Veröffentlichung der TTIP-Unterlagen: Schwerer Schlag für Geheimniskrämer

Nach Greenpeace-Leak: FreihandelsgegnerInnen erwarten, dass die Veröffentlichung der Verhandlungstexte ihre Proteste beflügeln.

Gläserner Raum mit Aufschrift TTIP-Leseraum

Greenpeace präsentiert die Papiere der Öffentlichkeit in einem gläsernen Truck Foto: dpa

BERLIN taz | Um 4 Uhr in der Früh projizierten Greenpeace-AktivistInnen die geheimen Dokumente auf den Reichstag, im Laufe des Montagvormittags richteten sie am Brandenburger Tor einen gläsernen Lesesaal ein. Dort konnten Interessierte die Papiere aus den Verhandlungen über das transatlantische Handelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA anschauen und fotografieren.

Ein grandioser Coup: Greenpeace hat streng unter Verschluss gehaltene TTIP-Dokumente veröffentlicht. Der niederländische Zweig der Umweltorganisation hat sie unter www.ttip-leaks.org ins Internet gestellt. Die Organisation hat sie nach eigener Aussage zugespielt bekommen. Von wem, will sie nicht sagen. Es gelte „maximaler Quellenschutz“, hieß es.

„Die Debatte über TTIP wird sich verändern“, sagte Stefan Krug, Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace. Fast eine Milliarde Menschen sei von den Folgen des Abkommens betroffen. Sie würden aber so gut wie nichts über die Verhandlungen erfahren. „Es kann kein „Weiter so' mehr geben“, sagte er.

Seit 2013 verhandeln die EU und die USA über das Abkommen. Politiker und Wirtschaftsvertreter versprechen sich davon Wachstum und Arbeitsplätze. Kritiker fürchten den Abbau von Demokratie durch die Verlagerung von Entscheidungen in nichtparlamentarische Gremien und die Senkung von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards. Im Oktober demonstrierten mehr als 200.000 Menschen in Berlin gegen das Abkommen, am vorvergangenen Samstag 90.000 in Hannover.

Abschriften zum Schutz der Quelle

Viele KritikerInnen mobilisiert, dass die Transparenz fehlt. Die EU hat zwar Dokumente über ihre Positionen in den Verhandlungen veröffentlicht. Bislang waren die Forderungen der USA aber streng geheim. In Deutschland darf sie nur ein kleiner Kreis von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern in einem speziellen Raum im Wirtschaftsministerium einsehen. NutzerInnen des Leseraums müssen sich verpflichten, nicht darüber zu reden. Sie dürfen sich keine Notizen machen oder Dokumente fotografieren.

Greenpeace zufolge sind die Dokumente gekennzeichnet, damit bei einem Verstoß GeheimnisbrecherInnen identifiziert werden können. Aus diesem Grund hat die Organisation nicht die Originaldokumente ins Internet gestellt, sondern Abschriften. Man habe die Originale gemeinsam mit einem Journalistennetzwerk auf Echtheit geprüft, sagte Krug.

Maritta Strasser, Campact

„Das Berichterstattungsmonopol der EU-Kommission zu den Verhandlungen ist gebrochen“

Allerdings: Die Texte sind schwer verständlich. Hinter unscheinbaren Begriffen wie „wissenschaftlicher Ansatz“ verbergen sich Regelungen, die etwa Gentechnik begünstigen. Auch sind die Dokumente nicht aktuell. In der vergangenen Woche ist in New York die vorletzte Verhandlungsrunde zu Ende gegangen. Die Dokumente sind aus der Zeit davor. „Es handelt sich um 13 Kapitel“, sagte Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. Insgesamt gibt es bislang 17 sogenannte konsolidierte Kapitel, die den Verhandlungsstand wiedergeben. Erstaunt waren die Greenpeace-Experten, dass die Verhandlungen in vielen Fragen nicht besonders weit sind. Ursprünglich sollten sie im Sommer fertig sein, damit der Pakt noch in der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama unter Dach und Fach ist. Was nach dessen Amtszeit aus dem Abkommen wird, ist offen.

„Die Veröffentlichung ist ein schwerer Schlag für die Befürworter“, sagte Ernst-Christopf Stolper, für den BUND im Stopp-TTIP-Bündnis und ehemaliger grüner Wirtschaftsstaatssekretär in Rheinland-Pfalz. Auf Grundlage der Dokumente könne nun über konkrete Details diskutiert werden – was die EU-Kommission und die Bundesregierung vermeiden wollten. „Das ist ein großer Fortschritt für die Diskussion“, sagte er.

Den TTIP-KritikerInnen geben die Dokumente Rückenwind, sagte auch Maritta Strasser von Campact, einer der mobilisierungsstärksten Organisationen der FreihandelsgegnerInnen. „Das Berichterstattungsmonopol der EU-Kommission zu den Verhandlungen ist gebrochen“, sagte sie. Vieles von dem, was die KritikerInnen seit Langem als Gefahren benannt haben, habe sich bestätigt. „Das gilt etwa für den Kuhhandel Autos gegen Landwirtschaft“, sagte sie.

Die Papiere belegten, dass die Kommission für den Wegfall von Autozöllen die Schranken für gentechnisch veränderte landwirtschaftliche Produkte öffnen wolle. Jetzt werden sich mehr Menschen mit dem Thema beschäftigen, ist sie überzeugt. „Die Erfahrung zeigt: Je mehr Menschen über TTIP wissen, desto mehr lehnen sie das Abkommen ab“, sagte Strasser: „Die Leaks sind der Anfang vom Ende der TTIP-Verhandlungen.“

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