Hartz-IV-Sätze für Kinder: Mit Monatskarte und Nachhilfe

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müssen die Hartz-IV-Regelsätze neu berechnet werden. Das wird für Diskussionen sorgen. Was brauchen Kinder?

Brauchen Kinder Handys für den Familienkontakt? Die Debatte hat begonnen. Bild: dpa

Haben Kinder von Hartz-IV-Empfängern ein Recht auf Nachhilfeunterricht? Dürfen sie einen Goldhamster halten? Und wie viel darf die Monatskarte kosten? Diese Fragen werden in den kommenden Monaten voraussichtlich breite Debatten auslösen. Denn die Experten im Bundesarbeitsministerium müssen bis Ende des Jahres die Regelsätze für die Leistungsempfänger neu bestimmen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom Dienstag verlangt, die Regelsätze bis Ende des Jahres "nachvollziehbar" neu zu berechnen. Die Berechnungen müssen aus Daten der neuesten Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, der sogenannten EVS 2008, erstellt werden. Diese sollten im Herbst vorliegen, doch nun "muss es schneller gehen", sagt eine Sprecherin des Arbeitsministeriums.

Doch wird es nun mehr, nach der neuen Berechnung - besonders für die Kinder? Das ist die Frage.

Bisher werden die Verbrauchsdaten des ärmsten Fünftels der Alleinstehenden (ohne Hartz-IV-Empfänger) herangezogen, daraus dann mit Abschlägen der Hartz-IV-Regelsatz für einen Einpersonenhaushalt ermittelt und daraus dann der Regelsatz für Kinder abgeleitet. Das ist unzulässig, urteilte das Gericht.

Künftig müssen die Experten in der Bemessung der Regelsätze für die Kinder als Referenzgruppe zumindest das ärmste Fünftel unter den Paarhaushalten mit Kindern heranziehen. Dies hat die Bundesregierung in einer Sonderauswertung der Statistik im vergangenen Jahr bereits getan - und erhöhte in Folge dieser Berechnung bereits die Regelsätze für Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren seit dem 1. Juli 2009. Die Regelsätze für die anderen Altersgruppen befand die Bundesregierung als korrekt, so auch eine Antwort des Bundesarbeitsministeriums vom 2. Dezember 2009 auf eine Anfrage der Linken.

Doch das Bundesverfassungsgericht akzeptierte auch diese Rechnung nicht. Um nämlich vom Verbrauch des ärmsten Fünftels auf die Regelsätze zu kommen, machen die Statistiker Abschläge für die Güter, die ein Bedürftiger für das Existenzminimum angeblich nicht braucht. Diese Abschläge wurden aber nach der Referenzgruppe der Alleinstehenden berechnet und kindliche Belange dabei nicht berücksichtigt, rügte das Gericht.

Ein eigener Posten für "Bildungsausgaben" etwa fehlt. "Außerschulischer Unterricht in Sport und musischen Fächern wird in der Regelsatzrechnung ausgeklammert", bemängelt die Verteilungsforscherin Irene Becker. Auch Nachhilfeunterricht, Haustiere, ein Handy, das ja oft für Kinder für den Familienkontakt wichtig ist - all diese Ausgaben gelten bisher als "nicht regelsatzrelevant", obwohl auch niedrigverdienende Familien mit Kindern diese Güter haben.

Das Gericht rügte zudem die allzu mageren Berechnungen für die Verkehrsausgaben, die auch Erwachsene betreffen. Die Vergleichsgruppe, die oft ein eigenes Auto besitzt, gibt eher wenig Geld aus für U-Bahn-Fahrkarten. Hartz-IV-Empfänger brauchen mehr Geld für den öffentlichen Nahverkehr. Im Regelsatz ist aber mit Verweis auf die autofahrende Vergleichsgruppe nur wenig Geld für Fahrkarten vorgesehen.

Im Durchschnitt machten die nicht berücksichtigten Ausgaben bei einer dreiköpfigen Familie etwa 80 Euro im Monat aus, hat Becker errechnet.

Während die Politik die Regelleistungen bis Ende 2010 neu berechnen muss, wird bereits jetzt die Frage aktuell, ob Grundleistungsbezieher mit sofortiger Wirkung mehr Geld zur Deckung von sogenannten Härtefallen beantragen können.

Die Bundesagentur für Arbeit wies am Dienstag darauf hin, man werde sich "zeitnah mit dem Arbeitsministerium darauf verständigen", in welchen Härtefällen mehr bezahlt wird. Das Verfassungsgericht hatte festgestellt, Beziehern von Arbeitslosengeld II sei mit sofortiger Wirkung Geld für "atypische Bedarfslagen" zur Verfügung zu stellen. Konkrete Fälle benannte das Gericht nicht. Es stellte aber klar, es könne sich dabei nicht um "einmaligen Bedarf" handeln. Und: Sonderzahlungen "dürften nur in seltenen Fällen in Betracht kommen".

"Der Bedarf wird in jedem Einzelfall zu ermitteln sein", sagt Jutta Maurer, Sprecherin am Hessischen Landessozialgericht. Dort rechnet man damit, dass mehr Geld gewährt werden könnte, wenn ein Arzt regelmäßig Medikamente für notwendig erachtet, die nicht rezept-, aber apothekenpflichtig sind. Auch Fahrkosten könnten darunter fallen, zum Beispiel, wenn Personen, die auf dem Land wohnen, regelmäßig weite Strecken zu einer Behandlung zurücklegen müssen oder wenn - bei getrennt lebenden Eltern - ein Elternteil regelmäßig sein Kind besuchen will. Mehrausgaben für eine medizinisch notwendige Ernährung gelten aber beispielsweise nicht als Härtefall. Diese konnte auch bisher schon als "Mehrbedarf" gewährt werden.

Es sind heftige öffentliche Debatten über die Sozialleistungen zu erwarten - und Zündstoff auch für populistische Hetze.

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