Thüringens AfD-Chef Björn Höcke: Hang zu Pathos und Lamento

Der Ex-Geschichtslehrer provoziert durch Radikalität und Nähe zur extremen Rechten. Doch wer ist der Mann, der Frauke Petry gefährlich werden könnte?

Björn Höcke mit verschränkten Armen

Björn Höcke bei einer Kundgebung der AfD im Oktober in Erfurt Foto: ap

BORNHAGEN/BAD SOODEN-ALLENDORF/ERFURT taz | Zwei Jugendliche stecken sich hinter der Rhenanus-Schule in Bad Sooden-Allendorf eine Zigarette an. Björn Höcke war ihr Lehrer in Geschichte und Sport. „Wir sind froh, dass er weg ist“, sagt der 16-jährige Nico, der sich vor allem an die Wutausbrüche erinnert. Ihn habe „Herrn Höcke“ mal angeschrien, weil er während des Unterrichts zum Papierkorb gegangen sei. Sein Kumpel Hassan sagt: „Herr Hitler“.

Die Gesamtschule im Flachbau aus den 1960er Jahren bot Höcke neun Jahre lang eine berufliche Heimat. Erst mit Beginn des Thüringer Landtagswahlkampfs im Frühjahr 2014 ließ er sich freistellen. Inzwischen ist er in dem Bundesland Partei- und Fraktionschef der Alternative für Deutschland. Wie Höcke politisch tickt, haben Nico und Hassan damals nicht bemerkt, sagen sie. Umso mehr staunen sie über seine heutigen Auftritte.

Noch zu Lehrerzeiten hat Höcke das hessische Bad Sooden-Allendorf verlassen. Seit einigen Jahren wohnt er im 16 Kilometer entfernten Bornhagen, im westlichsten Zipfel des Thüringer Eichsfelds. Das Dorf unterhalb der Burgruine Hanstein versteckt sich hinter waldigen Hügeln. Hier trifft die deutsche Märchenstraße auf die Wurststraße. Im Mittelpunkt des 300-Seelen-Örtchens steht die evangelische Friedenskirche ebenso verschlossen wie der benachbarte „Klausenhof“. Über dem verriegelten Tor des Hofladens steht auf einem schwarzen Holzbalken in glänzenden Lettern: „Im Heute das Gestern bewahren für das Morgen“.

Nebenan bewohnt Höcke mit seiner Frau und vier Kindern ein 500 Jahre altes Pfarrhaus. Das Anwesen liegt etwas abseits des grasbewachsenen Weges, der von der Kirche zur Burg hinaufführt: ein dreistöckiges Holzhaus und ein angrenzender Flachbau. An der Gartenpforte ist Schluss – mit der taz spricht Höcke nicht, seit einem Tweet, der seine Nähe zu einem NPD-Politiker benennt. Nichts deutet auf den Besitzer hin; kein Klingelschild, auch keine Deutschlandfahne.

Die „Höcke, Höcke“-Rufe werden lauter

Eine Deutschlandfahne war es, die Höcke Mitte Oktober bundesweit bekannt machte. Seinen Auftritt in der Talkshow von Günther Jauch nutzte der 42-Jährige, um seine „tiefe Liebe“ zu Deutschland zu bekennen.

Höcke neigt zum Pathos, ist aber kein mitreißender Redner – er doziert

Die „Höcke, Höcke“-Rufe auf den Marktplätzen in Erfurt oder Magdeburg sind seitdem lauter geworden. Im Zuge der „Herbstoffensive“ der AfD lauschten Tausende seinen Ansprachen. Die Selbstinszenierung gelang dem hochgewachsenen Mann dabei perfekt. „Manche sehen in ihm einen Propheten, manche sehen in ihm den Leibhaftigen“, kündigte ihn sein persönlicher Berater vor seiner Rede in Erfurt an.

Höcke nutzte die Steilvorlage und beschwor: „Wir brauchen einen neuen Bundeskanzler, und der kann nur aus der AfD kommen.“ Weder Höcke noch seine Zuhörer dürften in diesem Moment an die Parteivorsitzende Fraue Petry gedacht haben, die nach seinem Jauch-Auftritt erklärt hatte, Höcke sei nicht legitimiert für die Bundespartei zu sprechen.

Einen Monat zuvor stand Höcke in Magdeburg, trotz Nieselregens, im perfekt sitzenden Anzug vor seinen Zuhörern und referierte deutsche Geschichte. Die Heldentaten Otto des Großen bei der Verteidigung des christlichen Abendlandes hatten ihn ergriffen: „Ich stehe hier und atme Geschichte.“ Und dann: „Otto, ich grüße dich!“

Trotz seiner Neigung zum Pathos ist Höcke kein mitreißender Redner, der allein durch die Modulation seiner Stimme eine Menge zum Wogen bringen kann; er beherrscht nur die dozierende, getragene Rede und die gepressten, lauten Ausrufe. Doch provozieren kann er, etwa wenn er schmettert: „Erfurt ist schön deutsch. Und Erfurt soll schön deutsch bleiben!“

Am Dorfrand von Bornhagen durchbricht Baulärm die ansonsten so idyllische Ruhe. Eins von zwei ehemaligen Kasernengebäuden ist eingerüstet, die Fassade bereits frisch gestrichen. Zwei Männer stehen vor dem Nachbarhaus und beobachten das Treiben. Sie sind Flüchtlinge aus Serbien und Albanien. Neun Familien sind in ihrem Haus untergebracht, erzählen sie. Im Januar bekommen sie Nachbarn. 72 syrische Flüchtlinge werden dann hier einziehen.

Als Geschichtslehrer zur AfD

Wenig hat Höcke bisher über sein Leben verraten. Geboren im westfälischen Lünen, aufgewachsen im rheinländischen Neuwied. Die Großeltern Vertriebene, die ihn laut eigener Aussage dazu motivierten, „nachzudenken über Politik, über die Brüche des 20. Jahrhunderts“. Nach dem Grundwehrdienst begann er ein Jurastudium, wechselte zu Sport und Geschichte auf Lehramt – 13 Jahre Tätigkeit als Oberstudienrat folgten. Noch während Höcke Geschichte lehrte, beteiligte er sich im April 2013 an der Gründung der Thüringer AfD.

In Bad Sooden-Allendorf sitzt ein ehemaliger Kollege in der Küche seiner von Büchern überquellenden Wohnung. Er hat sich Zeit genommen, will aber nicht namentlich erwähnt werden. Höcke habe „das Ideal gehabt, ein guter Lehrer zu sein“ und sei für seine „Verbindlichkeit“ geschätzt worden, sagt er.

„Höcke hat seine Auffassung nicht geändert, nur zurückgehalten“

Der Kollege erinnert sich an die „gewisse Neigung zum Pathos“, die Höcke schon damals hatte, an sein Lamentieren über die „demografische Katastrophe in Deutschland“. Er sagt aber auch, Vorfälle im Unterricht habe es keine gegeben. Bekannt ist dagegen ein Leserbrief, den Höcke 2006 an Regionalzeitungen schickte. Die These: Nie zuvor wurden so viele Menschen umgebracht wie bei der Bombardierung Dresdens 1945. Zitat: „Es ging darum, bis zum Kriegsende eine möglichst große Zahl deutscher Menschen … zu töten.“ Danach sei er nicht mehr aufgefallen. Für den Lehrer ist klar: „Höcke hat seine Auffassung nicht geändert, nur zurückgehalten.“

Höcke war beliebt, er galt als engagiert; die Vertreter des Elternbeirats schätzten ihn. Doch er hielt sich abgeschottet. Er habe wenig Privates erzählt, niemand pflegte freundschaftlichen Kontakt zu ihm. Vereine, Kirche, Sport – Höcke tauchte nicht auf.

Bekanntschaft mit der NPD

Unterhalb der Burg Hanstein steht ein älterer Mann. Mit Höckes Ansichten hat er nichts gemein, als persönlicher Bekannter will er anonym bleiben. Auch dem militanten Neonazi Thorsten Heise ist er mehrfach begegnet. Der bewohnt im nahen Fretterode ein luxuriöses Anwesen, im Garten steht ein Denkmal der SS-Leibstandarte Adolf Hitler. Höcke hat eingestanden, Heise von Elternabenden zu kennen. Ein flüchtiger Bekannter sei er, mehr nicht.

Höckes Bekannter sagt dagegen: „Ich habe selbst gesehen, wie Höcke seine Töchter bei Heise abgeholt hat.“ Beiläufig fügt er hinzu: „Die beiden sind stolz auf ihre Verbindung.“ Er erzählt von einem Gespräch mit dem NPDler Heise. Die Frage, ob Höcke Konkurrenz für ihn sei, habe dieser entschieden zurückgewiesen und gesagt: „Nee, nee, wir kennen uns schon so lange.“

Für eine gemeinsame Mission von Höcke und Heise sprechen auch Erkenntnisse des Soziologen Andreas Kemper (pdf). Sie legen nahe, dass Höcke hinter dem Pseudonym Landolf Ladig steckt, unter dem drei Artikel in von Heise herausgegeben NPD-Blättchen veröffentlicht wurden. So finden sich in Ladig-Texten und Höcke-Reden Wörter wie „Entelechie“, „Entropie“ und „Vernutzung“ oder die Formulierung „organische Marktwirtschaft“.

In einem der Texte finden sich wortgleich die Zeilen eines Leserbriefs, den Höcke an die Junge Freiheit schickte, in einem anderen werden Bornhagen und sein Wohnhaus beschrieben. Höcke bestreitet hinter dem Pseudonym zu stehen. Trotz der Aufforderung des alten AfD-Bundesvorstandes verweigerte er sich aber dies eidesstattlich zu versichern.

Fraktionssitzung beim Freund mit Landser-Heftchen

In dunklem Anzug mit roter Krawatte sitzt Oskar Helmerich in seiner Anwaltskanzlei in Erfurt. Ein durch die schmalen Lippen angedeutetes Lächeln und der offene Blick durch die randlose Brille verraten seine Lust auf das Gespräch. Auf dem Schreibtisch liegt Wilhelm Heitmeyers „Deutsche Zustände“, ein Standardwerk über rechtsextreme Einstellungen. Helmerich ist seit seinem Austritt aus der AfD fraktionsloser Abgeordneter im Thüringer Landtag.

Anhand einer Anekdote will er verdeutlichen, wie Höcke tickt: Im Frühjahr 2014 wollte Helmerich den AfD-Kreisvorstand aus Altenburg, einer „Nazi-Höhle“, wie er sagt, seiner Ämter entheben. Dafür habe er Höckes Unterschrift benötigt. Also fuhr er nach Bornhagen. Kurz bevor er sein Ziel erreichte, habe Höcke ihm mitgeteilt, nicht mehr unterschreiben zu wollen. Im Pfarrhaus angekommen, habe Höcke ihm ein „weinerliches Theater vorgespielt“ – und schließlich doch unterschrieben.

Welcher Geist in Höcke stecke, habe sich Helmerich danach immer offensichtlicher erschlossen. Als „Erfahrung der besonderen Art“ beschreibt er eine Fraktionssitzung Mitte Dezember 2014 auf dem Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Dort wohnt der bekannteste Vertreter der Neuen Rechten in Deutschland, Götz Kubitschek, ein beliebter Pegida-Redner. Helmerich erinnert sich an ein auf den Boden gemaltes Bild eines blonden Paares, er mit Sense, sie mit Rechen, an die Bibliothek mit Landserheften, Soldaten- und Kriegsbüchern. An einer langen Tafel mit Kerzenleuchtern saß die Fraktion zusammen. „Uns verbindet schon mehr als 20 Jahre eine tiefe Freundschaft“, habe Höcke dann Kubitschek vorgestellt.

Die Neue Rechte ist eine Bewegung, die sich auf Rechtsnationale der Weimarer Republik bezieht. Sie versucht, dem gesellschaftlichen Diskurs durch Publikationen und Veranstaltungen eine andere Richtung geben. Höcke sucht die Nähe zu diesen Kreisen, gibt Interviews in Szenemagazinen. Im November noch wird er beim „Herbstkongress“ auf dem Rittergut einen Vortrag zum Thema Asyl halten. Höcke sieht sich als Anführer einer Bewegung. Die AfD ist für ihn die „letzte evolutionäre Chance für unser Land“.

„Seine Reden im Landtag werden von Mal zu Mal radikaler“, sagt die Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König. Seine Gegner halte er für die dekadenten Vertreter eines überkommenen Systems. Höcke gibt sich gestählt, körperlich und charakterlich. Ehemalige AfDler in Thüringen berichten von einer Szene nach dem Bundesparteitag, der den früheren Bundesvorsitzenden Lucke zum Abdanken zwang. Bei einer Feier habe Höcke gesagt: „Jetzt sind wir Lucke los. In spätestens einem Jahr sind wir auch Petry los.“

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