dem eine eigenständige afrikanische Kunstszene keimte. Viertel wie diese untergruben die Autorität des Regimes und waren einer der zentralen Gründe für Gesetze wie den Group Areas Act von 1950, mit dem getrennte Wohngegenden für die Bevölkerungsgruppen durchgesetzt wurden. In Sophiatown lebten zahlreiche Schriftsteller und Musiker, es gab die Clubs, den Jazz, Miriam Makeba hat dort gesungen. Es existieren übrigens eine Menge Fotos aus dieser Zeit, was mir beim Schreiben sehr hilft. Dort lebten nicht wenige weiße Frauen mit schwarzen Männern zusammen, und auf den Straßen mischten sich alle Arten von Kindern.

Coopers Blick darauf ist nüchterner.

Ja, denn er ist in dem Viertel aufgewachsen und kennt auch die Schattenseiten, das Verbrechen und die Gangsterclans. Einige dieser Tsotsis nannten sich „The Russians“, andere „The Gestapo“, und wie ihre Namensgeber waren die nicht zimperlich. Es gab starke Probleme mit Alkohol und viel familiäre Gewalt. Jetzt wird Cooper klar: Würde er immer noch da leben, wäre er wahrscheinlich ein größerer Fiesling. Und um einiges hungriger.

Einem Rezensenten waren mal Ihre Erläuterungen über südafrikanische Besonderheiten zu viel. Diesmal erklären Sie viel weniger.

Meine Bücher sind eben keine reine Unterhaltungsliteratur, die eine oder andere Erklärung über Historisches ist da schon nötig. Aber in „Zeit der Finsternis“ geht es stärker als bisher um Persönliches und um die Verhältnisse zwischen Angehörigen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Da kann man mehr voraussetzen. Ich mochte die Idee, dass sich die Menschen in Gruppen sortieren lassen, noch nie. Ich wollte diesmal noch schärfer stellen, um wie viel komplizierter die Dinge liegen, und dass es eigentlich darum geht, wie sich einzelne Leute zueinander verhalten, wie sie zusammenleben. Deshalb auch die enge Freundschaft, die Cooper mit dem schwarzen Kommissar Shabalala und dem jüdischen Arzt Dr. Zweigman, einem Überlebenden von Buchenwald, verbindet. Für die Geschichte von Cooper und seiner Frau reicht es, wenn die Leser wissen, dass es den beiden schlechtgehen wird, falls sie entdeckt werden.

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