Bildung in Russland: Lehrwerke auf dem Scheiterhaufen

In der Republik Komi werden Bücher aus Bibliotheken verbannt und verbrannt, die von der Soros-Stiftung stammen. Die Behörden bestreiten das.

tzung der russischen Regierung zum Thema Bildung im vergangenen Dezember in Moskau.

Sitzung der russischen Regierung zum Thema Bildung im vergangenen Dezember in Moskau. Foto: dpa

MOSKAU taz | „Wir hatten damals nicht mal mehr Schulbücher“, empört sich eine Hörerin des Radiosenders Echo Moskau. Anfang der 90er Jahre hätte es ohne Unterstützung der Soros-Stiftung in russischen Schulen und Universitäten ziemlich traurig ausgesehen, meint die Moskauerin, deren Tochter damals zur Schule ging.

Weder Lehrmittel noch Geld gab es im Bildungsbereich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. George Soros, US-Investor und Währungsspekulant, sprang damals in die Bresche. Eines der Hilfsprogramme hatte sich die „Wiederbelebung der geisteswissenschaftlichen Bildung in Russland“ zum Ziel gesetzt. Das Projekt förderte vor allem die Herausgabe von Lehrbüchern und westlichen Standardwerken. Diese sollen nun aus den Bibliotheken in der russischen Republik Komi verschwinden.

Noch im Dezember forderte die Vertretung des russischen Präsidenten im russischen föderalen Nordwest-Kreis die regionale Regierung von Komi auf, Bücher der Soros-Stiftung aus den Beständen zu entfernen. Diese Literatur „formiert in der Jugend eine entstellte Wahrnehmung der vaterländischen Geschichte und preist Einstellungen, die der russischen Weltanschauung fremd sind“, heißt es in der schriftlichen Begründung.

Der Vollzug fand bereits statt – als erster Akt nach den Weihnachtsferien. Im Bergbau-Institut in der von Stalin-Häftlingen errichteten Lager-Stadt Workuta am Polarkreis wurden die Bücher auf dem Pausenhof beseitigt. Die dortige Berufsschule erledigte den Auftrag „unter Zuhilfenahme eines Reißwolfs“, rapportierten die Lehranstalten an das regionale Bildungsministerium in Syktywkar. Mittlerweile bestreiten russische Behörden, dass die Bücherverbrennung stattgefunden hat.

Inhalt nicht entscheidend

In der technischen Universität von Uchta wurde das Säuberungskommando unterdessen gleich 413 Mal fündig und empfahl, laut dem regionalen Internet-Portal 7x7, auch alle Bücher zu vernichten.

Bei der Auswahl der Bücher war nicht allein der Inhalt entscheidend. Den Ausschlag gab der Herausgebervermerk. So wurden auch Bücher über die „Russische Soziologie des 19. Jahrhunderts“ oder eine „Geschichte des russischen Handels“ dem Feuer übergeben. Lehrbücher zur Sportpädagogik, Kriminalistik und zum Russischen Finanzwesen landeten ebenfalls auf dem Index.

Die Wahllosigkeit der Säuberung stimmt nachdenklich. Zumal Willkür ein Wesensmerkmal repressiver Systeme ist. Inhalt spielt eine untergeordnete Rolle. Dass westliche Philosophie, Logik oder der französische Surrealismus im Giftschrank landen, lässt sich im derzeitigen Stimmungsbild zumindest nachvollziehen.

Im vergangenen Jahr wurde die Soros-Stiftung als „unerwünschte“ Nichtregierungsorganisation (NGO) auch auf die „Patriotische Stop-Liste“ gesetzt. Sie enthält NGOs, die der Kreml verdächtigt, das politische System untergraben zu wollen. Denn Soros förderte mit der Organisation „open society“ auch NGOs der Zivilgesellschaft und unterstützte die Orange Revolution in der Ukraine 2004.

Als „subversiv“ eingeordnet

Die Stiftung sei als „subversiv“ eingeordnet worden, meinte die Direktorin des Instituts für Bildungsentwicklung in Komi, Jewgenija Schebolkina: „Unter den jetzigen Bedingungen brauchen wir nichts Prowestliches mehr, in der Bildung kommen wir mit unseren eigenen Kräften aus“, sagte die Bildungspolitikerin.

In den neunziger Jahren hatten mehr als 65.000 Professoren, Lehrer und Studenten Stipendien der Stiftung erhalten. Ansonsten wäre der Wissenschaftsbereich weiter ausgetrocknet.

Russlands Kulturminister Wladimir Medinski verurteilte die Bücherverbrennungen am Donnerstag. Aus seinem Ministerium stamme die Anweisung nicht, sagte er. Beobachter vermuten unterdessen, dass es sich um einen Akt vorauseilenden Gehorsams beflissener Beamter handele, die sich Vorgesetzten als besonders loyal und patriotisch empfehlen wollen. „Wenn schon Bücher verbrannt werden, muss es um den Staat schlechter stehen als wir angenommen haben“, räsonierte ein anderer Echo-Hörer.

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