Woran scheitert der muslimische Staatsvertrag in Niedersachsen?: Der Glaubenskrieg

Seit Monaten torpediert die CDU die geplanten Verträge zur Anerkennung der 300.000 Muslime in Niedersachsen. Ein Versuch, die AfD rechts zu überholen?

Warum ist das so schwierig? Seit 10 Jahren plant Niedersachsen den Staatsvertrag mit Muslimen. Foto: dpa

HANNOVER taz | Verfahren, ja festgefahren – anders lässt sich die Diskussion um die Verträge, die Niedersachsens rot-grüne Landesregierung mit den Muslimen schließen will, nicht mehr beschreiben. 2006 angeregt durch Niedersachsens ehemaligen CDU-Regierungschef Christian Wulff, verhandeln Kultusministerium und Staatskanzlei nun schon seit zehn Jahren mit dem Schura-Landesverband der Muslime, dem türkischen Moscheeverband Ditib und den alevitischen Gemeinden.

„Die zweitgrößte Glaubensrichtung in Niedersachsen“ sei der Islam heute, hält der rot-grüne Koalitionsvertrag trocken fest: „Daher wollen wir einen Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden schließen, um Regelungen über das Verhältnis des Landes Niedersachsen zu ihnen zu treffen.“

Zwar enthalten die mittlerweile öffentlichen Vertragsentwürfe viele Regelungen, die CDU-geführte Vorgängerregierungen längst festgeschrieben haben – etwa zum islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen oder zur Schaffung eines Instituts für islamische Theologie an der Uni Osnabrück –, andere, wie die Anerkennung islamischer Feiertage etwa zum Ramadan, haben aber eher symbolischen Charakter: Muslime sollen lediglich das Recht bekommen, bei ihren Arbeitgebern einen freien Tag einzufordern – unbezahlt, versteht sich.

Trotzdem ist zwischen Küste und Harz eine Art Glaubenskrieg um die Verträge entbrannt. Soll das Land den rund 300.000 Muslimen signalisieren, dass es den Islam als Religion ernst nimmt, dass der Glaube an Allah in Niedersachsen ebenso akzeptiert ist wie der Glaube an einen christlichen Gott – oder wie Atheismus?

Oder sind Muslime irgendwie doch Vertreter einer unaufgeklärten, in Teilen dem Extremismus zuneigenden Religion? Sind Niedersachsen mit türkischen Wurzeln, oft vertreten durch den von der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet mitfinanzierten Moscheeverband Ditib, gar eine Art fünfte Kolonne des islamisch-nationalistischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seiner Partei AKP? Das sind die oft nicht in dieser Härte ausgesprochenen, mal mit diffusem Unbehagen, mal mit differenzierten Rechtsgutachten begründeten Fragen.

Auf der Bremse stehen vor allem die Christdemokraten. Ohne deren Zustimmung geht nichts – schließlich hat SPD-Ministerpräsident Stephan Weil klargemacht, dass er die zehnseitigen Verträge erst dann unterschreiben will, wenn alle im Landtag vertretenen Parteien zustimmen.

„Da machen wir nicht mit“, erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende Björn Thümler, kurz nachdem Weils Staatskanzlei dem Landtag 2015 einen ersten Entwurf zugeleitet hatte. „Auf der einen Seite fordert das Bundesverfassungsgericht, dass alle Kreuze aus öffentlichen Schulen müssen; auf der anderen Seite sollen jetzt Gebetsräume eingerichtet werden“, kritisierte Thümler. Dass diese Gebetsräume allen SchülerInnen gleich welcher Religion offenstehen sollten, erwähnte er nicht.

Allerdings: Bedenken gab es auch in Weils eigener Partei. So warnte etwa die SPD-Abgeordnete Thela Wernstedt davor, „eine Religion zu privilegieren – den Islam“ – und musste mühselig auf Linie gebracht werden. Danach wurde die Landesregierung im April von der Abwahl des langjährigen Schura-Landesvorsitzenden und SPD-Mitglieds Avni Altiner kalt erwischt: Sein Nachfolger Recep Bilgen ist auch Mitglied der „Islamischen Gemeinschaft“ Milli Görüș. Die wurde bis 2014 vom Verfassungsschutz beobachtet, gilt als AKP-nah.

Niedersachsens Regierungssprecherin Anke Pörksen sprach daraufhin von einer „Phase der Neubesinnung“ – und musste sich vom einstigen FDP-Minister Stefan Birkner prompt vorhalten lassen, die Verträge seien eben nicht sauber und rechtsfest formuliert: „Was machen Sie eigentlich, wenn die katholische Kirche einen Papst wählt, der Ihnen nicht passt? Kündigen Sie dann das Konkordat?“, fragte Birkner spöttisch. Weil konterte, Milli Görüş habe sich positiv entwickelt – schließlich habe der Verfassungsschutz seine Beobachtung ja eingestellt.

Ende Mai legte CDU-Chef Thümler dann noch einmal nach. In einem 14-Punkte-Papier forderte seine Landtagsfraktion, die muslimischen Gemeinschaften sollten sich zu einer „negativen Religionsfreiheit“ bekennen – also garantieren, dass Anhänger des Islams zu Atheisten oder Christen werden können. Dabei erkennen auch christliche Religionsgemeinschaften einen Austritt kirchenrechtlich nicht an. Außerdem müssten die muslimischen Verbände sicherstellen, dass sie nicht von ausländischen Regierungen beeinflusst werden können. Auf den Ruf Muezzins an Moscheen sollten sie doch bitte „freiwillig“ verzichten.

Nachdem selbst beim grünen Landesparteitag eine Mehrheit für Änderung der Verträge gestimmt hatte, besserten Kultusministerium und Staatskanzlei nach: Die CDU-Forderung nach „negativer Religionsfreiheit“ ist enthalten, von Gebetsräumen an Schulen ist keine Rede mehr. Dennoch hat die CDU-Landtagsfraktion Anfang August einstimmig beschlossen, aus den Verhandlungen auszusteigen. Die Begründung: Besonders Ditib stehe Präsident Erdoğan, der in der Türkei seit dem Militärputsch im Juli eine Politik massiver Gleichschaltung betreibt, zu nahe. „Ditib-Imame werden als türkische Beamte aus der Türkei in die hiesigen Moscheen entsandt, und Predigten werden zentral vorgegeben“, sagt Thümler.

Unterstützt wird der CDU-Mann dabei etwa vom Vorsitzenden des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden, Michael Fürst: Ditib sei „eben nicht unabhängig“ von Erdoğans Staatsapparat, so Fürst zur taz.

Bedenken gibt es auch bei den atheistischen Bürgerrechtlern der Humanistischen Union: Schon die Form eines „allgemeinen Vertrages zwischen dem Staat und Religionsgemeinschaften über die gegenseitigen Rechte und Pflichten“ sei rechtlich „unzulässig“, argumentiert deren niedersächsischer Sprecher Johann-Albrecht Haupt. Wenn überhaupt, müssten solche Vereinbarungen in Gesetzesform gegossen werden.

Die Unterzeichnung der Verträge liegt erst einmal auf Eis: In einem „Dialogprozess“ will Rot-Grün in den kommenden Monaten für sie werben. Trotzdem ist der Frust innerhalb der muslimischen Verbände groß: Gerade der Christdemokrat Thümler spreche nicht mit, sondern nur über die Muslime, schimpft Ditib-Landesgeschäftsführerin Emine Oğuz in einem offenen Brief an den Fraktionsvorsitzenden. Vor den Kommunalwahlen Mitte September sollten damit offenbar „pauschale AfD-Parolen“ entkräftet werden.

„Enttäuschend“ sei die Absage der zahlenmäßig größten Landtagsfraktion, sagte auch der Schura-Vorsitzende Bilgen zur taz – schließlich hätten Ditib und Schura bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts oder der Einrichtung des Osnabrücker Islam-Instituts „hervorragend“ mit CDU-Regierungen zusammengearbeitet.

Hinter den Kulissen hoffen SPD und Grüne jetzt auf einen Führungswechsel bei der CDU. Sollte sich, wie von Vielen erwartet, Ex-Kultusminister Bernd Althusmann als Spitzenkandidat für die Anfang 2018 anstehende Landtagswahl durchsetzen, könnte der auf einen liberaleren Kurs setzen, glauben viele: Schließlich unterstützen auch hochrangige Kirchenvertreter wie der protestantische Landesbischof Ralf Meister die Islam-Verträge ausdrücklich.

Von grundsätzlicher Ablehnung ist das Verhältnis zwischen CDU und Ditib ohnehin nicht geprägt: Zur Kommunalwahl am 1. September werden gleich drei Vertreter der Religionsgemeinschaft für die Partei antreten.

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