Kolumne Nach Geburt: Neoliberaler Kinderfußball halt

Schluss mit der Leistungsdruckscheiße. Statistisch fällt Ihr Kind eher beim Schuhebinden vor den Bus, als dass es Fußballprofi wird.

Draxler, Podolski und Schweini zusammen bei der Euro2016

Sind sie nicht toll, unsere Jungs? Schade, denn Ihr Kind wird eh nicht wie die Foto: reuters

Liebe Eltern, ich muss Sie leider schon wieder enttäuschen: Ihr Kind wird kein Fußballprofi. Ruhm, Reisen, die Versorgung der Familie, alles in den Wind. Das ist bitter. Tschulli. Ich hasse es, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein, aber einer muss es Ihnen ja sagen.

Warum ich mir so sicher bin? Statistik. In Deutschland wurden 2015 737.630 Kinder geboren. Es gibt aber nur 1.500 Fußballprofis. Gehen wir mal davon aus, dass sich diese Profis aus 15 Jahrgängen rekrutieren, dann heißt das, dass von den 737.630 Babys des Jahrgangs 2015 nur 100 Erwachsene mit Hauptberuf Fußball werden. Wahrscheinlichkeit: 0,013 Prozent.

Woher ich außerdem weiß, dass Ihr Kind sein Glück lieber im Rechnen oder Schreiben oder Seilspringen suchen sollte? Weil es möglicherweise bereits elf Jahre alt ist und noch kein außergewöhnliches Fußballtalent festgestellt wurde. Die Wahrscheinlichkeit, Fußballprofi zu werden, liegt jetzt bei 0,00021 Prozent oder so. Dass man beim Schuhezubinden vor den Bus fällt, dürfte realistischer sein.

Trotzdem dreht bei allzu vielen Fußballeltern der Ehrgeizmotor auf Hochtouren. Bei einem mir wohlbekannten Verein in einer mir wohlbekannten Mannschaft ist vor Kurzem der Trainer rausgeflogen. Er hatte zu sehr das Leistungsprinzip in den Vordergrund gestellt: Kinder, die im Spiel einen Fehler gemacht hatten, zur Strafe aus- und nicht wieder eingewechselt; zu schwache Spieler aus dem Team geschmissen – und darüber erst alle anderen Kinder informiert und dann den armen Jungen. Was man halt so macht im neoliberalen Kinderfußball.

Doch statt den Entscheidern im Verein für ihren Einsatz wider den Leistungsdruck lobend die Schultern weichzuklopfen, rebellierten die Eltern. Sie forderten Druck, Druck, Druck! Von nichts kommt schließlich nichts. Vier verließen gar den Klub. Andere verlangten, zukünftig ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Trainings zu bekommen.

Haben Eltern nichts Besseres zu tun, als die Trainingspläne von Elfjährigen zu studieren?

Haben die nichts Besseres zu tun, als die Trainingspläne von Elfjährigen zu studieren? Was erwarten die vom Fußball? Dass die Kinder aufs echte Leben vorbereitet werden? So ein Mist. Was ist das überhaupt, das echte Leben? Etwa diese ganze Leistungsdruckscheiße? Die werden die Kinder noch früh genug kennenlernen.

Wie gerne wäre ich bei dieser Elternversammlung dabei gewesen. Ich wäre aufgestanden und hätte darum gebeten, bitte weniger in die Trainingsgestaltung eingebunden zu werden. Ich hätte zugegeben, dass ich faul bin und nicht alles wissen muss, was meine Kinder so treiben. Ich hätte noch darum gebeten, dass die Trainer bitte nett zu den Kindern seien, sie nicht quälten, dafür sorgten, dass sie sich bewegten – und gut. Absteigen könnten sie gerne. Wäre mir egal.

Meine Kinder werden eh keine Fußballprofis. Warum ich das weiß? Statistik. Woher ich das noch weiß? Meine Tochter eins steht sich dafür schon genug selbst im Weg. Ihre Leidenschaft liegt ganz woanders. Morgens begrüßt sie das Streichfett mit: „Hallo Butter, da bist du ja, du süße Maus.“

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Ist heute: Redaktionsleiter bei Übermedien und freier Autor. War mal: Leiter des Ressorts tazzwei bei der taz. Davor: Journalistik und Politikwissenschaft in Leipzig studiert. Dazwischen: Gelernt an der Axel Springer Akademie in Berlin.

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