Kolumne Press-Schlag: Wer zahlt, darf blöken

Erdoğan könnte kein Fußballprofi sein. Denn die stellen sich nach desaströsen Leistungen freiwillig den Fans und lassen sich aufs Übelste beschimpfen.

Fußballspieler in roten Trikots

Nach dem Abpfiff gegen Augsburg: VfB-Spieler mit hängenden Köpfen auf dem Weg in die Fankurve Foto: dpa

Der Fußball kennt einen eigenartigen Brauch: die ritualisierte Stadionschmähkritik. Zur Brauchtumspflege begeben sich Kicker, die gerade hundsmiserabel schlecht gespielt und folgerichtig verloren haben, in die Kurve der Hardcore-Fans, um sich dort übel beschimpfen zu lassen. Sie gehen freiwillig dorthin, schleichen wie geprügelte Hunde zu den geifernden Schreihälsen.

Die Profis des VfB Stuttgart sind am Samstag zwar nicht so weit wie Heinrich IV., also bis nach Canossa gegangen, aber sie trotteten ähnlich gramgebeugt, in Erwartung einer deftigen Demütigung. Die Stuttgarter Profis, die wieder in den Abstiegsstrudel geraten sind, standen halb angewidert, halb schuldbewusst vor dem Mob, glotzten bedröppelt und trollten sich erst dann, als sie ihre Dosis Schimpf und Schande („Pussys“, „Schwuchteln“, „Loser“) abbekommen hatten. Manch ein Kicker rang sich ein müdes Klatschen in Richtung der Heißsporne ab, was wohl bedeuten sollte: „Ist schon recht, das war heute wirklich nicht unser Tag…“

Auch wenn es im Stadion nicht zugeht wie in einem Kammerkonzert, fragt man sich doch, warum die Spieler nach einer Niederlage nicht einfach in die Kabine gehen und die Fans krakeelen lassen. Müssen sich die Spieler das antun? Hat der aufgebrachte Fan ein Recht auf Schmähung? Werden Fußballer deswegen so gut bezahlt, weil sie sich Invektive sonder Zahl anhören müssen? Und: Warum tröten sie nicht mal zurück? Das ist allerdings bei Strafe verboten.

Ein Spieler, der die Contenance verliert und mit dem Mittelfinger zurückgrüßt – oder wie weiland Eric Cantona zum King-Fu-Tritt gegen einen Fan ansetzt, der wird mit einer Geldstrafe belegt oder sogar für ein paar Spiele suspendiert. Wir haben es im Fußballstadion mit einer verqueren Strafnorm zu tun, von der Erdoğan-Basher Jan Böhmermann offenbar annahm, sie gelte auch für einen Moderator im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Der Geschmähte hat die Schmähung still hinzunehmen; der Schmähende geht straffrei aus.

Warum ist das im Sport so? Weil der Fußballer in einem Stadion, wo man sich nach kollektiver Triebabfuhr sehnt, schnell zum Prügelknabe werden kann, wenn sich die innere Spannung nicht durch den Torjubel und die Euphorie des Sieges löst. Dann hilft halt nur noch die Schimpftirade. Wer zahlt, darf blöken. Mit Satire hat das freilich nichts zu tun.

Der alte Mann aus dem Wallis

Dieses Ritual kennt auch Joseph S. Blatter, der sich nun wieder in der Öffentlichkeit gezeigt hat, am Freitag an der Universität Basel. Der ehemalige Fifa-Präsident wurde in einem Hörsaal der Lehranstalt von Studenten bepöbelt. „Reformencheck, die Fifa muss weg!“, riefen einige und bliesen in Trillerpfeifen.

Der alte Mann aus dem Wallis, der nur schlecht mit seiner Suspendierung leben kann, reagierte in bewährter altväterlich-belehrender Manier. „Schämen Sie sich“, mahnte er und hielt dann fest: „Fifa-Bashing ist in Mode.“ Er habe indes immer nach der Maxime verfahren: „Allen Menschen recht getan ist eine Kunst, die niemand kann.“

Wer wüsste das nicht besser als die Profis des VfB Stuttgart – oder andere Leidtragende, die sich im schimmeligen Tabellenkeller mal besser die Ohren zuhalten sollten, denn in den kommenden Wochen wird es richtig laut in den Fankurven. Die Anhängerschaft neigt bei Abstieg zu verbalen Ausbrüchen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 1998 mehr oder weniger fest bei der taz. Schreibt über alle Sportarten. Und auch über anderes.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.