Kolumne Mittelalter: Krepieren für die Antifa

Muss man sich gegen das Bösartige in der Welt engagieren? Oder darf man einfach sein Leben leben, wenn andere mit dem ihren nichts anzufangen wissen?

Polizei und Antifa

Gegen die AfD: Demo in Berlin im März. Foto: dpa

Die Jahre 1986–88 verbrachte ich im Wesentlichen im Studiocafé in München-Schwabing. Manchmal dachte ich, ob ich meinen Kaffeehausstuhl nicht in Wackersdorf aufstellen sollte; aber dann sah ich im Fernsehen die staatlich ausgehaltenen Schläger, die sich noch dazu auf Straffreiheit verlassen durften, und kam zu dem Schluss, nein, so sinnlos musst du die einzige Jugend, die du hast, nun nicht verschwenden.

Ganz schön asozial.

Es gab aber im Studiocafé auch unheimlich viel zu lernen: über Männer und Frauen natürlich vor allem, aber auch über Alkohol, über Literatur und Theater, über Geld – über das große, schöne Leben eben.

Im „Studio“ verkehrten Schauspieler und Rechtsanwälte, Schriftsteller und Immobilienmakler, gelangweilte Schwabinger Jeunesse dorée und hungrige Milbertshofener Schlüsselkinder. Ich lernte dort einen Mann kennen, den ich heute als sich gut erhalten habenden Endsechziger einschätzen würde; und von heute aus ist es auch überraschend festzustellen, dass man Ende der 1980er Jahre noch Menschen treffen konnte, die abrufbare Erinnerungen an die Weimarer Republik und die Nazizeit, an Krieg und unmittelbaren Nachkrieg hatten.

Dieser Mann lebte sommers in München, winters in Spanien. Er fuhr einen Seat, damals noch keine in der BRD verbreite Automarke. Ich weiß nicht mehr, ob er Jude war, aber jedenfalls war er als sehr junger Mensch in die USA emigriert, weil er die Nazis nicht ertrug.

Er wurde US-Bürger, und als ich ihn fragte, ab wann und an welcher Front er gegen die Nazis gekämpft hatte, sah er mich nur angewidert an und meinte, er wollte Mathematik studieren, nicht seine Jugend in stinkenden Schlafsälen vergeuden oder gar sein Leben riskieren, nur weil die Deutschen mal wieder in einen Hexenwahn verfallen waren.

Ich weiß noch, dass das einen Spalt zwischen uns setzte.

Jemand, der es unverfroren ablehnte, für den Antifaschismus zu krepieren, war mir nicht mehr so sympathisch. Ich fragte mich, welcher junge G.I. an seiner Stelle gestorben war.

Wahnhafte NSDAfD-Wähler

Aber man konnte natürlich auch sagen: Wenn alle so nette, zivile Ziele hätten, wie Mathematiker zu werden, wäre die Welt dann nicht automatisch eine bessere? Reicht es nicht, selbst kein besorgter Bürger zu sein, um den Irrsinn in der Welt einzudämmen? Oder hat man eine Verpflichtung, das eigene Leben abzuschreiben, weil ein paar Millionen NSDAfD-Wähler mit dem ihren nichts anzufangen wissen?

Dahinter steckt die für demokratische Gesellschaften schwierige Frage des Sichopferns.

Für andere, für meine Kinder zum Beispiel, fällt es mir moralisch viel leichter, das Opfern abzulehnen als für mich selbst. Meine Kinder sollen in Amerika Mathematik – wenn sie das denn unbedingt wollen – studieren und sich nicht mit gestörten Nazis prügeln, die dann zu oft als unpolitische Suffköpfe billig davonkommen.

Das Sich-Opfern erfordert ein Minimalvertrauen in das Verteidigenswerte des Gemeinwesens. Und da ist der deutsche Staat nach Oktoberfestattentat, Thüringer Verfassungsschutzskandal und Gesamt-NSU-Komplex noch eine ganze Zeit lang nur auf Bewährung draußen.

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Geboren 1968 in München, seit 2008 Redakteur der taz. Er arbeitet im Ressort taz2: Gesellschaft&Medien und schreibt insbesondere über Italien, Bayern, Antike, Organisierte Kriminalität und Schöne Literatur.

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