Pride Parade in Berlin: „Immer mehr gelten als krank“

Pride-Organisator Sven Drebes über diskriminierende Gesetze für Menschen mit Behinderung und selektierende Schwangerschaftsabbrüche.

Ein roter Herzluftbalon ohne Luft liegt auf dem Boden. Dazu der Schatten eines Menschen, so fotografiert, als hielte er den Balon fest

Feiern für mehr Teilhabe – am Samstag in Berlin Foto: Photocase / Francesca Schellhaas

taz: Herr Drebes, es gibt bereits die UN-Behindertenrechtskonvention und im kommenden Jahr soll in Deutschland ein Bundesteilhabegesetz in Kraft treten, um Menschen mit Behinderungen mehr Selbstbestimmung zu ermöglichen – es scheint, als sei einiges in Bewegung. Warum braucht es die Pride?

Sven Drebes: Die UN-BRK ist in Deutschland zwar seit sieben Jahren in Kraft, das Bild von behinderten und verrückten Menschen ändert sich aber nur langsam. Und es ist auch kein geradliniger Verbesserungsprozess, sondern es gibt immer wieder Rückschritte: Der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen prüft gerade, einen Bluttest auf Downsyndrom zur Krankenkassenleistung zu machen.

Was ist daran problematisch?

Schon heute werden die meisten Schwangerschaften abgebrochen, wenn beim Fötus Trisomie 21 festgestellt wird. Wenn sich Eltern trotzdem für ein Kind mit Downsyndrom entscheiden, müssen sie erklären, warum „so etwas“ sein muss. Der neue Test hat ein viel geringeres Gesundheitsrisiko als die bisherigen. Damit steigt der gesellschaftliche Druck zu selektiven Schwangerschaftsabbrüchen.

Gegen das geplante Bundesteilhabegesetz gab es viel Kritik. Warum?

Bei dem Gesetz ist es alles andere als sicher, ob jeder Mensch die Leistungen bekommen wird, die er braucht. Außerdem sieht der Entwurf vor, dass Kostenträger Menschen weiter zu einem Leben im Heim zwingen können. Freibeträge bei Leistungsbezug sollen zwar steigen, aber wenn ein Mensch im Alltag Assistenz braucht, darf er weiter nur selten ein finanzielles Polster ansparen.

Nicht nur Menschen mit Behinderungen, auch Psychiatrieerfahrene gehen am Samstag auf die Straße – um sich zu feiern, aber auch aus Protest. Worum geht es?

Unsere Kritik zielt auf die steigende Zahl von Menschen mit einer psychiatrischen Diagnose. Dass es mehr Menschen werden, liegt zum einen daran, dass immer mehr Eigenschaften und Verhaltensweisen als krankhaft und von der Norm abweichend definiert werden. Andererseits nehmen der gesellschaftliche Norm- und Leistungsdruck zu. Ein Ausdruck davon sind psychische Behinderungen.

Der Mensch: Sven Drebes, 41, ist aktiv im Bündnis der „Pride Parade - behindert und verrückt feiern“.

Die Veranstaltung: Die Pride-Parade findet am Samstag den 17.09.2016 ab 17 Uhr am Kottbusser Tor vor dem Südblock statt. Neben Redebeiträgen gibt es auch Performances zu Transdiskriminierung, die gehörlose Rapperin DKN tritt mit Hiphop auf und die Goldene Krücke wird verliehen. Sie zeichnet Institutionen aus, die sich mit besonderer Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen hervorgetan haben.

Zeitgleich mit der Pride marschieren am Samstag in Berlin die christlichen Lebensschützer*innen unter dem Motto „Kein Kind ist unzumutbar“. Sie plädieren damit gegen Abtreibungen von Föten, bei denen eine Behinderung vermutet wird. Ist das eine willkommene Unterstützung für die Pride?

Überhaupt nicht. Die „Lebensschützer*innen“ vereinnahmen behinderte Menschen. Denen geht es um die Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen an sich. „Inklusion“ schreiben sie nur für ein besseres Image auf die Transparente. Wir sind gegen Selektion, aber für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

Wie geht das – Selektion verhindern und trotzdem das Bestimmungsrecht der Frau über ihren Körper wahren?

Selektion darf nicht noch einfacher werden. Gleichzeitig müssen behinderte Menschen und Eltern behinderter Kinder endlich die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, ohne um jedes bisschen kämpfen zu müssen, ohne zu verarmen und ohne bemitleidet, verachtet oder zu Helden stilisiert zu werden.

Wie erleben Sie selbst den Kontakt zu nichtbehinderten Menschen?

Früher haben Menschen, wenn sie mich meinten, oft die Person neben mir angesprochen. Das ist seltener geworden, passiert aber immer noch. Wenn sie erfahren, dass ich studiert habe und berufstätig bin, nehmen sie mich anders wahr. Offenbar macht es einen Unterschied, ob man produktiv ist oder nicht. Das muss sich ändern.

Das heißt, weg von einer Leistungsgesellschaft?

Jeder Mensch muss so anerkannt werden, wie sie*er ist, unabhängig davon, was er leisten kann. Das wäre eine wirklich inklusive Gesellschaft.

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