Kommentar Bayerischer Drohbrief: Verfassungsklage nützt Merkel

Die Kanzlerin muss den Gang der CSU nach Karlsruhe nicht fürchten. Die Richter werden sie wohl eher stützen. Gefahr droht an anderer Stelle.

Horst Seehofer und Angela Merkel in ziemlichem Abstand voneinander an Mikrofonen vor einer Bergkulisse in Wildbad Kreuth

Was höre ich da? Angela Merkel und Horst Seehofer Anfang Januar in Wildbad Kreuth. Foto: dpa

Das bayerische Kabinett hat am Dienstag einen Brief an die Bundeskanzlerin geschickt. Gefordert werden darin „sofort wirksame Maßnahmen“ zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen, insbesondere eine Obergrenze für die Aufnahme von 200.000 Menschen pro Jahr sowie die Zurückweisung von Flüchtlingen, die über „sichere Drittstaaten“ gekommen sind.

Schon seit Wochen nähert sich Bayern in kleinen Schritten der Verfassungsklage: Erst wurde sie angedroht, dann wurde Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio mit einem Gutachten beauftragt, nach einigen Wochen wurde das Gutachten vorgestellt. Jetzt wird dem Bund die Klage förmlich angekündigt und vermutlich in einigen Wochen tatsächlich eingereicht. Und dann? Dann muss man auf ein Urteil aus Karlsruhe warten, das sicher nicht binnen weniger Wochen ergehen wird. Der Bundesregierung bringt das Vorgehen aus Bayern also erst einmal Zeitgewinn.

Zwar ist die Verfassungsklage ein perfides Mittel zur Dramatisierung der Situation. Indem der Regierung Merkel verfassungswidriges Handeln vorgeworfen wird, distanziert man sich maximal und präsentiert die Kanzlerin als Outlaw. Die Kanzlerin lässt die CSU aber agieren, solange die formal den Kurs einer europäischen Lösung mitträgt und die nationalen Sofortmaßnahmen nur für die Überganszeit fordert – bis Merkels große Lösung greift. Wahrscheinlich akzeptiert Merkel die bayerische Radikalrhetorik längst als Spiel mit verteilten Rollen.

Dass sich die CSU auf die Klage konzentriert, ist für Merkel bequem, weil sie auf diesem Weg wenig zu befürchten hat. Der Bund handelt nicht verfassungswidrig, deshalb wird die Klage am Ende abgewiesen. Wie Deutschland mit der Flüchtlingszuwanderung umgeht, ist eine politische Frage. Die Verfassungsrichter werden sich hier nicht einmischen. Die Drittstaatenregelung, die 1993 ins Grundgesetz eingefügt wurde, ist längst durch EU-Recht, insbesondere die Dublin-III-Verordnung überlagert. Nach dieser Regelung sind überwiegend die EU-Außenstaaten für die Asylverfahren zuständig, es ist aber ausdrücklich zulässig, dass Deutschland freiwillig Asylverfahren übernimmt. Eine politische Entscheidung, für die Karlsruhe allenfalls eine Regelung durch Bundestag und Bundesrat fordern wird.

Merkel muss ihre eigene politische Erfolglosigkeit fürchten

Die apokalyptischen Szenarien, die viele, auch in der CSU, derzeit beschreiben, sind falsch. Deutschland steht nicht vor dem Staatsnotstand. Das Land ist leistungsfähig, der Bundeshaushalt sogar ausgeglichen. Einige tausend kriminelle Flüchtlinge, die man man nicht abschieben kann, sind zwar ein massives Imageproblem. Sie stellen aber nicht in Frage, dass die übergroße Mehrheit der Flüchtlinge hilfsbedürftig und integrationsbereit ist.

Was Merkel wirklich fürchten muss, ist ihre eigene politische Erfolglosigkeit. Statt offensiv eine realistische Aufnahme von etwa 800.000 Flüchtlingen zu vertreten, verspricht sie seit Monaten eine deutliche Senkung der Flüchtlingszahlen. Doch weder bei der Abschottung der Außengrenzen noch bei der innereuropäischen Verteilung der Flüchtlinge kommt sie voran. Diese Hilflosigkeit delegitimiert sie so nachhaltig, dass ernsthaft mit einem innerparteilichen Putsch zu rechnen ist.

Die Verfassungsrichter könnten Merkel in dieser Situation aber stützen, indem sie in ihrem Urteil zur bayerischen Klage deutlich machen, was auf dem Spiel steht: Wenn auch Deutschland in der Flüchtlingspolitik nach dem St. Floriansprinzip agiert, würde der Süden der EU ins Chaos stürzen: Hundertausende verzweifelter Menschen würden hin und hergeschoben, Militär käme zum Einsatz, gegen Flüchtlinge und womöglich auch gegen Nachbarstaaten.

Wie schon bei der Euro-Rettung wird das Verfassungsgericht klar machen, dass es nicht nur auf dem Weg der Regierung Risiken gibt, sondern dass die vermeintlich einfachen Lösungen der Kritiker oft noch viel riskanter sind.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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