Angebliche Gewalt gegen Polizei: Gorleben bekommt blauen Fleck

Polizei und Innenminister deuten größtenteils friedlichen Protest zur „Gewaltorgie“ um. Eine Initiative spricht von „aufgebauschten Ferndiagnosen“.

Sehen sich als Opfer gewalttätiger Attacken: Polizisten in Gorleben. Foto: dpa

GÖTTINGEN taz | Die Pressemitteilung las sich beinahe wie ein Frontbericht: Freitagnacht verbreitete die Polizeiinspektion Lüneburg, an den Gorlebener Atomanlagen habe es „massive Sachbeschädigungen und Angriffe auf Polizeibeamte“ gegeben. Ein Maschendrahtzaun sei auf 150 Metern Länge niedergerissen, Beamte seien „massiv mit Farbbeuteln beworfen“, ein Polizist sei im Gesicht verletzt worden. Demonstranten hätten Schilder, Schutzhütten, weitere Zäune und Einsatzfahrzeuge beschädigt.

„Mit Einbrechen der Dunkelheit griffen Randalierer Polizeibeamte massiv mit Pyrotechnik an“, heißt es weiter. „Parallel wurde an verschiedenen Stellen im angrenzenden Wald Feuer gelegt. Dieses sowie ein Brand im Eingangsbereich wurden durch die Polizei gelöscht.“

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) meldete sich tags darauf: „Das war purer Polizeihass und blinde Zerstörungswut ohne Rücksicht auf Verluste“, sagte er. Ganz bewusst sei mit Pyrotechnik auf die Beamten geschossen worden, um sie schwer zu verletzen. Die Polizei werde genau untersuchen, wer hinter der sehr gut organisierten Gewaltorgie stecke.

Was war geschehen? Tausende Besucher der “Kulturellen Landpartie“ feierten am Freitag ein politisches Volksfest im Gorlebener Wald. Kinder enterten das aufgebockte Greenpeace-Schiff „Beluga“, Robin Wood bot Kletterkurse an und die Bäuerliche Notgemeinschaft kostenlose Treckerfahrten, die „Meiselgeier“ spielten Rock aus den 70ern, Wendland-Bräu und Bio-Pizza wurden gereicht.

Frisbee und Feuertonne

Unter dem Beifall Umstehender entfernten einige Dutzend Aktivisten nachmittags einen Teil des Zaunes um das Erkundungsbergwerk, schoben später auch das Eisentor dahinter ein Stück zur Seite. Auf eine heranstürmende Gruppe junger Polizisten flogen Farbeier – ein einziger blauer Fleck an der Mauer zeugte später von dem Bombardement.

Hunderte flanierten entspannt über das Gelände, spielten Frisbee, jonglierten oder bemalten den dunklen Asphalt. Der erwähnte „Brand im Eingangsbereich“ war eine kleine Feuertonne, das Feuerwerk immerhin gab es – gezündet im Dunkeln von Unbekannten. Die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg weist Pistorius Äußerungen als „aufgebauschte Ferndiagnose“ zurück. Durch seine „verbale Gewaltorgie“ habe der Minister aber unfreiwillig den politischen Charakter der Veranstaltung betont.

„Gorleben ist immer noch Favorit bei der Endlagersuche“, so BI-Sprecher Wolfgang Ehmke, „und viele Menschen reiben sich daran, dass die Festung nicht zurückgebaut wird.“ Auf der anderen Seite legte die Gewerkschaft der Polizei noch einmal nach. Die Einsatzkräfte seien noch glimpflich davongekommen, so der GdP-Landesvorsitzende Dietmar Schilff, „denn insbesondere die massiven Angriffe mit Pyrotechnik auf Polizistinnen und Polizisten zeugen von einer erschreckenden Dimension der Gewalt“.

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