Elektronikpionierin Daphne Oram: Private Träume, öffentliche Alpträume

Die Komponistin gründete den BBC Radio­phonic-Workshop. Nun ist Daphne Orams Werk auf dem Festival „Heroines of Sound“ zu hören.

Daphne Oram

Daphne Oram in ihrem Experimentalstudio bei der BBC. Foto: Ken Philip/Paradigm Discs

Elektronische Musik gilt vielen als eine Männerdomäne, doch tatsächlich waren bereits einige frühe Protagonisten Frauen. Das Berliner Festival Heroines of Sound, widmet sich aktueller und historischer elektronischer Musik von Frauen und stellt erstmals das Werk der Britin Daphne Oram, vor.

Orams Leidenschaft für elektronische Musik begann 1944, während sie als Tontechnikerin bei der BBC arbeitete. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete sie – notgedrungen – wie viele andere Frauen in der Männerbastion Radio. Hier begann sie ein Doppelleben: Nach Feierabend stellte sie sich aus Tonbandgeräten und anderen Gerätschaften ein eigenes Studio zusammen, das sie allmorgentlich wieder abbaute.

Zunächst vergeblich versuchte sie ihre Vorgesetzten zu überzeugen, bei der BBC ein Studio für elektronische Musik einzurichten. Erst in Desmond Briscoe, Leiter der Hörspielabteilung, fand sie einen Gleichgesinnten. Dennoch dauerte es bis 1958, bis Daphne Oram den BBC „Radiophonic Workshop“ durchgesetzt hatte und erste Managerin des Experimental-Studios wurde. So musste sie – gerade als der Workshop ins Laufen kam – ihren Posten wegen des herrschenden Rotationsprinzips an Desmond Briscoe abtreten.

Auch Orams künstlerische Ambitionen liefen ins Leere: Ihr halbstündiges Werk „Still Point“, das sie in den Jahren 1948 bis 1950 komponierte, kam nie zur Aufführung. Dieses Stück für Doppel-Orchester und Instrumentalaufnahmen war vermutlich die erste Komposition, die eine elektronische Live-Manipulation vorgesehen hatte. Hierzu sollten bereits manipulierte und auf drei 78rpm Schallplatten festgehaltene Aufnahmen abgespielt und während der Wiedergabe erneut variiert werden. Auch der Raum war als klangbildendes Element vorgesehen.

BBC distanziert sich

Dagegen wurde 1957 die in Kollaboration mit Briscoe erstellte Musik für das Hörspiel „Private Dreams and Public Nightmares“ ausgestrahlt. Leider mit einer vorangeschickten Distanzierung der BBC: Das Projekt sei ein Versuch und kein Meisterwerk! Dass die komponierten Klänge Erfahrungen von Patienten einer Nervenheilanstalt lebendig werden lassen sollten, erschien zu radikal. Daphne Oram fühlte sich zunehmend eingeschränkt und kündigte ihren Job bei der BBC.

Sie richtete sich nun ihr eigenes Studio ein und begann das „Oramics“ genannte Instrument zu entwickeln. Es wandelte gezeichnete Symbole auf fotoelektrischem Wege in Musik um. Hierzu speicherten neun 35mm Filmstreifen musikalische Parameter wie Tonhöhe und Rhythmus, während ein zehnter Streifen, alles synchronisierte. Zwar konnte das Instrument fertiggestellt werden, jedoch fehlten die Mittel, es zu unterhalten.

Immerhin wurde es 2012 halbherzig für eine Ausstellung im Londoner Science Museum restauriert. Da das Oramics erst in den späten Sechzigern ausgereift war, wurde es vermutlich für keine der Kompositionen, die auf dem Festival zu hören sein werden, eingesetzt. Die alle sind in ihrem eigenen Studio entstanden und zeigen, dass sich Daphne Oram keiner Schule der zeitgenössischen Musik verbunden fühlte.

Daphne Orams Werke live beim Festival Heroines of Sound, Freitag, 10. Juli im Berliner „Radialsystem“; Gesamtprogramm: www.heroines-of-sound.com

In ihrem Buch „An Indiviual Note“ (1972) nennt sie als einen Einfluss den utopischen Roman „Neu Atlantis“ von Francis Bacon aus dem Jahr 1642, in dem es heißt: „Wir besitzen Häuser der Akustik, in denen wir die Töne und ihre Entstehung erforschen und vorführen.“ Das für eine Ausstellung komponierte „Episode Metallic“ von 1965 changiert zwischen strenger Klangforschung und collagenhaften Brüchen, ohne dabei den inneren Zusammenhalt zu verlieren.

Klänge verschiedener Länder

Das im selben Jahr realisierte „Pulse Persephone“ baut sich langsam auf und besteht aus unterschiedlichen Klängen der verschiedenen Länder des Commonwealth: Zu hören sind unter anderem Steel Drums, afrikanische Trommeln und Flöten, die über einen langsamen Bass geschichtet werden.

Damit kam sie den deutschen Komponisten Karlheinz Stockhausen um ein Jahr zuvor, dessen Komposition Telemusik irrtümlich oft als erstes Beispiel für eine Komposition mit Elementen „ethnischer Musik“ genannt wird. Schließlich wird Orams Soundtrack für den Dokumentarfilm „Snow“ von Geoffrey Jones präsentiert. Dieser basiert dem raunchy Instrumental „Teen Beat“ von Sandy Nelson und ist aufgrund der Instru- mentierung mit Schlagzeug, Bass und Gitarre vermutlich Orams konventionellste Arbeit.

Nichtsdestotrotz fasziniert sie durch die extreme Tempozunahme, die musikalisch und technisch bruchlos realisiert wurde. Mit der Aufführung dieser drei Kompositionen wird an eine Pionierin der elektronischen Musik erinnert, die 2003 zurückgezogen in einem britischen Pflegeheim verstorben ist. Dass sie gegen viele Widerstände auch eines der ersten elektronischen Musikinstrumente entwickelt hat, ist eine weitere Station ihres Lebens, die es noch zu entdecken gilt.

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