Kolumne Lügenleser: Erdomann und Böhmerwahn

Der Türkei-Deal ist vor allem ein Sieg der Bilder. Das Elend ist weg und man darf sich dank der heimischen Satire etwas besser fühlen.

Ein Fan von Erdogan hält einen Schal mit dessen Konterfei

So kann man es doch auch sagen Foto: ap

Es wird wieder deportiert. Aber nicht nur, wir sind ja keine Unmenschen. Es wird auch selektiert. Pro Unwillkommenen wird ein Willkommener zurückgenommen. Die ersten Aufnahmen flimmern bereits über die Bildschirme, glückliche Menschen an Flughäfen und Bahnhöfen.

Wer sich solidarisch mit Flüchtlingen zeigt, indem er sein Profilbild auf Facebook ändert oder ein witziges Böhmermann-Video teilt, der kann sich nun etwas besser fühlen auf dem heimischen Sofa. „Be deutsch“ hieß der letzte Streich des ZDF-Moderators, der jedem, der es postete, mal wieder das Gefühl gab, etwas Gutes getan zu haben. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.

Lachen ist ja auch gesund, wer nicht lacht, ist ein Miesepeter, und so eine Satiresendung bewegt eine Menge. „DDRdogan“, „Notwehrdogan“ und „Alter, ischwoerdogan“, schon sieht die Welt ganz anders aus.

Was sich an Europas Grenzen abspielt, ist natürlich nicht ganz so witzig wie die deutschen Lachshows. Aber wenigstens bleibt den zusammengepferchten Kriegsflüchtlingen an Bord der Auftritt von Ronja von Rönne im Anschluss an Böhmermanns pseudoironische und vor rassistischen Stereotypen strotzende Erdoğan-Kritikerspart. Das ist nicht lustig, sagen jetzt einige. Richtig. Man wird ja wohl noch einen Autokraten als Ziegenficker und Dönerfresser beschimpfen dürfen, sagen andere. Wieder richtig. Darf man.

Denn „dürfen“ darf man alles. Die EU darf mit Beginn der Deportationen auch ihre eigenen Richtlinien missachten: etwa die Rechte zum Kindeswohl, von Kranken oder besonders Schutzbedürftigen. Europa hat sich längst selber abgeschafft.

Der Türkei-Deal ist vor allem ein Sieg der Bilder. Die Aufnahmen von schwitzenden Leibern, die in Massen gegen die Schilde der prügelnden Uniformierten prallen, sind vorläufig Vergangenheit. Überfüllte Aufnahmelager, verzweifelte Eltern und weinende Kinder werden getauscht gegen dankbare Ankömmlinge.

Gestern Rassismus, heute Regierungspolitik

Gleichzeitig besänftigen die Berichte über die Abschiebungen den Mob, der mit Satire nur etwas anfangen kann, wenn man damit gegen einzelne Volksgruppen hetzen darf, und sich freut, wenn Rentner in Supermärkten Fleisch vertauschen und das ganze dann #HalalChallenge nennen.

Sie sehen sich vollkommen zu Recht bestätigt in ihren Forderungen. „Als ich im vergangenen Herbst schrieb: ‚Mann muss abwägen wer uns was bringt und wer nicht‘, wurde ich als Rassist beschimpft“, schreibt einer im Kommentarfeld unter den neuesten Meldungen über die Tauschaktion.

Auch er hat recht. Was vor wenigen Monaten noch als „Rassismus“ verpönt war, ist Regierungspolitik und war es eigentlich auch schon immer.

Da spielt es dann auch keine Rolle mehr, dass die Türkei laut Amnesty International laufend gegen die Abmachungen verstößt und riesige Gruppen zurück nach Syrien schickt. Wir können ja einen alten Nena-Song umdichten, um zu zeigen, wie empört wir darüber sind. Helau, alaaf!

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Juri Sternburg, geboren in Berlin-Kreuzberg, ist Autor und Dramatiker. Seine Stücke wurden unter anderem am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater in Berlin aufgeführt. Seine Novelle "Das Nirvana Baby" ist im Korbinian Verlag erschienen. Neben der TAZ schreibt er für VICE und das JUICE Magazin.  

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