„OMGYes“-Gründer über weibliche Lust: „Es gibt noch so viel zu entdecken“

Die US-Website „OMGYes“ erklärt die sexuellen Wünsche von Frauen per Video und Touchscreen. Ein Service, der vor allem Älteren gefällt, sagen die Macher der Seite.

Eine Frau befriedigt sich selbst, zu sehen ist aber nur ihr Kopf, eine Hand und ein Stück Bein

In Kreisen oder ovalen Streichbewegungen – jede Frau mag's anders Foto: OMGyes

taz: Frau Daniller, Herr Perkins, mit OMGYes haben Sie eine Onlineplattform entwickelt, auf der Frauen erzählen und auch zeigen, wie sie beim Sex stimuliert werden möchten. Warum?

Lydia Daniller: Rob und ich, wir kennen uns schon aus dem College. Damals haben wir in unserer Clique immer ziemlich offen über Sex gesprochen, auch explizit darüber, was uns genau Spaß macht. Diese Gespräche waren für uns alle sehr hilfreich. Also wollten wir eine Webseite machen, die genau so funktioniert.

Rob Perkins: Gleichzeitig haben wir gemerkt, dass es keine wissenschaftliche Forschung zu diesem Thema gibt. Als wir nachfragten, warum das so ist, lautete die Antwort: Jede Frau ist anders, das lässt sich nicht erforschen. Andere fanden, dass weibliche Lust gar nicht erforscht werden solle, damit sie mysteriös bleibt. Auch ist es unmöglich, Forschung zu diesem Thema über Zuschüsse zu finanzieren. Das Thema ist tabu. Zumindest in den USA.

Warum ist das so?

Perkins: Weil das Thema tatsächlichem Sex zu nahe kommt. Pharmaunternehmen untersuchen lieber sexuelle Störungen und entwickeln Heilmittel dafür. Das öffentliche Gesundheitswesen interessiert sich für Risiken und wie man diese vermeiden kann. Aber wenn es um die tatsächlichen Techniken geht, eine Frau zu berühren, wird es ungemütlich.

Stimmt. Ging mir auch so. Auf Ihrer Webseite kann man Frauen unmittelbar zwischen die Beine gucken und sich von ihnen erklären lassen, wie eine bestimmte Stimulationstechnik funktioniert. Anschließend kann man die beschriebene Technik via Touchscreen ausprobieren. Das ist befremdlich. Worin besteht der Unterschied zur Pornografie?

Daniller: In der Absicht: Uns geht es darum, die Leute weiterzubilden; ihnen ein Mittel an die Hand zu geben, mit dem sie Lust erforschen und Neues ausprobieren können. Es geht um einen realistischeren Blick auf weibliche Lust und darum, was sich gut anfühlt. Es mag einige Pornos geben, die das auch tun. Aber in den meisten geht es eher weniger um Frauen und auch nicht darum, etwas zu lernen.

Perkins: User haben uns auch gesagt, dass man auf unserer Seite nicht glücklich wird, wenn man nach Pornos sucht. Die gibt es ja außerdem auch kostenlos im Netz.

Die Macher: Lydia Daniller und Rob Perkins, beide Jahrgang 1978, gründeten OMGYes. Daniller ist Fotografin, Perkins befasst sich mit Neurowissenschaften und war als Kreativchef bei der Entwicklung diverser Webanwendungen beteiligt.

Die Seite: OMGYes.com ging im Dezember 2015 online, zunächst auf Englisch. Mittlerweile ist die Seite auch auf Deutsch und Französisch übersetzt. Übersetzungen ins Italienische, Spanische, Japanische, Koreanische, Portugiesische und Russische sind in Arbeit. Die Anmeldung kostet einmalig 29 Euro.

Das Unternehmen: OMGYes beschäftigt derzeit elf Mitarbeiter und ist in San Francisco ansässig.

Und was genau haben nun Ihre Forschungen ergeben?

Daniller: Wir haben mit rund eintausend Frauen über ihren sexuellen Werdegang gesprochen, darüber, was sich für sie gut anfühlt, welche Stimulation des Partners sie besonders mögen und wie sie masturbieren. Dabei fiel uns auf, dass bestimmte Vorlieben und Techniken immer wieder genannt wurden.

Perkins: Manchmal waren es die Frauen selbst, die bereits einen bestimmten Begriff für die Technik gefunden hatten. Den haben wir dann einfach beibehalten, weil er so gut passte.

Daniller: In anderen Fällen, haben wir aktiv nach einem guten Namen gesucht.

Perkins: Das Interessante ist ja, dass jeder andere Lebensbereich total gründlich erforscht ist. Nehmen wir Kochen. Essen ist etwas sehr Einfaches. Brauchen wir dazu eine Anleitung? Vielleicht nicht. Aber trotzdem kommen jedes Jahr Tausende neuer Kochbücher auf den Markt. Und aus diesen lernen wir, uns immer weiter zu spezialisieren und neue Gerichte auszuprobieren.

Wir glauben, dass es beim Sex ähnlich sein sollte: Die Menschen haben ein Interesse daran und sie sollten so viele Inspirationsquellen wie möglich haben, um ihre Fertigkeiten zu verbessern. Und dabei hilft es auch, wenn Techniken einen Namen haben. Dann kann man sie auch leichter besprechen und vermitteln.

Zum Beispiel?

Perkins: Eine Technik nennt sich zum Beispiel Orbiting. Das sind verschiedenen Arten, mit dem Finger kontinuierliche Kreisbewegungen um die Vulva und die Klitoris zu vollziehen. Viele Frauen hatten uns gesagt, dass sie kreisförmige Bewegungen mögen. Aber als wir nachfragten, fanden wir heraus, dass es viele verschiedene mehr oder weniger kreisförmige oder ovale Streichbewegungen gibt, die sich gut anfühlen. Und diese Vielfalt versuchen wir unter diesem Begriff zu vermitteln.

Weibliche Lust ist also doch gar nicht so kompliziert?

Perkins: Ja und nein. Es bringt nichts, die Dinge simpler darzustellen, als sie sind. Denn natürlich empfindet jede Frau anders, aber es ist durchaus so, dass es wiederkehrende Muster gibt. Wichtig ist aber eben auch: Man lernt das alles nicht, in dem man darüber liest. Das wäre so, als wollte man mithilfe eines Buchs versuchen, schwimmen zu lernen. Man wird es nur schaffen, wenn man im Wasser übt. Und es hilft, wenn man es von einer Freundin erklärt und gezeigt bekommt. Und genau das wollen wir mit der Webseite vermitteln.

Wie funktioniert denn die Übungsfunktion via Touchscreen technisch?

Perkins: Das ist ein Bild der Vulva einer Frau, das aus Tausenden einzelner Fotografien besteht, die zu einem interaktiven Bild zusammengefügt wurden. Wenn man den Finger darauf bewegt, kann man sehen, wie sich die Haut mitbewegt. Außerdem haben wir die Vorlieben der Frau sowie ihr akustisches Feedback einprogrammiert. So kann man gleichzeitig hören, wie die Frau den Übenden zur richtigen Bewegung oder hin zur passenden Geschwindigkeit dirigiert.

Wie haben Sie das gefilmt?

Daniller: Wir haben mit allen Frauen sehr lange und intensive Gespräche geführt. Auch darüber, wie sie ihrem Partner sagen, was sie mögen, oder ihm mitteilen, wenn er etwas anders machen soll. Wir haben Rollenspiele gemacht und die Frauen gebeten, sich vorzustellen, sie würden ihren Partner anleiten, wenn er sie zu schnell oder zu langsam oder an der falschen Stelle stimuliert. Und ganz zu Beginn haben wir auch mitgeschnitten, wenn die Partner die Frauen tatsächlich berührten. Natürlich gab es dabei ziemlich viel Gekicher, aber es war eben auch real.

Perkins: Oft denkt man ja, man könnte den Partner verletzten, wenn man ihn bittet, etwas anders zu machen. Diesem Gedanken wollen wir entgegenwirken, indem wir zeigen, wie sich so ein Feedback konkret anhören kann.

Wie haben Sie die Frauen denn überhaupt dazu gebracht, für die Webseite so intime Details öffentlich zu machen?

Daniller: Wir waren ziemlich positiv überrascht von der Resonanz. Wir haben online einen Aufruf gestartet, und sehr viele Leute wollten uns unbedingt ihre Geschichte erzählen.

Lydia Daniller und Rob Perkins

Erforschen weibliche Masturbationstechniken: Lydia Daniller und Rob Perkins Foto: OMGyes

Wirklich? Und nach welchen Kriterien haben Sie die Frauen, die nun auf Ihrer Webseite zu sehen sind, ausgewählt?

Daniller: Wir wollten die Muster zu zeigen, die am häufigsten genannt wurden. Natürlich sollten Frauen mitmachen, die sich vor der Kamera wohlfühlen und die mit allen Schritten des Aufnahmeprozesses einverstanden waren, also sowohl damit, ihre Geschichte zu erzählen, als auch die Technik vorzuführen.

Wäre die Seite nicht auch für Jugendliche geeignet, die zum ersten Mal Sex haben?

Perkins: Unser Eindruck ist, dass jüngere Menschen eher denken, sie wüssten schon alles über Sex. Sie haben also kein so großes Interesse an unserer Seite. Es sind eher ältere Menschen, die sich bei uns anmelden, meist in längeren Beziehungen, die realisiert haben, dass Sex immer besser werden kann. Die merken: Nur weil man einen Orgasmus hat, ist das noch nicht das Ende dessen, was man erleben kann. Frauen und Männer sind anteilig übrigens zu gleichen Teilen vertreten.

Daniller: Und die Seite ist auch nicht nur für heterosexuelle Paare gedacht, sondern generell für Frauen und ihre Partner oder Partnerinnen. Und was auch interessant ist: Nur 40 Prozent unserer Nutzer kommen aus den USA. Der Rest stammt aus dem Ausland. In erster Linie aus Frankreich, Deutschland und Japan. Deshalb haben wir auch begonnen, die Seite in die entsprechenden Sprachen zu übersetzten.

Werden Sie auch irgendwann die Stimulation von Männern erforschen?

Perkins: Zunächst mal wird es noch eine ganze Weile um Frauen gehen. Wir haben eine große Untersuchung zum Thema Squirting gemacht, also zur weiblichen Ejakulation. Wir planen außerdem einen Schwerpunkt zu Sex im Alter oder zu Sex in der Menopause oder Sex während Schwangerschaft und Geburt. Es ist nicht so, dass wir uns nicht auch für Männer interessieren würden. Aber es gibt hinsichtlich der weiblichen Lust noch so viel zu entdecken. Wir wollen, dass die Menschen in zwanzig Jahren auf diese Zeit zurückblicken und mit den Augen rollen, weil wir so wahnsinnig wenig über weibliche Lust wussten.

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