Debatte Friedensprozess im Jemen: Mit dem Finger am Abzug

Nur eine Entwaffnung der Huthi und die Rückkehr der Regierung können den Krieg beenden. Alles andere ist Verrat an der Revolution.

Ein Sympathisant der Huthi-Miliz trägt ein Maschinengewehr auf der Schulter

Ein Sympathisant der Huthi-Milizen in der Nähe der Hauptstadt Sanaa Foto: dpa

Bei den Jemen-Friedensgesprächen, die in Kuwait begonnen haben, ist eines wichtig zu wissen: Der Krieg im Jemen mit all seinen schrecklichen Auswirkungen ist nicht durch einen Mangel an Kommunikation entstanden, im Gegenteil. Es hat nach der friedlichen Revolution 2011 einen ausführlichen Dialog mit allen Parteien und Gruppen im Jemen gegeben – alle waren beteiligt.

Dem Krieg liegt etwas anderes zugrunde: Die Konfliktparteien wollen etwas völlig Entgegengesetztes. Wir, die wir für die Revolution gekämpft haben, wollen einen demokratischen Staat, der über den gesamten Jemen und alle staatlichen Institutionen seine Souveränität ausübt; einen Staat, in dem alle Interessensgruppen und politischen Strömungen sich friedlich organisieren, um ihre Ziele zu erreichen.

Uns gegenüber steht die Huthi-Miliz, die vom Iran unterstützt wird und mit Gewalt die Macht an sich gerissen hat. Sie wurde weder vom politischen Prozess ferngehalten, noch wurden die Huthi ihrer Grundrechte beraubt. Ihr Anführer, Abdelmalek al-Huthi, hat de facto einen Militärputsch verübt und den legitimen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi und seine Regierung gestürzt. Der politische Übergangsprozess wurde damit zerstört, Städte wurden erobert, Medien- und Parteizentren geschlossen, politische Gegner und Aktivisten verhaftet. Auch ich selbst musste aus der Hauptstadt Sanaa fliehen. Al-Huthi krönte seinen Cousin zum Präsidenten, einen anderen Cousin zum Ministerpräsidenten und verteilte die übrigen Ämter auf weitere Verwandte.

Warum dieser Verrat an der jemenitischen Jugend, die ihr Leben für einen Neuanfang in unserem Land riskiert hat? Al-Huthi handelt aus der festen und tiefen Überzeugung, dass die Huthi-Familie Anspruch auf die Macht hat. Sie sehen es als historisches Recht, das jemenitische Volk zu regieren, da sie Nachfahren des Propheten Mohammed seien. Sie sehen sich als auserwählt und überlegen an. Ich kann solche Ansprüche nur als rassistisch bezeichnen, und es ist bedauerlich, dass es so eine Weltanschauung im 21. Jahrhundert noch gibt.

Für dauerhaften Frieden kämpfen

Doch wir haben die Pflicht, für einen dauerhaften Frieden zu kämpfen – einen Frieden, der auch tatsächlich die Ursachen des Konflikts beseitigt. Den Menschen im Jemen muss das Recht garantiert werden, sich politisch zu organisieren, ohne von Gewalt bedroht zu sein. Gleichzeitig ist klar, wer den Staat vertritt: die Übergangsregierung, auf die sich alle geeinigt hatten und an der sich alle beteiligen durften, nach einem Referendum über die Verfassung sowie Wahlen.

Die Huthi sagen, sie befürchteten, von der politischen Teilhabe ausgeschlossen zu werden, weil man sie womöglich als entbehrlich ansieht. Deshalb sei es wichtig, ihnen schriftlich zu garantieren, dass sie nicht ins Abseits gedrängt würden und eine Partei gründen könnten, die ihre politischen und kulturellen Interessen widerspiegele. Nur eine politische Integration aller könne für einen stabilen Jemen sorgen.

Die Huthi-Familie sieht sich als Auserwählte. Ich nenne solche Ansprüche rassistisch

Das wirft die Frage auf, ob man sich auf eine Übergangsregierung unter Beteiligung der Huthi einigen sollte. Meine Antwort lautet: Man sollte das bisher Erreichte nicht grundlos über Bord werfen. Zunächst sollte die legitime Übergangsregierung von den Konfliktparteien die Waffen einsammeln und ihre Autorität im gesamten Land ausüben.

Es ist naiv zu glauben, dass man diesen Schritt verschieben kann, weil die Huthi Angst haben, dass Rache an ihnen genommen wird, wenn sie im Rahmen eines Friedensprozesses als Erstes die Waffen abgegeben haben. Das würde eine Einigung auf eine neue Regierung nur noch schwieriger machen. Hinzu kommt: Eine solche neue Regierung wäre praktisch in der Hand der Huthi. Dann würden die Waffen wahrscheinlich nie zurückgegeben. Eine bewaffnete Miliz, die Teil der Regierung ist, würde praktisch Politik mit dem Finger am Abzug betreiben. Sie hätte Kämpfer auf dem Schlachtfeld und zugleich Politiker in Anzug und Krawatte. Die politischen Partner der Huthi hätten kaum noch die Möglichkeit, Forderungen abzulehnen.

Das wären schlimmere Zustände als im Libanon. Nur zur Erinnerung: Der Libanon hat im Nahen Osten die längste demokratische Geschichte, ist aber heute faktisch ein Hisbollah-Staat und steht ohne Präsident und Regierung da.

Alle Aggressionen ablehnen

Ich bin Pazifistin und glaube fest daran, dass wir ohne Gewalt Widerstand leisten können. Dennoch möchte ich denjenigen, die die Intervention der Golfstaaten unter Führung Saudi-Arabiens im Jemen kritisieren, eines entgegenhalten: Wer gegen das militärische Eingreifen der arabischen Allianz ist, sollte auch die Aggression und den Putsch der Huthi und die Verhaftung Zehntausender Menschen ablehnen. Außerdem wurde die Intervention der arabischen Allianz, die der legitime Präsident Hadi ausdrücklich wollte, international unterstützt, unter anderem von den USA, Frankreich und Großbritannien. Die Golfstaaten selbst sehen ihre Sicherheit durch den Expansionswillen des Iran, der die Huthi mit Waffen und Logistik unterstützt, bedroht.

Ein Friedensprozess braucht deshalb eine nationale und internationale Schirmherrschaft. Vor allen anderen Schritten müssen jetzt erst einmal die Waffen der Übergangsregierung ausgehändigt und alle von den Huthi-Milizen besetzten Gebiete geräumt werden, und zwar unter strenger Beobachtung und mit ausreichenden Sicherheitsgarantien. Die Huthi müssen sich in eine politische Partei umwandeln. Erst dann können sie, ebenso wie die Partei des gestürzten Expräsidenten Ali Abdullah Saleh, sofern sie sich seiner entledigt hat, an einem gemeinsamen Reformprozess teilnehmen – und letztlich an einer gemeinsamen Regierung.

Noch ist all das schwer vorstellbar. Zu entfernt voneinander sind die Positionen der Konfliktparteien. Der Krieg hat das Leid, die Armut und die Unterversorgung der jemenitischen Bevölkerung unvorstellbar vergrößert. Aber ein falscher Friede hilft niemandem. Der Kampf gegen die Diktatur und die Revolution von 2011 wäre umsonst gewesen. Nur ein echter Frieden kann die andauernde Misere beseitigen, Freiheit und Gerechtigkeit schaffen.

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