Die Toxikologin Dr. Anita Schwaier Foto: Gabriele Goettle

Im Märzen der Bauer die Rösslein?

Zu Besuch bei der Toxikologin Anita Schwaier

von Gabriele Goettle

Dr. rer. nat. Anita Schwaier, Toxikologin i. Ruhestand, geb. 1936 in Breslau. Der Vater war Ingenieur u. Dozent an der Ingenieurschule Breslau, danach Gymnasiallehrer, die Mutter war Sekretärin. Anita Schwaier besuchte d. Schule in Breslau, Berlin u. Offenburg. Nach d. Abitur Studium d. Zoologie, Strahlenbiologie u. Biochemie an d. Universitäten München u. Freiburg. Heirat 1961, Geburt d. Tochter Ruth 1962, Scheidung 1970. 1966 Promotion auf d. Gebiet d. Strahlenbiologie. 1969–1982 wissenschaftliche Mitarbeiterin an verschiedenen Instituten, sie beschäftigte sich vor allem mit Strahlenbiologie u. Toxikologie. Qualifikation als Fachwissenschaftlerin f. Versuchstierkunde. 1982–2001 Präklinische Forschung u. Bereichsleitung Toxikologie bei d. Pharma-Firma Merz & Co. Sie ist Mitglied in div. Wiss. Gesellschaften, u. a.: European Society of Toxikology; Deutsche Pharmakologische Gesellschaft; Deutsche Gesellschaft f. Umwelt u. Humantoxikologie ( 3 Jahre Vorstandsmitglied); Öko-Institut Freiburg. Ab 1996 Geländekauf in der Uckermark, Gründung d. Kranichhof Betriebs GmbH, Konzept einer ökologischen Solarsiedlung. Nach mehreren Konzeptwechseln Aufgabe d. Vorhabens. 2008 endgültiger Verkauf d. Hofes an private Nutzer. 2004–2008 Ortsbürgermeisterin, 2005 Eröffnung eines Wanderrastplatzes im Dorf. 2009 Gründung d. Vereins „Zukunft, Biosphäre u. Lebensraum Angermünde e. V.“ Seit 2014 Vorstandsmitglied im Nabu Angermünde (Naturschutzbund ), Arbeitsfelder Ökotoxikologie, Klimawandel u. Grundwasserschutz.

Die bäuerliche Landwirtschaft bei uns wurde in den vergangenen 50 Jahren mehr und mehr verdrängt und zuletzt durch eine rigorose Agrarpolitik aus Brüssel und die damit verbundene Orientierung am Weltmarkt geradezu liquidiert. Das Ergebnis ist eine Agrarindustrie mit standardisierter Produktion, die mit Rationalisierung und brachialen Produktionsmethoden der Natur zu Leibe rückt, um ihr das Äußerste an Ertragssteigerung abzupressen. Sei es nun durch Züchtung einer „Turbo-Kuh“ oder in der industriellen Landwirtschaft. Durch die Verwendung von Pestiziden und Herbiziden, durch massive Stickstoffeinträge in die Böden und durch immer mehr und größere Massentierhaltung und den damit verbundenen Großeinsatz von Tierarzneimitteln erreicht die Agrarindustrie zwar ihre Zielvorgaben, ruiniert aber auf Dauer bedenkenlos ihre eigenen Grundlagen und die Gesundheit der Bevölkerung.

Jahr für Jahr verspritzen deutsche Landwirte bis zu 40.000 Tonnen Pestizide auf ihre verödenden Felder, zerstören die Artenvielfalt, vergiften Böden und Wasser. Den sechs größten Pestizidherstellern der Welt, BASF, Bayer, Dow Chemical, Monsanto, Dupont und Syngenta ( die zu 70 Prozent für die Folgen der weltweiten Pestizideinsätze verantwortlich sind), ist vor allem an einem gelegen, an der Erhöhung ihres Absatzes. Ihr Ansatzpunkt ist die Heraufbeschwörung einer Ertragsminderung auf unbehandelten Agrarflächen. Sie bewerben ihre Produkte mit dem Versprechen, dass der Einsatz von Pestizid und Dünger zur Steigerung der Ernteerträge führt und bei sachgerechter Anwendung auch „umweltverträglich“ sei. Und so fährt der moderne Landwirt Jahr für Jahr immer schwereres Kriegsgerät auf, mit bis zu 500 PS starken Maschinen rollt er über seine Großraumfelder, um sie flächendeckender Intensivbehandlung und Beerntung zu unterziehen.

Frau Dr. Schwaier beschäftigt sich als Toxikologin im Ruhestand mit den Folgen dieser Produktionsweise. Sie lebt im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, inmitten schöner Wälder und Seen. Altkükendorf liegt bei Angermünde und hat 210 Einwohner. Von ihrem kleinen, zweistöckigen Haus aus kann sie auf die alte Dorfkirche blicken, das Gutshaus und auf einen großen, umgebauten ehemaligen Kornspeicher, der einst zu ihrem Kranichhofprojekt gehörte und nun private Besitzer hat.

Während der Tee in der Küche zieht, führt sie mich in ihr Arbeitszimmer und überreicht mir einiges, was sie für mich ausgedruckt hat. Auf dem Tisch liegt Naomi Kleins neues Buch, das Ende 2014 erschien: „This ­Changes Everything: Capitalism vs. The Climate“. Frau Schwaier lobt es ausführlich. Dann begeben wir uns mit Tee, Tassen und Süßigkeiten hinaus in den Garten. Es ist still. Kein Storch sitzt im Nest auf dem Kornspeicher gegenüber.

Frau Schwaier holt noch Kissen, wir nehmen Platz, sie schenkt Tee ein und erzählt: „Zuerst einmal vielleicht eine Begriffsklärung: Pestizide, das ist ein Oberbegriff für chemische Substanzen, die man vor allem in der Landwirtschaft einsetzt zur Bekämpfung pflanzlicher und tierischer Schadorganismen. Das Thema Pestizide ist sehr komplex, ich versuche mal, einiges so verständlich wie möglich zu erläutern. Kurz zu einem der Probleme – ich werde nachher noch mal darauf eingehen – die Untersuchungen der Wirkstoffe sind unzureichend. Es ist so, dass im Labor immer nur die 100 Prozent reine Substanz auf ihre Unschädlichkeit hin getestet wird. Der zugelassene und patentierte Wirkstoff enthielt somit keinerlei Verunreinigungen. Bei der Synthese jedoch erreicht man, wenn man gut ist, allenfalls einen Reinheitsgrad von 95 Prozent, wenn man nicht so gut ist, dann liegt er darunter. Was ich sagen will, durch die Verunreinigung kann das dann hochtoxisch sein. Das war ja bei diesem Agent Orange so, diesem Entlaubungsmittel, das unter anderem die Firma Dow Chemical produzierte für den militärischen Einsatz im Viet­namkrieg Mitte der 1960er Jahre. Es war verunreinigt mit toxischen Stoffen, unter anderem war Dioxin drin, TCDD. Man hat 45 Millionen Liter von diesem Herbizid, sozusagen als Kampfstoff, mit Flugzeugen über Wälder und Reisfelder versprüht, um dem Viet­kong Versteck und Nahrung zu nehmen. Getroffen wurde aber massiv die Bevölkerung, durch Krankheit, Hunger und schwere Missbildungen bei Neugeborenen. Noch heute, 40 Jahre nach dem Ende des Vietnamkrieges, leiden Millionen von Vietnamesen unter Spätfolgen von Agent Orange. Eine angemessene Entschädigung wurde den Opfern bis heute weder vom Auftraggeber, den USA, noch von den be­teiligten Chemiekonzernen gezahlt.

Die Toxikologin im Ruhestand lebt im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, inmitten schöner Wälder und Seen

Glyphosat, historisch gesehen ein Nachfolger, wurde Mitte der 1970er Jahre vom US-Konzern Monsanto auf den Markt gebracht, es ist inzwischen der weltweit gebräuchlichste Inhaltsstoff von Unkrautvernichtungsmitteln. Es handelt sich um ein sogenanntes Totalherbizid, das wirklich alle Pflanzen niedermacht. Es geht in die einzelnen Zellen hinein, hemmt dann die Vermehrung der Zellen und auch die Chlorophyllbildung, so dass die Pflanze keine Energie mehr gewinnen kann und abstirbt. Glyphosat war 20 Jahre lang patentiert, und seit der Patentschutz abgelaufen ist, wird Glyphosat – mit unterschiedlichen Beimengungen – in einer Vielzahl von Präparaten für Garten, Landschaftsbau und vor allem für die Landwirtschaft verwendet. Diese Mittel sind dann eben billiger, als das ursprüngliche Präparat ,Roundup‚von Mon­santo. Es wurde immer bestritten, dass Glyphosat krebserregend ist. Erst unlängst, im März 2015, hat die IARC, Internationale Agentur für Krebsforschung der WHO, es in die zweithöchsten Gefahrengruppe der ,wahrscheinlich krebserregenden‚Stoffe eingestuft. Hersteller, unter anderem Monsanto, kritisierten das als unwissenschaftlich. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin hat die Einschätzung zurückgewiesen, was bedenklich ist. Es ist maßgeblich beteiligt an der Wiederzulassung von Glyphosat in der EU, sie läuft Ende 2015 ab.

Der Pestizidverbrauch wuchs, laut Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, in den letzten 20 Jahren um 51 Prozent. Ackerpestizide! Im Einsatz sind bei uns derzeit etwa 400 verschiedene Wirkstoffe. Das hat zahlreiche schädigende Folgen. Ich rede jetzt gar nicht von Krebs. Viele davon sind beispielsweise hormonell wirksam. Das führt zu einer ,Verweiblichung‚männlicher Kleintiere oder auch zur ,Vermännlichung‚. Auch beim Menschen kann die Geschlechtsspezifik beeinträchtigt werden. Aber die stärksten Auswirkungen der Pestizide kennt man ja aus Ländern wie den USA und Argentinien, wo sie mit dem Flugzeug ausgebracht werden und dadurch auch in die Siedlungsbereiche von Menschen geweht werden. In Argentinien beispielsweise, wo das glyphosathaltige Pestizid ,Roundu‚von Monsanto in Einsatz kommt – übrigens für glyphosat­resistente Gensojapflanzen derselben Firma. Gespritzt wird in gewaltigen Mengen, die Folgen auf die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung sind dramatisch. Es stiegen nicht nur die Krebsraten signifikant an, die Mittel wirken auch keimschädigend, haben embryotoxische Effekte und sorgen für Kindesmissbildungen. Das ist für die Eltern eine ungeheure Belastung, psychisch, physisch und natürlich auch materiell, denn die agrochemischen Firmen streiten ja prinzipiell jedes Verschulden ab.

Eines der Probleme bei den Pestiziden sind neben den Verunreinigungen, über die wir vorhin sprachen, die Zusatzstoffe. Also ich meine jetzt nicht Fungizide oder das, was die Bauern, um Arbeit zu ersparen, sonst noch so dazumischen in ihren Tank, ich spreche von den Zusatzstoffen des jeweiligen Präparats. Es sind zum Beispiel Tenside drin wie ,Pril‚, die die Oberfläche anlösen, so dass der Wirkstoff besser eindringt. Das klingt harmlos. Die sind an sich nicht toxisch, aber in Verbindung mit Giftstoffen haben sie natürlich einen verstärkenden Effekt, und da wird es dann gefährlich wenn man die Substanz einatmet. Durch die Tenside wird die Aufnahme über die Lunge sehr stark erleichtert. Es gibt eine Metastudie zur additiven Wirkung, sie wurde von der WHO initiiert. Ich habe sie mir genau angesehen. Die Schlussfolgerung ist, dass sich die schädlichen – auch genetischen – Veränderungen der Einzelsubstanzen addieren. Teilweise potenzieren sie sich. Das zu wissen, ist sehr wichtig, denn es wird überhaupt nicht berücksichtigt bei der Genehmigung von Pestiziden! Es wird jede einzelne Substanz für sich betrachtet, für sich genehmigt, für sich geprüft, und zwar an gesunden Tieren. Das Präparat selbst – in dem ja dieses ganze Bouquet von Zusatzstoffen enthalten ist – wird auch nur daraufhin geprüft, ob die Einzelsubstanzen zugelassen sind.

Bei einigen Präparaten stehen dann noch Warnhinweise drauf wie: Darf nicht in die Kanalisation und nicht in die Oberflächengewässer gelangen, nicht in Kontakt mit Augen, Haut und Atemwege. Die Atemschutzvorschrift ist erst relativ spät dazugekommen. Es gibt Anwendungsvorschriften: Abdrift mindernde Techniken sind einzusetzen. Unter Abdrift versteht man den Teil der Spritzbrühe, der nicht im sogenannten Zielgebiet landet, sondern in Arealen daneben. Es gibt Vorgaben für die Anwendung, unter anderem was die Windgeschwindigkeit beim Spritzen betrifft, die Geschwindigkeit des Traktors, die Abstände zum Feldrand und zu Gewässern. Der soll mindestens 5 Meter betragen, was lächerlich ist. Jeder Regen spült das rein. Die Bedingungen der Abdrift wurden lediglich experimentell untersucht. Meines Erachtens ist die Berechnung um die Abdrift eine Milchmädchenrechnung. Man sieht das ja auch immer auf Fotos, wie so ein Spritzfahrzeug einen richtigen Nebel ausbreitet. Es ist zwar so, dass die ganze Spritzaktivität, inklusive Einkauf, nur noch von geschultem Personal mit ,Spritzschein‚durchgeführt werden darf, das bedeutet aber zugleich, dass diese Leute Termine einhalten müssen, Acker A am Montag, Acker B am Dienstag usw. Und wenn dann der Wind anfängt zu wehen, tja, das ist dann Pech, da spritzen sie natürlich trotzdem weiter, denn sie müssen ihr Pensum erfüllen. Er kann den Zeitpunkt nicht groß verschieben, denn es muss vielleicht genau in einem bestimmten Blattstadium gespritzt werden.

Es gibt ein sogenanntes Pflanzenschutzmanagement, das bedeutet, dass man die Mittel, die man verwendet, um den Acker ,clean‚zu bekommen, so der Fachausdruck, immer wieder wechselt. Damit will man vermeiden, dass die Unkräuter resistent werden, wie es in Amerika massiv der Fall ist. Während wir hier noch normales, genunverändertes Saatgut verwenden, wird in den USA rund die Hälfte der genetisch veränderten Pflanzen weltweit angebaut, sie sind resistent gegen Glyphosat, so dass auch in der Wachstumsphase hohe Dosierungen verspritzt werden können gegen die Unkräuter, ohne dass die Nutzpflanze geschädigt wird. Das freut natürlich die Konzerne. Saatgut und Glyphosat sind in einer Hand. Resistenzbildungen haben aber auch wir hier, sie ist eine zwangsläufige Entwicklung, weil es immer am Rand des Ackers Bereiche gibt, wo weniger draufkommt, und dort bilden sich Resistenzen. Eine andere Strategie, um Resistenzen zu verhindern, ist, dass man gleich mehrere Mittel auf einmal spritzt. Aber diese Addition hat natürlich zur Folge, dass auch die Belastung des Bodens, der Bodenlebewesen und allem, was sonst noch davon abkriegt, verstärkt wird. Die einzelnen Pflanzenschutzmittel haben eine unterschiedliche Wirksamkeit, das sind biochemisch knifflige Vorgänge. Manche – wie Glyphosat – wirken über die Blattober­flächen, andere über die Wurzeln, dann gibt es neben den Herbiziden noch Wirkstoffe gegen Pilze, Insekten, Nagetiere, eben alles, was die Pflanze angreift.

Selbstfahrende Feldspritze Challenger Rogator 655 Foto: Archiv G. Goettle

Nun ist es in der Natur aber so, dass es immer ,Gegenspieler‚gibt. Schädlinge vermehren sich sehr selten vollkommen unbehelligt auf Kosten ihres Wirtes. Normalerweise, also wenn die Natur sich selbst überlassen wird, ist es so, dass sich neben den Schädlingen ebenso Organismen vermehren, die den Schädling bekämpfen. Wobei gefragt werden muss, was ist ein Schädling, was ist ein Nützling? Nach allgemeiner Auffassung ist ein Schädling all das, was nicht die Nutzpflanze ist, ob Tier oder Unkraut. Auch harmlose Kornblumen, Klatschmohn, Wild- und Heilkräuter wie Kamille und Frauenmantel fallen beim Spritzen unter die Schädlinge. Aber dieser Nützlichkeitsgedanke, der passt nicht in die Biologie. Gut, das war ein Einschub, jedenfalls, dieses Wechselspiel zwischen Schädlingen und Gegenspielern, das führt normalerweise zu einem gewissen Gleichgewicht. Aber wenn jetzt einer der Schädlinge chemisch bekämpft wird, dann verschwindet mit ihm auch sein ,Gegenspieler‚, und das ist dann ein großes Problem, wenn sich Resistenzen bilden.

Es gibt sie ja schon, Schädlinge, die resistent sind gegen bestimmte pestizide Wirkstoffe, denen man nicht mehr Herr wird, so dass jetzt in den USA und in Kanada sogar eine Reihe von Landwirten keine Pestizide mehr verwenden wollen. Manche stellen auf ökologischen Landbau um, aber die haben es sehr schwer, denn abgesehen davon, dass sie verschuldet sind, müssen sie, wenn der Boden mal so verdorben ist, mit einer Ernteverminderung über 3 bis 4 Jahre oder länger rechnen. In Deutschland wird in der konventionellen Landwirtschaft Glyphosat inzwischen auf rund vier Millionen Hektar Ackerfläche eingesetzt. Dazu kommt dann noch die künstliche Düngung, die den Boden betonhart macht. Zur Phosphatdüngung möchte ich sagen, dass sie sehr problematisch ist. Die Phosphatlagerstätten gehen zur Neige, so dass inzwischen auch solche ausgebeutet wurden, die nicht sauber sind. Sie enthalten Uran, Cadmium oder andere toxische Substanzen.

Das Problem sind natürlich auch die Monokulturen, sie erfordern einen hohen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Dünger. Die ehemals traditionelle Dreifelderwirtschaft wurde ja weitgehend aufgegeben. Ökobetriebe hingegen pflegen sogar eine Fünffelderwirtschaft, damit die Schädlinge keine großen Chancen zur Vermehrung haben. Ein Maiszünsler ist eben nur auf Mais zu finden, nicht auf Weizen oder Roggen. Wenn fünf Jahre lang kein Mais angebaut wird, dann kann er sich nicht entwickeln. Und dazu kommt, wenn man nicht künstlich düngt, dann braucht man Lupinen oder andere Hülsenfrüchte, die mit Hilfe von Knöllchenbakterien an ihren langen Wurzeln den Stickstoff aus der Luft binden – immerhin bis zu 100 Kilogramm pro Hektar. Die Pestizide übrigens ,töten‚oder hemmen möglicherweise die Knöllchenbakterien, so dass es bei einem Wechsel zu pestizid­freier Landwirtschaft passieren kann, dass die Stickstoffzufuhr nicht mehr funktioniert.

Der Boden ist eben nicht ein Substrat, auf dem in Monokultur Pflanzen wachsen, sondern er ist etwas sehr Lebendiges! So eine Hand voll Ackerboden beherbergt ja zig Milliarden von Lebewesen im Normalfall. Spinnen, Bakterien, Würmer, Rädertierchen, alle möglichen Kleinlebewesen. Der Humus ist in der Lage, Organisches, das in den Boden gelangt – die ganze Fülle verschiedener Substanzen – Hormone, Proteine, Zelluloseverbindungen usw. – abzubauen. Und was wir unten haben, ist sauberes Trinkwasser. Das ist alles ein symbiotischer Vorgang, ein Kreislauf, der durch den Pestizid- und Düngereinsatz weitgehend zerstört wird. Die Pestizide, wenn sie auf den Erdboden treffen, werden in sehr hohem Maße absorbiert von der Erdkrume, die aus unvorstellbar vielen Partikeln besteht. Bestimmte Substanzen, zum Beispiel Phosphat bei der Phosphatdüngung, bewirken, dass die Pestizide mobilisiert werden und wiederum in Lösung gehen. Dadurch kommen sie eines Tages in unserem Trinkwasser an. Und sie da wieder rauszukriegen, geht nur mit einem sehr aufwendigen Prozess. Danach wäre Trinkwasser unbezahlbar.

Eben erst habe ich übrigens folgendes gelesen: In einer neuen, noch unveröffentlichten Studie des niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, wurden – so wird auszugsweise berichtet – an 45 Prozent der Grundwassermessstellen in Niedersachsen Rückstände von Pestiziden nachgewiesen. An zehn Messstellen wurden sogar Grenzwerte für Wirkstoffe überschritten. Besonders häufig tauchte bei den Proben der Wirkstoff Bentazon auf, der in Unkrautvernichtungsmitteln vorkommt. Das ist der Horror – Pflanzenschutzmittel im Grundwasser – also wohl bald auch bald in unserem Trinkwasser.“

„Es ist ein so massives Artensterben im Gange, dass Arten in der Diversität nicht mehr neu entstehen können“

Anita Schwaier

(Die aktuelle Zulassungspraxis für Pflanzenschutzmittel sieht so aus, dass Rückstände von 0,1 Mikrogramm Pflanzenschutzmittel pro Liter Wasser zulässig sind. In der Zulassungsbehörde für Pflanzenschutzmittel, dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Braunschweig, lehnt man eine Herabsetzung auf null ab, denn, so ein Sprecher: „Wenn wir überhaupt keine Pflanzenschutzmittel im Grundwasser wollen, dann hätten wir das zu bezahlen mit unsicherer Produktion von Nahrungsmitteln.“ Das ist ein absurdes Argument in einem Land, das jährlich fast 20 Millionen Tonnen überflüssige Lebensmittel auf den Müll wirft. Das Argument der drohenden Unterversorgung ist immer zu hören, gemeint ist aber lediglich eine Gewinneinbuße der Agrarwirtschaft. Die Konzerne der Agrochemie sagen genauer, um was es geht: Ertragssteigerung, Kosteneinsparungen, Einsparung mechanischer Arbeit, Ernteerleichterung, niedrige Arbeitserledigungskosten, Einsparungen an Dieselkraftstoff. (Anmerkung G. G.))

Die Sonne ist hinter dem Gutshaus verschwunden, die Glocken läuten zum Abend, Frau Dr. Schwaier schließt ihre Jacke und sagt: „Es gibt Verfahren in der landwirtschaftlichen Produktion, davon weiß man kaum was. Bis zum vorigen Jahr zum Beispiel durfte Getreide noch kurz vor der Ernte mit Glyphosat gespritzt werden und zwar zur ,Steuerung des Erntetermins‚. Das nennt sich Sikkation. Sozusagen durch Abtötung und Trocknung, wurden ,Reife‚und Ernte der Pflanze beschleunigt und zudem das Rausdreschen enorm erleichtert. Eklig, ja! Das war dann natürlich im Getreide drin und nachher im Brot. Es ist jetzt verboten, aber schon wieder mal mit Ausnahmen. Eine Anwendung zur Sikkation ist demnach noch dort erlaubt, wo das Getreide ungleichmäßig gereift ist oder nach einem Unwetter am Boden liegt. Jeder schlaue Bauer kann sagen, ja, diese Ausnahme liegt bei mir vor. Kontrollen finden nicht statt. Eine weitere Einsparung an Arbeit und Kosten gibt es durch die sogenannte ,pfluglose Bodenbearbeitung‚. Durch die ,pfluglose Bodenbearbeitung‚mit Glyphosat vor der Aussaat erspart sich der Bauer die mechanischen Arbeiten. Er muss nicht mehr pflügen, er mulcht. Und weil das ideale Keimbedingungen für das Unkraut schafft, spritzt man eben alles ,sauber‚mit Glyphosat. Das nennt sich ,saubere Saatbettzubereitung‚. Eine dritte Methode zur Optimierung von Arbeit und Ernte möchte ich noch nennen, das ist die ,Wuchshemmung‚. Verwendet werden sogenannte Halmverkürzer wie ,Moddus‚von der Firma Syngenta, sie zählen zu den Pestiziden und sind – laut Hersteller – unschädlich. Ihre Wirkungsweise besteht darin, dass sie das Halm-Streckenwachstum hemmen. Die Bauern nennen es ,kurzspritzen‚. Da das Stroh in Zeiten von Spaltböden als Einstreu nicht mehr gebraucht wird – nur Pferde bekommen noch Einstreu – und als Strohhalm zum Trinken auch nicht, kann man weitgehend darauf verzichten. Früher waren Getreidehalme etwa 1,20 Meter lang. Durch Halmverkürzer lassen sie sich um die Hälfte oder sogar mehr kürzen. Das Getreide, so die Bauern, steht stabiler, lässt sich besser mit dem Mähdrescher ernten und es bleiben weniger Rückstände, die eingearbeitet werden müssten.

Also das alles ist doch Wahnsinn! Die Entwicklung, die sich im Moment unübersehbar abspielt, ist geprägt durch eine erhöhte Sensibilität des gesamten Ökosystems gegenüber den Zumutungen der Industriestaaten. Katastrophen häufen sich – von atomaren Katastrophen wie in Tschernobyl und Fukushima hier einmal ganz abgesehen –, Gegenmaßnahmen werden immer teurer und werden immer weiter in die Zukunft verschleppt. Die Probleme sind bekannt, seit langem schon. Das Drama spielt sich vor aller Augen ab. Man kann es auch im Kleinen sehen. Was meinen Sie, weshalb die Lerchen sterben? Das sind Bodenbrüter, die vorwiegend von Insekten leben, und die finden nichts mehr zum Fressen. Genauso wie die Schwalben, die nichts mehr finden, um ihre Jungen zu füttern. Und so geht es immer weiter und schraubt sich in die Höhe, bis es eines Tages fraglich ist – selbst wenn man plötzlich aufhören würde – ob und in welcher Zeit, sich das alles wieder aufbauen könnte. Es ist ein so massives Artensterben im Gange, dass Arten wahrscheinlich bald schon nicht mehr in der Diversität neu entstehen können – jedenfalls nicht in der Zeit, in der es den Menschen noch gibt. Das Einzige, wie wir aus diesem Desaster herauskommen können, ist, diese Geschäftemacherei auf Kosten der Gesundheit von Menschen, von Tieren und der gesamten Biosphäre schnellstens zu beenden und zu ersetzen durch eine lebensfreundliche und schonende Bewirtschaftung unserer Erde. Notwendig ist die Anwendung erneuerbarer Energie ebenso wie eine vollständige Umstellung auf ökologische Landwirtschaft. Das ist unabdingbar! Wir müssen zusammenarbeiten mit der Natur, nicht gegen die Natur.“