Menschenketten gegen Rassismus: Hand in Hand

Zehntausende demonstrieren in vielen Städten Deutschlands. Aufgerufen hatte ein Bündnis von Pro Asyl bis zum DGB.

Menschen stehen entlang einem rot-weißen Absperrband, davor eine weißer Streifen Papier, auf dem Schuhe aufgereiht sind

Teilnehmer_innen von Refugee Strike bei der Menschenkette in Bochum Foto: Refugee Strike Bochum/dpa

MÜNCHEN/BERLIN taz | „Ich stehe hier, weil ich Bratwurst mag“, sagt die Rentnerin Elfriede in München und isst. „Und weil gegen Rassismus sein cool ist.“ Elfriede hält Händchen mit dem kleinen Lukas, 9, und ihrer Tochter Sigmunde, 42.

Elfriede, Sigmunde und Lukas sind Teil einer Menschenkette, die sich diesen Sonntag vom Stachus aus durch die gesamte Münchner Innenstadt zieht. Vorbei an drei Kirchen, der Israe­litischen Kultusgemeinde und dem Münchner Forum für Islam. Zwischen 4.000 und 6.000 Teilnehmer werden gezählt.

„Hand in Hand gegen Rassismus“: Unter diesem Motto hatten knapp 40 Organisationen bundesweit dazu aufgerufen, „Menschenketten der Solidarität“ um religiöse und kulturelle Einrichtungen zu bilden, darunter Amnesty International, Pro Asyl, der Lesben- und Schwulenverband (LSVD), Campact! und der DGB. „Für ein weltoffenes, menschliches und vielfältiges Deutschland und Europa“, heißt es im Aufruf. „Fluchtursachen bekämpfen“, „Waffenexporte stoppen“ und das Recht auf bezahlbaren Wohnraum und Zugang zu Bildung und Arbeit für alle sind Forderungen.

Die Menschenkette in München ist eine der größten. In Osnabrück und Münster treffen sich jeweils 1.000 Menschen, in Karlsruhe 1.500, ebenso in Leipzig. In Bochum demonstrieren rund 4.000 Menschen. Insgesamt zählen die Veranstalter 33.000 Demonstranten, und da ist Hamburg, wo die Protestaktion später startet, noch nicht mitgezählt. Das sei ein starkes Zeichen gegen Rassismus und für ein weltoffenes und vielfältiges Deutschland, erklären die Organisatoren.

Es muss in den Köpfen gären

In Berlin bilden am Sonntagnachmittag zwischen 5.000 und 9.000 Personen eine 6,5 Kilometer lange Kette vom Roten Rathaus in Mitte bis zum Kottbusser Tor in Kreuzberg. Vor der Bühne steht Barbara John (CDU) und wartet auf ihre Rede. Sie war einmal die erste Ausländerbeauftragte Berlins, heute sollte die 78-Jährige eigentlich im Ruhestand sein. Stattdessen ist John Ombudsfrau für die Opfer der NSU-Terroristen und sitzt dem Paritätischen Wohlfahrtsverband vor.

Frau John, hätten Sie vor einem Jahr gedacht, dass so eine Veranstaltung nötig ist? „Nein“, sagt sie. Was ist passiert? „Das Selbstverständlichste fehlt unserem Land: Sicherheit im Zusammenleben“ Deshalb stellt sie sich auf die Bühne. Sie spricht langsam, monoton, als hätte sie die Sätze schon oft gesagt. Hat sie auch. Sie glaubt, es muss wieder anfangen zu gären in den Köpfen, Sicherheit, die gibt es nur, wenn alle dafür Verantwortung übernehmen. John will, dass sich die Zivilgesellschaft wieder zeigt, dass man einander zuhört.

Die, um die es geht, sind in Berlin nicht anwesend. Es reden Vertreter der klassischen Verbände, Reiner Hoffmann, der DGB-Vorsitzende, Bischof Markus Dröge, Berliner Abgeordnete. Die vielen neuen Ini­tiativen, die sich seit dem letzten Jahr für Geflüchtete engagieren, fehlen im Bündnis. Betroffene sprechen in Bochum und in Hamburg – in Berlin nicht. „Das ist so, leider“, sagt Emmes Ehlbeck, einer der Sprecher der Veranstaltung.

Barbara John

„Das Selbstverständlichste fehlt: sicheres Zusammenleben“

Am Rand der Bühne haben zehn Damen Platz genommen, auf Klappstühlen und Rollatoren. Sie tragen ihre Haare blondiert oder unter Kopftüchern verborgen. Sie kommen aus Berlin-Wedding. Einmal wöchentlich treffen sie sich, sagt eine von ihnen. Um zu diskutieren – mal über Politik, mal über Armut. Sie alle sind Türkinnen. „Bis auf sie“, sagt die Dame und zeigt auf die Frau neben sich. Die trägt ein Schild, „Wir wollen gleiche Rechte“, steht darauf. „Die ist Griechin.“

Günter Burkhardt wartet nicht, bis er angesprochen wird. Zielgerichtet geht er auf diejenigen zu, die aussehen wie Journalisten. Er ist der Leiter der Füchtlingsorganisation Pro Asyl. „Die Situation in Deutschland ist bedrohlich“, sagt er. Gesetzesverschärfungen im Stakkato, die europäische Koalition der Grenzschließer, von Viktor

Orbán über Alexis Tspiras und Horst Seehofer. Bis hin zu Angela Merkel. Burkhardt fehlen die, die intervenieren. „Das verstehe ich nicht“, sagt er. Er schaut herüber auf den Oranienplatz, dorthin, wo sich die Menschen versammeln. Lange Schlangen bilden sich vor den Ständen der SPD und der Grünen. Dort gibt es Luftballons.

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