Kritik am Umgang mit Flüchtlingen: Selbst verursachtes Chaos

Führungskräfte des Heimbetreibers Fördern und Wohnen werfen dem Senat vor, Missstände bei der Flüchtlingsunterbringung wären vermeidbar gewesen.

Sehnsucht und Tränen unter syrischen Flüchtlingen in Bergedorf. Lieber sind sie auf der Straße als im Baumarkt Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Führungskräfte des Unternehmens Fördern und Wohnen, das die Erstaufnahmeunterkünfte für Flüchtlinge betreibt, suchen die Öffentlichkeit: In einem Brandbrief kritisieren zehn Angestellte in leitenden Positionen das konzeptlose Handeln der Stadt und warnen vor den Folgen. „Notmaßnahmen, die darin gipfeln, dass alle bisherigen Standards der öffentlichen Unterbringung über Bord geworfen werden, stören den sozialen Frieden in den Unterkünften und senken dramatisch die Akzeptanz dieser Einrichtungen und ihrer Nutzer“, schreiben die VerfasserInnen des Briefs.

Ohne ein schlüssiges Gesamtkonzept werde sich das Hilfspotenzial der Hauptamtlichen und ehrenamtlichen HelferInnen erschöpfen, warnen sie. Außerdem drohe eine jahrelange Ghettoisierung der Flüchtlinge, die sich wiederum negativ auf die Quartiere auswirke: „Werden Notstandorte mit einer großen Zahl verzweifelter Flüchtlinge das Stadtbild dominieren, dann droht der Stimmungsumschwung in unserer Stadt hin zu mehr Fremdenfeindlichkeit.“

Die chaotischen Zustände seien indes nicht überraschend, sondern von der Stadt selbst verschuldet, so die VerfasserInnen des Briefs. „Insbesondere die Kriegsflüchtlinge fielen nicht vom Himmel, sondern es war voraussehbar, dass durch ausländische Einmischung mitverschuldete Kriege zu einer humanitären Katastrophe führen mussten.“ Die Stadt habe viel zu spät reagiert und handele jetzt überstürzt und konzeptlos.

Zwischen den Jahren 2001 und 2010 seien radikal Kapazitäten abgebaut und Einsparungen vorgenommen worden. Auch die Verknüpfung mit dem Bau neuer öffentlich geförderter Wohnungen sei extrem vernachlässigt worden. Die Folge: „In unseren Unterkünften leben Tausende zum Teil schon seit Jahren, die längst Wohnungen hätten beziehen können.“

ist ein städtisches Unternehmen, das Wohnunterkünfte betreibt. Darunter sind feste Häuser, Container und Zelte für Flüchtlinge, Obdachlose, Jugendliche, Suchtkranke, SeniorInnen und Menschen mit Behinderung.

F&W wächst mit seinen Aufgaben, also mit der Zuwanderung: Hatte das Unternehmen 2007 noch 600 MitarbeiterInnen, sind es heute rund 1.200.

Acht bis zehn neue MitarbeiterInnen kommen jede Woche hinzu.

Dringend gesucht werden dort aktuell SozialpädagogInnen und SozialarbeiterInnen, Betriebs- und VerwaltungswirtInnen, Technische HilfsmitarbeiterInnen und IT-ManagerInnen sowie BereichsleiterInnen – unbefristet und in Vollzeit.

2.000 Überstunden fielen bei Fördern und Wohnen nach Informationen der Wochenzeitung Die Zeit allein im ersten Halbjahr 2015 an. Dazu kamen sechs Überlastungsanzeigen von MitarbeiterInnen.

Die Sprecherin von Fördern und Wohnen, Susanne Schwendtke, kann die Vorwürfe nicht ganz von der Hand weisen. „Inhaltlich ist das schon fundiert“, sagte sie der taz, „aber was sollen wir machen? Die Flüchtlinge stehen ja jetzt vor der Tür und wir tun, was wir können.“ Mit den MitarbeiterInnen, die die Vorwürfe erhoben haben, sei man im „konstruktiven Gespräch“.

Das Versagen der Behörden im Umgang mit den Flüchtlingen hatte sich in den letzten Tagen dramatisch zugespitzt. Ein Tiefpunkt war der Umzug der Flüchtlinge von den Messehallen in einen ehemaligen Baumarkt in Bergedorf am vorvergangenen Freitag. Erst am gleichen Tag hatten die Flüchtlinge vom Umzug erfahren. Bis nachts hatten Ehrenamtliche geholfen, den Transport zu organisieren. Als die Flüchtlinge in Bergedorf ankamen, fanden sie eine leere und schmutzige Halle ohne Betten vor.

Ihr Gepäck war in Plastiksäcken in einem LKW nach Bergedorf gebracht und dort als riesiger Haufen gleich aussehender Bündel abgeladen worden. Streit beim Zusammensuchen des eigenen Gepäcks unter 900 Menschen war programmiert. Erst nach drei Tagen wurden in der Halle Trennwände aufgestellt. Eine Gruppe von 75 Flüchtlingen zog es vor, bis dahin auf der Straße zu übernachten. Wenige Tage später kam es zu einer Massenschlägerei in der Unterkunft. Auslöser war ein Streit um die Benutzung der wenigen Duschen gewesen.

In dem offenen Brief fordern die VerfasserInnen den sofortigen Bau von 10.000 Sozialwohnungen für Flüchtlinge und Wohnungslose. Außerdem müsse die städtische Wohnungsgesellschaft Saga/GWG umgehend alle leer stehenden Wohnungen zur Verfügung stellen. Die MitarbeiterInnen warnen davor, benachteiligte Bevölkerungsgruppen wie Flüchtlinge und Obdachlose im Kampf um günstigen Wohnraum gegeneinander auszuspielen.

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