Tod durch Schütteln: Das Kind ist aus dem Blick geraten

Das Jugendamt habe den kleinen Tayler zu früh der Mutter zurückgegeben, so die Jugendhilfe-Inspektion. Kratzer und blaue Flecken wurden nicht gemeldet.

Grablichter stehen vor einem Schild mit der Aufschrift: "Ruhe in frieden kleiner Engel R.I.P. Tayler."

Schon wieder ein totes Kind in Hamburg, schon wieder Fehler vom Jugendamt. Foto: dpa

HAMBURG taz | Rund zwei Monate nach dem Tod eines 13 Monate alten Tayler hat Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) einen Bericht der Jugendhilfeinspektion vorgestellt, die den Fall untersuchte. Fazit: Das zuständige Jugendamt Altona habe sich nicht an die Regeln gehalten und zu früh entschieden, den Jungen zur Mutter zurückzugeben.

Wie berichtet, war das Kind am 18. Dezember an den Folgen eines schweren Schütteltraumas gestorben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt seither wegen eines Tötungsdelikt gegen die Mutter und deren Lebensgefährten. Aufgeklärt ist der Fall nicht. Der endgültige Obduktionsbericht fehlt. Der Fall bewegt die Stadt, auch weil er starke Parallelen zu der 2013 getöteten Yagmur (3) aufweist.

Wie Yagmur war Tayler im August 2015 vom Jugendamt Altona in Obhut genommen worden, weil er mit einem Schlüsselbeinbruch ins Krankenhaus kam und Rechtsmediziner den Verdacht der Misshandlung äußerten. Der Junge kam vorübergehend in eine Pflegefamilie, doch schon im Oktober bekam ihn die alleinerziehende junge Mutter zurück.

„Diese Entscheidung ist für mich aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar“, sagt Leonhard. Denn der Ursprung dieser und weiterer Verletzungen war nicht geklärt. Die Erklärung der Mutter, diese hätten beim gemeinsamen Trampolinspringen mit dem Kind entstanden sein können, war für die Rechtsmediziner nicht plausibel.

Die Jugendhilfe-Inspektion hat nun eine Reihe von Fehlern aufgelistet. So habe die zuständige Fachkraft im Jugendamt über die Rückführung des Jungen allein entschieden, ohne nochmals eine „kollegiale Beratung“ (KB) im Team abzuhalten. Dies aber ist vorgeschrieben. Die Fachkraft hat zwar den freien Träger Rauhes Haus mit einer Sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) für die junge Mutter beauftragt. Doch sie ging nach Einschätzung der Inspektoren viel zu früh davon aus, dass der Junge zur Mutter zurück könne.

Warum die Fachkraft „bei Hilfebeginn bereits von der Rückführung des Kleinkindes in die Familie ausgeht und bereits einen Termin dafür benennt, erschließt sich nicht“, heißt es in dem Bericht. Dabei wäre es möglich, sich sechs Monate Zeit zu lassen, um den Fall besser verstehen zu können.

Die Fachkraft selbst hatte nur einmal Kontakt mit dem Kind und viermal mit der Mutter. Die Familienhelfer vom Rauhen Haus bemerkten sechsmal Beulen, Kratzer und blaue Flecken und akzeptieren stets die Erklärungen der Mutter, etwa, dass es sich um Sturzverletzungen handele, statt das Jugendamt oder die Rechtsmedizin zu informieren. Eine Mitarbeiterin, die als Vertretung arbeitete, attestierte sich selbst, dass ihr der „notwendige Sachverstand“ für die Beurteilung der körperlichen Merkmale fehle.

Sechsmal dokumentierten die Familienhelfer Beulen und Kratzer, ohne dies dem Jugendamt zu melden

An Regeln fehle es nicht, sie müssten nur konsequent umgesetzt werden, sagt die Senatorin. Hamburg habe eine „Qualitätsmanagementsystem“, eingeführt, das den Mitarbeitern der Jugendämter „Handlungssicherheit“ verschaffe.

Die Inspektion ist formal unabhängig, aber doch Teil von Leonhards Behörde. Kritik an den staatlichen Vorgaben übt sie denn auch nur dezent. Im Index des Berichts sind allein 34 Fachanweisungen, Dienstanweisungen und andere Regelungen den Fall betreffend aufgelistet. Das Regelwerk müsse „im Sinne einer Übersichtlichkeit“ überprüft und den Mitarbeitern besser vermittelt werden, empfiehlt die Inspektion. Auch berge eine 2012 neu eingeführte Software namens „Jus-IT“, das Risiko, dass Akten nicht gefunden werden.

Die CDU nannte die Senatorin „hilflos“ und forderte eine sofortige Überprüfung der Rückführungen in Altona aus den letzten fünf Jahren. Der Bericht decke „skandalöse Versäumnisse“ auf, nötig sei ein parlamentarisches Nachspiel. Die Linke kritisierte, dass einzelne Mitarbeiter an den Pranger gestellt würden. Sie möchte untersuchen, was in der Jugendhilfe „strukturell schief läuft“, und wirbt deshalb für eine aus Politikern und Experten bestehende Enquete-Kommission.

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