Die Wahrheit: Die Sofa-Lüge
Neue Technologien sollen private Daten überallhin senden. Mit „Smarter than you“ kann man ein richtiges Leben im falschen vorgaukeln.
Nach neuesten Meldungen hat Google zusammen mit Levi’s eine Hose entwickelt, die vor Gewichtszunahme warnt. „Die Technik gab es ja eigentlich schon“, lacht Computerfreak Hanno Burckhard und sein Bäuchlein wackelt fröhlich unter dem verwaschenen schwarzen T-Shirt, „wir nannten es ‚Gürtel‘. Aber ein alter Gürtel sendet seine Daten halt nicht in die Welt.“
Burckhard ist Mastermind und einziger Mitarbeiter von „Smarter than you“, einem Dienst, der die Datenspuren, die wir hinterlassen „optimiert“. „Ich mache aus Ihnen einen sportlichen Typen mit einem gesunden Lebensstil, ohne dass sie einen Handschlag dafür tun müssen“, sagt der blasse Unternehmer. Ihm zufolge warten die Krankenkassen sehnsüchtig auf den Tag, an dem sie endlich ihre Beiträge nach dem Lebensstil der einzelnen Mitglieder berechnen können. „Der Schritt vom Bonusheft zur Smart-Watch, die Ihr Bewegungsprofil und Ihre Körperdaten an die Krankenkasse sendet, ist nicht mehr weit“, meint der übergewichtige Hacker, der einen Dienst anbietet, der in Zukunft immer wichtiger werden dürfte: „Während Sie noch tief und fest schlafen, sendet Ihre Smart-Watch-Daten, die vorgaukeln, sie würden gerade zehn Kilometer joggen. Da sparen sie in Zukunft bei der Krankenkasse bares Geld.“
Das berühmte „Internet der Dinge“, da sind sich Trendforscher sicher, wird in den nächsten Jahren unser Leben verändern: Es bedeutet das endgültige Ende der Privatsphäre. Kühlschränke, Häuser, Autos, Fernseher, Uhren, Kaffeemaschinen, Waschvollautomaten, alle Geräte werden in Zukunft täglich wesentlich mehr Daten über uns produzieren und in die Welt schicken, als die Stasi in der gesamten Zeit ihrer Existenz zu sammeln imstande war. Wer sich dem verweigert und alte Kühlschränke benutzt, alte Autos fährt, seinen Fernseher nicht ans WLan anschließt, seine Wegstrecken nicht im Netz postet, macht sich erst recht verdächtig.
„Es kann also nicht darum gehen, keine Daten zu produzieren, sondern nur darum, selbst zu kontrollieren, welche Daten man produziert, indem man sie fälscht“, erklärt Burckhard. Und da kommt ‚Smarter than you‘ ins Spiel: „Der Kühlschrank gaukelt eine gesunde Ernährung vor, während wir Chips fressend auf dem Sofa liegen. Er ist auf Lüge programmiert und meldet statt Dosenbier und Tiefkühlpizzen, er sei voll mit Gemüsesmoothies und Bio-Putenbruststreifen.“
Der Service von „Smarter than you“ bezieht sich auf alle Bereiche, das wahre Leben kann von der durch Daten dokumentierten Lebensführung auf Wunsch komplett abgekoppelt werden. „Wir passen natürlich ihre Präsenz in den sozialen Medien an die Daten, die die smarten Dinge liefern an. Ich zeige ihnen gerne meinen Facebook-Account, vergleichen Sie mal: Vor ihnen sitzt ein dicklicher Zyniker mit einer Leidenschaft für Pizza, psychoaktive Drogen und Endzeitfilme aus den achtziger Jahren. Dieser hübsche Kerl im Netz hingegen ist mein ‚Daten-Ich‘. Dort sehen Sie meinen Arbeitsweg, den ich heute morgen um sieben, als der echte Hanno noch mit Restalkohol im Bett lag, mit dem Rad zurückgelegt habe. Durchschnittsgeschwindigkeit 21,3 km/h. Nicht übel, oder?“, meint er stolz.
„Dieser vegane Scheiß auf dem Foto ist mein Mittagessen, ich bin voll gespannt auf den nächsten Film mit Audrey Tautou und ich mache mir irre Sorgen um die Wale, und zwar nicht wegen meiner Thunfischpizza, haha! Hier mache ich einen billigen Witz über Angela Merkel. Insgesamt bin ich ein angepasstes, konsumfreudiges, sich über seinen hübschen Körper definierendes, widerliches, dummes Arschloch! Mein Gott, wie ich mich hasse!“ Kurz wirkt Burckhard ein wenig verstört, dann lacht er wieder. „Wenn ich mir Sie so anschaue, werde ich Sie wohl bald als Kunden begrüßen dürfen“, sagt er fröhlich.
Was passiert, wenn man mal zum Arzt muss?
„Ich optimiere natürlich auch Ihren Google-Suchverlauf: Malediven, Muskelkater, ein paar mehrheitsfähige Sexfantasien, na ja – und dementsprechend sieht dann eben auch Ihr Browserverlauf aus. Völlig unabhängig davon, was Sie kleiner Perversling wirklich gemacht haben. Ach übrigens, ich habe hier eine sprechende Smart-Barbie, die ich mit einem anderen Server verbunden und perfekt auf Dirty-Talk umprogrammiert habe. Und wenn ich ‚dirty‘ sage, meine ich ‚dirty‘, mein Freund, haben Sie vielleicht Interesse?“
Es ist schon faszinierend, was heutzutage alles machbar ist. Eine Frage bleibt allerdings, schließlich gibt es ja immer noch das wirkliche Leben: Was passiert, wenn man mal zum Arzt muss und der mit geübtem Blick feststellt, dass nicht der pumperlgesunde Adonis aus dem Datensatz vor ihm steht, sondern ein leicht schwabbeliger, kurzatmiger Typ, der offenbar dieselben Personalien besitzt?
„Tja, das ist eine gute Frage. Wir brauchen ein Netzwerk von Ärzten, die auf unserer Seite sind. Ärzte, die rauchen, die gern Drogen nehmen – aber das machen ja sowieso die meisten. Ich recherchiere da gerade, vor allem in den Nachtschichten der großen Krankenhäuser besteht ein großes Interesse an unseren Plänen. Warten Sie’s ab. Und: Viel Spaß mit Ihrer neuen Barbie.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“