Kolumne Jung und Dumm: Vorbereitungen zum Massenstampf

Warum alle immer joggen gehen, was das mit dem Erwachsenwerden zu tun hat – und mit Eugène Ionescos „Die Nashörner“.

Zwei Nashörner in Rückansicht, die sich aus dem Staub machen

Nashörner! Nashörner! Foto: dpa

Sie rennen. Sie rennen, sie rennen, sie rennen. Warum und wohin und vor was denn nur rennen sie weg? Renn, renn, renn: wie Kellerasseln auf Krokodil.

Sie schwingen die Hufe (auf in den Kampf). Pfeifen, scherzen, singen. Bringen ein Bein vor das andre, bald weiß man es nicht mehr genau: Treiben sie die Gelenke oder die Gelenke sie an?

Sie laufen, schnaufen. Hüpfen, walken, dehnen. Traben, schnauben, machen weiter, haben Kraft.

Sie joggen. Sie sind alle so perfekt. Anmutig gazellieren sie durch den großflächigen Park inmitten der großflächigen Stadt, in der sie sich verfolgen.

Krampflos stampfen

Schweiß läuft ihre stets modischen (nicht etwa: modisch gekleideten) Beine herunter – denn natürlich wissen sie, dass man beim Joggen klamotten-, frisuren-, allürentechnisch nichts falsch machen kann: nichts und doch alles. Der Wettbewerb um's Kit zum Tritt, das immerwährende Sichbeäugen scheint fast noch anstrengender als das Traben selber.

Sie stampfen so krampflos wie selbstverständlich. Nichts und niemand hält sie auf. Sie joggen einfach weiter. Und sind alle so beherrscht und ausgeglichen und balanciert (niemand fällt um). Sie joggen – und ertragen das. „Gestorben beim Survival-Training“ steht auf ihrem Grabstein.

Bestimmt hat ihr Milchreis auch nie Klumpen. Sie wissen, dass man für jede Wurzelhaarklobürste, die man beim Familienausflug im Freilichtmuseum kauft, auch ein entsprechendes Wurzelhaarklobürstenbehältnis braucht.

Sie kochen ihre Nudeln immer mit fünf Litern Wasser und schaffen es, ohne Kleckern zu mampfen. Selbst ihre Freizeit gelingt ihnen. Sie verwirklichen sich. Denn dann sind sie sie.

Sie werden immer mehr.

***

„Eine Nashornarmee, sie stürmen die Straße hinab, immer weiter runter… Er schaut nach allen Seiten. Wie da raus? Wie da raus? … Wenn sie sich wenigstens mit der Straße begnügten! Sie brechen über die Bürgersteige her! Wie da raus? Wohin! …. Ein letztes Mal geht er zum Fenster und schaut hinaus.

Eine ganze Herde von Nashörnern! Und da sagte man noch, dieses Tier ist ein Einzelgänger! Alles falsch, man muß seine Meinung ändern. Sie haben alle Ruhebänke in den Anlagen zerstört. Ringt die Hände. Was tun?

Von neuem geht er auf die verschiedenen Ausgänge zu. Aber die Nashornköpfe hindern ihn. Als er sich wieder vor der Badezimmertür befindet, droht sie nachzugeben. Behringer wirft sich an die Wand hinten, die nachgibt: Man sieht nach draußen. Er entflieht und schreit Nashörner! Nashörner! Lärm, die Badezimmertür gibt nach.“

***

Posteingang: „Sehr geehrter Herr Schulz, da Sie inzwischen volljährig sind darf ich Sie als Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin nicht mehr betreuen, sorry und gute Besserung“. Zeit, erwachsen zu werden.

Die Laufschuhe stehen ja schon ganz oben auf dem windschiefen Ikea-Regal, zwischen ironischen BVG-Postkarten, Rattankörben und gefalteten Jutebeuteln, bereit zum Gebrauch. Morgen lauf ich mit.

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Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.

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