Debatte Flüchtlinge und Antisemitismus: Kennenlernen statt Panikmache

Viele Flüchtlinge haben antisemitische Vorurteile. Doch gerade bei ihnen könnte die Geschichte der Verfolgung deutscher Juden auf Empathie stoßen.

Eine Lehrerin spricht beim Deutsch-Unterricht im Integrationskurs mit zwei Schülern

In Deutschland fehlen Angebote, die über jüdisches Leben informieren Foto: dpa

Der Ton in der Flüchtlingsdebatte wird zunehmend rauer, vor allem in Bezug auf das Thema Antisemitismus. Die eine Seite meint, die größtenteils muslimischen Geflüchteten würden den Antisemitismus nach Deutschland bringen – als ob der Antisemitismus nach 1945 in Deutschland überwunden worden wäre. Die andere Seite meint, das Problem liege nicht bei den Muslimen oder Flüchtlingen, sondern komme aus der Mitte der Mehrheitsgesellschaft – als wäre der Antisemitismus in weiten Teilen der muslimischen Welt eine bloße Erfindung.

Diese starren Positionen werden weder der Komplexität des Problems gerecht, noch helfen sie, Lösungen zu entwickeln. Der Großteil der Flüchtlinge stammt aus Syrien, Irak und Afghanistan. Ländern, in denen das antisemitische Klima so stark war und ist, dass nahezu die gesamte jüdische Bevölkerung vor Jahrzehnten vertrieben wurde oder fliehen musste. Gar nicht zu reden vom Hass auf Israel, der in diesen Ländern und fast im gesamten Nahen Osten Staatsräson ist.

Bereits 2009 hat eine Umfrage des PEW-Meinungsforschungsinstituts feststellen können, dass in der arabischen Welt negative Ansichten über Juden zu nahezu 100 Prozent vorherrschen. Neuere Untersuchungen bestätigen dies. Kein Wunder, dass viele in der jüdischen Gemeinschaft besorgt sind über das Radikalisierungspotenzial bei einzelnen Flüchtlingen. Spätestens jedoch seit den Anschlägen von Würzburg und Ansbach wird diese Sorge gesamtgesellschaftlich geteilt. Es gibt immer mehr Stimmen, die fordern, dass das Pro­blem ernst genommen wird, bevor es zu einer Verschmelzung mit den bereits in Deutschland vorhandenen antisemitischen Einstellungen kommt.

Herausforderung für alle

Es ist eine Herausforderung, die damit anfängt, dass die Vielfalt jüdischen Lebens in deutschen Schulen kaum vermittelt, Israel in Schulbüchern laut einer Studie des Georg-Eckert-Instituts verzerrt und einseitig dargestellt wird und angehende Lehrkräfte in ihrer Ausbildung kaum Wissen über den Holocaust vermittelt bekommen.

Angesichts dieser offenen Baustellen muss die Frage gestellt werden, welche Werkzeuge entwickelt werden müssen, um antisemitischen Ressentiments auch bei Flüchtlingen entgegentreten zu können. Hierbei hilft uns keine und Panikmache à la AfD, die übrigens selbst wenig Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in den eigenen Reihen hat.

Panikmache à la Alternative für Deutschland hilft ­niemandem weiter

Was uns hilft, sind konkrete Maßnahmen. Es bestehen jetzt sogar einmalige Gelegenheiten. Denn solange die Neueinwanderer Sprach- und Integrationskurse durchlaufen, kann man ihnen demokratische Werte vermitteln und sie über jüdisches Leben und die Bedeutung Israels für Deutschland aufklären. Gerade auch weil ein nicht unerheblicher Anteil der Flüchtlinge selbst aufgrund seiner ethnischen und religiösen Herkunft oder sexuellen Orientierung der Verfolgung in der Heimat ausgesetzt war, könnten solche Ansätze auf besonders fruchtbaren Boden fallen.

Konzepte entwickeln

Doch dafür gibt es weder genug Angebote noch Leitlinien. Unterstützung kommt aber aus der migrantischen Gemeinschaft. Die Alevitische Gemeinde Deutschland hat jüngst eine sehr gute pädagogische Handreichung gegen Antisemitismus und Salafismus erstellt, Deutschtürken engagieren sich leidenschaftlich in der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, führende kurdische und jesidische Vertreter ergreifen Partei für ihre jüdischen Nachbarn, und das neu gegründete Muslimische Forum Deutschlands fordert die dringende Entwicklung von Konzepten zur Vermittlung demokratischer Werte. Auch das AJC und die Zentrale Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland sind aktiv und unterstützen die israelische Organisation IsraAid und ihre jüdischen, drusischen und arabischen ­Ehrenamtlichen dabei, Flüchtlingen zu helfen und durch die Kraft der Begegnung Vorurteile abzubauen.

Trotz solcher Initiativen hat die Ankunft von fast zwei Millionen Flüchtlingen einen Mangel an Netzwerken und Organisationen zutage gebracht. Obgleich viele der „alteingesessenen Migranten“ in Deutschland Außergewöhnliches für die Flüchtlinge leisten, fehlt es an Plattformen für gemeinsamen Austausch darüber, wie die Integration und Teilhabe von Minderheiten an der Gesellschaft noch besser gelingen kann.

Diese Lücke hat die deutsch-jesidische Journalistin Düzen Tekkal, die einen bemerkenswert aufwühlenden Film über das Schicksal der Jesiden im Irak und das Leben der Jesiden in Deutschland gedreht hat, aufgespürt. Durch die Ankunft der jesidischen Flüchtlinge ist ihr klarer geworden, dass die bestehende jesidische Gemeinschaft in Deutschland sichtbarer werden muss, um den Neuankömmlingen zu helfen. Zusammen mit anderen hat sie den Verein „Hawar“ (Hilfe) gegründet, der eine Brücke zwischen den alten und neuen Einwanderern und der Mehrheitsgesellschaft schafft.

Islamismus findet Anklang

Auch das von Ramazan Salman geleitete Ethno-Medizinische Zentrum in Hannover, das Beratung von Mi­gran­ten für Migranten anbietet, kann Vorbild für eine wirksame Empowermentstrategie sein. Für Düzen Tekkal wie auch für Ramazan Salman ist dabei der Kampf gegen Antisemitismus selbstverständlicher Teil ihrer Arbeit, weil er zu ihrem Grundverständnis von Demokratie gehört.

Es braucht mehr solcher Initiativen, um zu verhindern, dass Salafisten und andere Islamisten mit ihren demokratiefeindlichen und autoritären Strukturen die Oberhand gewinnen. Wie wir in Ansbach und Würzburg gesehen haben, findet die islamistische Ideologie auch ohne Anwerbeversuche durch hiesige Salafisten bei einzelnen Flüchtlingen Anklang.

Worauf warten wir also? Die Bundesregierung sollte diese Vorbilder mit Flüchtlingen und anderen Experten an einen Tisch bringen und zuhören, welche politischen und pädagogischen Maßnahmen gebraucht werden, um die Demokratie zu stärken und gegen Antisemitismus anzugehen. So ein Runder Tisch wäre ein starkes Signal nicht nur für Juden, sondern für alle Minderheiten, die für die freiheitliche und demokratische Wertegemeinschaft Partei ergreifen.

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