Kommentar Merkels Reaktion auf Orlando: Keine große Solidaritätsgeste

Die Kanzlerin spricht von Toleranz anstatt von Akzeptanz. So garantiert man Lesben und Schwulen nicht die gleichen Rechte wie allen anderen.

Passanten legen in Berlin vor der Botschaft der USA am Brandenburger Tor im Gedenken der Opfer des Attentats in Orlando Blumen nieder

In Deutschland blieb die große Trauer aus – selbst in der LGBT-Community Foto: dpa

Schön wäre gewesen: „Wir werden unser schwules und lesbisches Leben fortsetzen.“ Tatsächlich sprach Angela Merkel nur vom „offenen und toleranten Leben“, das von dem Attentat eines US-Amerikaners in einem LGBT-Club in Orlando nicht beeinflusst werde. Dass der Kanzlerin die Worte „schwul“, „lesbisch“ oder gar „LGBT“ nicht über die Lippen gehen in Zusammenhang mit einer großen Solidaritätsgeste, steht für ihre Politik.

Immer wieder forderte etwa der Lesben- und Schwulenverband die Kanzlerin auf, nicht von Toleranz zu sprechen, wenn es um Akzeptanz gehen müsse. Wer andere toleriert, kann mit ihnen ganz gut zusammenleben. Aber man garantiert ihnen nicht die gleichen Rechte. Oder um es mit den Worten der Kanzlerin zu sagen: „Für mich persönlich ist Ehe das Zusammenleben von Mann und Frau. Das ist meine Vorstellung.“

US-Präsident Obama reagierte ganz anders: Lesben, Schwule, Bisexuelle oder Transpersonen seien „fellow Americans“, Mitbürger_innen. Dass er genau benennt, wer in Orlando getroffen wurde, trägt dazu bei, die Opfer und ihre Identität sichtbar zu machen. Es ist ein wichtiger Schritt hin zu echter Gleichberechtigung.

Nicht nur Angela Merkel reagierte vergleichsweise verhalten auf den Anschlag in Orlando. Obwohl das Thema in den deutschen Medien seit Sonntagmittag nach und nach immer mehr Raum einnahm, blieb die große Trauer aus – selbst in der LGBT-Community. Ein paar Sträuße vor der US-Botschaft, ein Marsch von nur etwa hundert Personen durch Neukölln und Kreuzberg – während in London tausende Menschen auf die Straße gingen, um sich und das Leben zu feiern.

Vielleicht sitzt der Schock zu tief. In einzelnen Gesprächen fließen durchaus Tränen, kommt Verwunderung über die eigene Community zum Ausdruck – und wird Enttäuschung formuliert über eine Kanzlerin, die es noch immer nicht schafft, Schwulen und Lesben die gleichen Rechte zu garantieren wie allen anderen auch.

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Stellvertretende Chefredakteurin der taz seit April 2016. Vorher Chefredakteurin des Missy Magazine. Aufgewachsen in Dresden. Schreibt über Kultur, Feminismus und Ostdeutschland. In der Chefredaktion verantwortlich für die digitalen Projekte der taz. Jahrgang 1985.

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