Schlacht um Falludscha im Irak: „Sie wollten Rache“

Flüchtlinge aus der Stadt Falludscha sprechen von Folter durch schiitische Milizionäre. Diese kämpfen für die Regierung in Bagdad.

Soldaten der irakischen Armee in der Nähe von Falludscha im Februar

Die irakische Armee scheint den schiitischen Milizen militärisch unterlegen Foto: dpa

KAIRO taz | Seit über zwei Wochen tobt nun die Schlacht um Falludscha. Meter für Meter arbeitet sich die irakische Armee gegen die Stellungen des „Islamischen Staats“ (IS) vor. Aber den größten Erfolg feierten bisher die schiitischen Milizen, die den Regierungstruppen zu Seite stehen. Sie eroberten vor wenigen Tagen den Vorort Saqlawiya, sieben Kilometer nordwestlich von Falludscha.

Doch nun tauchen Berichte auf, dass schiitische Milizionäre die von ihnen auf ihrem Vormarsch gefangengenommen sunnitischen Zivilisten schlagen und foltern. Eines der Handyvideos, das in den vergangenen Tagen aufgetaucht ist, zeigt einen schiitischen Milizionär, der auf eine Gruppe am Boden liegender Männer einprügelt. „Sagt, dass ihr Männer aus Falludscha schwache Weiber seid“, fordert er. Die Männer rufen es ihm nach. „Lauter“, schreit der Milizionär und prügelt weiter auf die Gefangenen ein.

Ein anderes Video zeigt eine Gruppe zum Teil verletzter Männer auf einer Militärbasis östlich von Falludscha. Über 600 harren dort ihres Schicksals, berichtet Sheikh Raja al-Issawi, ein lokaler sunnitischer Politiker, gegenüber Journalisten. Vier sollen ihren Verletzungen erlegen sein. „Sie haben uns regelrecht abgeschlachtet, sie haben behauptet, wir seien IS-Kämpfer“, sagt einer der Männer. Ein weiterer berichtet: „Wir haben ihnen gesagt, wir stehen auf ihrer Seite, aber sie haben gesagt, wir seien vom IS, und sie wollten Rache.“ Ein anderer Mann drängt sich vor: „Die Milizen sind gekommen, um uns zu töten, nicht um uns zu befreien.“

Lokale sunnitische Politiker fordern eine internationale Untersuchung. Sunnitische Aktivisten sprechen von 300 Menschen, die in einer Schule in Saqlawiya von den Milizionären exekutiert worden seien. Überprüfen lässt sich das nicht. Führer der schiitischen Milizen streiten die Vorwürfe ab. „Wir sind nicht berechtigt, irgendjemanden gefangen zu nehmen. Wir helfen nur den Flüchtlingen aus Falludscha“, sagt Haider Mayahii, ein Sprecher der von Schii­ten dominierten „Volksmobilisierungskräfte“.

50.000 Zivilisten noch in der Stadt

Es ist schwer, die Wahrheit zu erkunden. Aber eines ist jetzt schon sicher: Die Videos haben einen verheerenden Effekt. Zwar haben schiitische Milizen Erfolge bei der Eroberung von Gebieten unter der Kon­trol­le des IS, aber dafür zahlt die Regierung in Bagdad einen hohen Preis. Denn je mehr sich Geschichten von schiitischen Milizen verbreiten, die in den Dörfern rund um Falludscha wüten sollen, umso mehr geht die Rechnung des IS auf, sich als Schutzmacht der Sunniten im Irak zu verkaufen.

Die Regierung steckt in einem Dilemma. Die schiitischen Milizen sind militärisch wesentlich schlagkräftiger als die reguläre irakische Armee, die allein kaum fähig zu sein scheint, Falludscha zurückzuerobern. Die Zentralregierung in Bagdad braucht die schiitischen Milizen im Kampf gegen den IS. Aber schiitische Milizen, die in sunnitische Dörfer und Städte einfallen, stellen gleichzeitig ein politisches Desaster dar. Bis zu 50.000 Zivilisten sollen sich noch in Fallu­dscha und Umgebung aufhalten, schätzen humanitäre Organisationen.

Inzwischen scheint es eine Vereinbarung zu geben, derzufolge die schiitischen Milizen nicht mehr an der direkten Eroberung Falludschas beteiligt werden sollen. Letztlich wird die Regierung wahrscheinlich einen militärischen Erfolg in Falludscha erzielen und doch eine politische Niederlage einstreichen – wenn sich die sunnitische Bevölkerung angesichts des Einsatzes der schiitischen Milizen noch mehr vom irakischen Staat entfremdet hat.

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