Holocaust-Verharmloser freigesprochen: Dichtung und Wahrheit

Das Oberlandesgericht Naumburg spricht den NPD-Mann Hans Püschel auf skandalöse Weise frei. Auch Historiker irritiert das Urteil.

Auschwitz II-Birkenau in Brzezinka, Polen.

Nur einer von Püschels bizarren Versen: „Auschwitz, Majdanek – wann platzt die nächste Lüge?“ Foto: dpa

BERLIN taz | Paragraf 130, Absatz 3 des Strafgesetzbuches lässt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Bestraft wird demnach, „wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung“ des Völkermords „in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, […] billigt, leugnet oder verharmlost“. Die Höchststrafe für dieses Verbrechen beträgt fünf Jahre Haft.

Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg hat mit Beschluss vom 22. Oktober 2015 – wie erst jetzt bekannt wurde – den ehemaligen Bürgermeister von Krauschwitz, Hans Püschel, vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen und damit Beschlüsse des Amtsgerichts Weißenfels und des Landgerichts Halle aufgehoben.

Der Angeklagte war von diesen Gerichten zu einer Geldstrafe in Höhe von 3.000 Euro verurteilt worden. Püschel trat im Jahr 2010 von der SPD zur NPD über. Aussagen von ihm zeigen das Bild eines notorischen Antisemiten, der glaubt, die Bundesrepublik werde heute vom Judentum unterdrückt, und meint, Deutschland habe den Zweiten Weltkrieg verhindern wollen.

„Der Mythos und der Holocaust, das sind zwei große Dinger. Und wem’s davon nicht artig graust, der ist ein schlimmer Finger!“ So beginnt ein „Gedicht“ Püschels, das bei dem Prozess verhandelt wurde. Die Richter am OLG Naumburg haben sich in der Urteilsbegründung tief in eine Textexegese begeben und kamen zu dem Schluss, dass der Angeklagte den Begriff Mythos „nicht in der Bedeutung einer falschen Vorstellung oder eines Ammenmärchens verwendet hat“. Er habe sich vielmehr auf die identitätsstiftende Bedeutung des Begriffs für die Bundesrepublik bezogen.

Gericht rügte Vorinstanzen

„Die böse Mär’aufs Altenteil! Fort mit der düst’ren Wolke“, „dichtete“ Püschel weiter. Das OLG Naumburg schreibt in seinem Freispruch dazu: „Zu Recht weist die Verteidigung darauf hin, dass mit dem Wort Mär in aller Regel die Erzählung einer Geschichte verbunden ist. Dass diese unwahr oder erfunden sein soll, ergibt sich hieraus nicht.“ Die Vorinstanzen hätten sich nicht hinreichend mit möglichen anderen Auslegungsmöglichkeiten der Texte auseinandergesetzt, rügt das OLG in seiner Urteilsbegründung.

Keine Volksverhetzung erkannten die Naumburger Richter weiterhin in Sätzen wie „Die seit Kindesbeinen gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!“ oder „Auschwitz, Majdanek – wann platzt die nächste Lüge?“

Das Gericht hat einem notorischen Verharmloser Harmlosigkeit attestiert

Die unteren Instanzen der Justiz hätten zu wenig beachtet, dass sich Püschel dabei darauf bezogen habe, dass in Studien die Zahl der Opfer in Vernichtungslagern auch nach unten korrigiert worden seien.

Wenn Richter Germanisten und Historiker spielen

Richter sind Juristen. In diesem Urteil aber haben sie geglaubt, Germanisten und Historiker spielen zu können. In ihrer Gesamtheit volksverhetztende Texte wurden so in einzelne Formulierungen zerlegt, denen anschließend Harmlosigkeit unterstellt wurde. Wissenschaftliche Debatten über die Opferzahlen des Holocaust in einzelnen Mordstätten, bei denen diese nach unten, aber durchaus auch nach oben korrigiert wurden, hat das Gericht genutzt, um einem notorischen Verharmloser des Massenmords selbst Harmlosigkeit zu attestieren.

Die Welt zählte 16 volksverhetzende Passagen in den Texten Püschels, um die es vor dem Gericht ging. Die Zeitung weist zu Recht darauf hin, dass ein Oberlandesgericht nicht irgendeine Justizbude ist, sondern eine Instanz mit Gewicht, von denen es in Deutschland nur 24 gibt.

„Der Beschluss billigt typische revisionistische Positionen“, erkennt der Direktor der Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Hans-Christian Rasch. Der Historiker Christoph Jahr von der Humboldt-Universität in Berlin zeigte sich in der Welt über den „sehr wohlwollenden Grundton des Senats gegenüber den Ausführungen des Angeklagten“ irritiert.

Man wünschte sich, die Richter wären bei ihrem Metier geblieben und hätten uns dieses unselige Kapitel Rechtsgeschichte erspart.

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