Kommentar Wahlen in Frankreich: Der andere Notstand

Die rassistischen und reaktionären Rechten liegen bei den Regionalwahlen in Frankreich vorn. Höchste Zeit, einen Notstand der Mobilisierung auszurufen.

Frauen und Männer schwenken Frankreich-Flaggen.

Zufrieden mit der ersten Runde der Wahl: UnterstützerInnen des Front National in Carpentras, Südfrankreich. Foto: ap

Niemand in Frankreich kann sagen, der Triumph der extremen Rechten bei den Wahlen in den Regionen komme völlig überraschend. Nicht nur haben alle Umfragen diesen Ausgang prophezeit, auch alle Vorbedingungen waren gegeben.

Das Klima der Angst und Fremdenfeindlichkeit infolge der Pariser Terroranschläge und der Flüchtlingskrise in Europa hat der Partei von Marine Le Pen massiv Stimmen eingebracht. Wie sehr die Ressentiments an der Urne gewogen haben, beweist das Ergebnis von Calais, wo die mehr als 49 Prozent der Stimmen für den Front National (FN) als Reaktion gegen die Flüchtlinge in den informellen Camps am Ärmelkanal zu verstehen sind.

Mit Notstandsgesetzen wird zudem seit vier Wochen Terrorismusprävention betrieben. Zahlreiche in der Verfassung garantierte Grundrechte sind dafür außer Kraft gesetzt. Betroffen sind nicht nur muslimische Fundamentalisten, denen Sympathien für den radikalen Islamismus nachgesagt werden, sondern namentlich auch linke Aktivisten.

Das vermittelt einen ersten Eindruck eines Regimes ganz nach dem autoritären Geschmack des FN. Diese Partei verkörpert das Gegenteil der Grundwerte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, für die nach dem Angriff auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und nach den Attentaten in Paris Hunderttausende auf die Straße gegangen sind.

Politik des kleineren Übels

In sechs von 13 Regionen liegt der FN nach dem ersten Wahlgang in Führung. Im Norden und an der Côte d‘Azur haben sogar mehr als 40 Prozent der Wählenden für FN-Listen gestimmt. In diesen beiden Regionen haben die Sozialisten beschlossen, ihre Listen bei der Stichwahl am kommenden Sonntag zurückzuziehen, um den konservativen Gegnern noch eine Chance gegen den FN zu geben.

Diese Kapitulation nennt sich hier „republikanische Einheit“ oder Politik des kleineren Übels im Namen demokratischer Grundwerte. Es ist fraglich, ob ein solches Arrangement aus Verzweiflung noch hilft.

Stattdessen ist es höchste Zeit, gegen den verhängnisvollen Fatalismus angesichts des Vormarschs der rassistischen und reaktionären Rechten einen anderen, politischen Notstand der Mobilisierung zu erklären: Es geht dabei um dieselbe Freiheit, die von der Gewalt islamistischer Fanatiker bedroht wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.