Nazi-Terror damals und heute: Die Opfer kämpfen weiter

Die „Nacht der Jugend“ und die „Möllner Rede im Exil“ schlagen eine Brücke zwischen dem Nationalsozialismus, den Anschlägen der 1990er-Jahre – und jetzt.

Sprach bei der Möllner Rede: Argyris Sfountouris, Überlebender eines SS-Massakers. Foto: Julien Warnand/ dpa

BREMEN taz | Eine kleine Menschentraube hat sich um den Gedenkstein für die Opfer der Novemberpogrome 1938 vor dem Landherrnamt eingefunden: Parlamentarier größtenteils, doch dazwischen auch ein paar Schülerinnen und Schüler. Diese Gedenkstunde am Montagvormittag gilt der ermordeten und der vertriebenen jüdischen BürgerInnen Bremens. Ihre Namen werden verlesen, während Lieferverkehr vorbei rauscht und Lärm von einer nahen Baustelle herüber hallt.

Als Zeitzeugin eingeladen ist Miriam Dvir. Sie steht hier für ihren Vater Martin Bialystock, der die Pogromnacht als 15-Jähriger erleben musste – und sie überlebte. Für ihn selbst war die Reise aus dem Seniorenheim in Tel Aviv zu beschwerlich.

Seine Tochter erzählt, wie Bialystock damals – fast noch ein Kind – auf dem jüdischen Friedhof Gruben für die Ermordeten ausheben musste. Und sie spricht über sich selbst: Was es bedeutet, als Tochter zweier Holocaust-Überlebender groß zu werden.

Von diesen Kindern spricht man heute als „Überlebende der zweiten Generation“, die von traumatisierten Eltern erzogen wurden und oft unter Schuldgefühlen leiden, weil sie helfen wollen, ohne das Leid wirklich begreifen zu können. Als Dvir sagt, sie sei aufgewachsen, ohne von Großeltern geliebt zu werden, stockt ihre Stimme: „Wir hatten keine.“ Franja, Heinrich und Miriam Bialystock wurden in Auschwitz ermordet. Vor ihrem ehemaligen Bekleidungsgeschäft am Brill liegen heute Stolpersteine.

Der deutsche Faschismus ist so aktuell wie lange nicht mehr

„Herr gibt uns die Kraft“, beten die SchülerInnen am Mahnmal – Kraft, nicht wegzusehen und nicht zu verdrängen, was geschehen ist. Am heutigen Dienstag werden sie Dvir im Rathaus wiedersehen, wo die „Nacht der Jugend“ der Opfer des Nationalsozialismus gedenkt.

Dieses seit Jahren eingeübte Programm will neben der Erinnerung als Kultur-Event auch unterhalten. Organisator Helmut Hafner von der Senatskanzlei wirbt nachdrücklich für den Balanceakt. Denn so, sagt Hafner, erreiche man die Jugend am nachdrücklichsten.

Die Aktualität des Faschismus ist in diesem Jahr angesichts der neuen Welle rechter Gewalt gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte so offensichtlich wie lange nicht mehr. Viele fühlen sich erinnert an die Mordanschläge in den ersten Jahre nach der Wiedervereinigung. Der Brandanschlag von Mölln vor 23 Jahren ist für die meisten BesucherInnen der Nacht der Jugend Geschichte.

Auch aus jener Zeit wird mit Ibrahim Arslan ein Zeitzeuge zu Gast sein. Seine Großmutter, Schwester und Cousine starben, weil Neonazis ihr Haus anzündeten. Arslan kennt die Schwierigkeiten ritualisierten Erinnerns. Weil seine Familie sich zunehmend vom offiziellen Gedenken der Stadt Mölln vereinnahmt und zu Statisten degradiert fühlte, organisieren sie die „Möllner Rede“ seit drei Jahren nach eigenem Konzept „im Exil“.

Sie seien die Hauptakteure, sagt Arslan: „Wir erinnern und werden nie vergessen.“ Nach Hamburg und Lüneburg war die Exilrede am vergangenen Wochenende im Bremer Theater am Goetheplatz zu Gast.

Dort sprach Argyris Sfountouris vom SS-Massaker in seinem griechischen Heimatdorf Distomo, dessen Bevölkerung als Rache für Partisanenangriffe ermordet wurde. Auch Sfountouris geht es um mehr als Betroffenheit und Entschuldigungen. Er kämpft bis heute für finanzielle Entschädigungen der deutschen Kriegsverbrechen in Griechenland.

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