Kolumne Bestellen und Versenden: Generalverdacht der Antideutschen

Die Antideutschen haben bei den Linksradikalen an Einfluss verloren. Spätestens jetzt zur Fußball-WM wird die antideutsche Option aber wieder hinreichend Resonanz finden.

Für die Antideutschen lauert hinter jeder schwarz-rot-goldenen Fahne lauere mindestens Nationalismus, wenn nicht Faschismus. Bild: reuters

Vor einer Woche erklärte Micha Brumlik an dieser Stelle, er sei kein Anhänger der Antideutschen. Die aber, sagte mir jetzt ein selbst ernannter Kenner der Szene, gäbe es eigentlich gar nicht mehr. Ein Indiz: Auf dem neuen Album von Egotronic seien keine Hymnen für israelisch beflaggte Raves nach der Bauart ihres Hits "Raven gegen Deutschland" mehr zu hören.

Die Antideutschen - oft als nicht vermittelbare "Sekte" oder "Narrentruppe" verschrien - mögen vielleicht im linksradikalen Milieu an Einfluss verloren haben, passé ist ihre Weltsicht deswegen noch lange nicht. Spätestens jetzt zur Fußball-WM wird die antideutsche Option wieder hinreichend Resonanz finden: Hinter der schwarz-rot-goldenen Bildsprache lauere mindestens Nationalismus, wenn nicht Faschismus, auch ein fröhlicher, fußballspezifischer Gebrauch der Nationalfarben könne die deutsche Kontinuität nicht unterbrechen. So in etwa lässt sich der einschlägige Generalverdacht zusammenfassen.

Tatsächlich reizt der Fußball-Nationalismus viele halbpolitischen Mitmenschen stärker zu antideutschen Reflexen als etwa Geschichtsrevisionismus aus CDU-Mündern, neonationalistische Bild-Hetze gegen Griechenland oder antiimperialistische Israelkritik aus der Linkspartei. Möglicherweise hat diese besondere Aversion mit der im Zusammenhang des sogenannten Party-Patriotismus oft erklingenden Ekelvokabel "unverkrampft" zu tun.

Trotzdem bin ich schon jetzt genervt von der Paranoia alarmierter Kokommentatoren, die aus dem Torgegröle den Prolog zum Pogrom heraushören. In dem Blumfeld-Song "Deutschland der Deutschen" zur WM 2006 brachte Jochen Distelmeyer dieses Reaktionsmuster prototypisch zum Ausdruck: "Jubel ertönt, das Spiel ist vorbei … Die Freude ist groß / Woran es auch liegt / Sie schwenken dazu ihre Fahnen / Es geht wieder los / Sie singen ihr Lied / Unschuldig wie einst die Ahnen", heißt es darin.

Dieses zunächst nicht unsympathische Gemaule enthält zugleich die Unannehmlichkeiten der antideutschen Position. "Es geht wieder los" verweist auf die Logik der Latenz, im Jubelfan schlummert die Barbarei. Und ohne empirischen Test wird dann gleich eine abgedichtete Volksgemeinschaft fantasiert, die sich ultrahomogen aus Nachkommen der Täter zusammensetzt ("Unschuldig wie einst die Ahnen"). Deutsche türkischer Herkunft gehören nicht dazu und erst recht nicht jüdische Deutsche! Leuten aus dem antideutschen Kontext ist deshalb zu Recht vorgehalten worden, ex negativo genau jene identitäre Zwangslogik fortzuschreiben, welche Gegenstand ihrer antifaschistischen Attacke ist. Das deutsche Kollektiv muss nicht nur sauber, sondern essenzialistisch rein imaginiert werden, damit die Binarität antideutsch vs. der Rest funktioniert.

Aus diesem Reinheitswahn folgt eine simple Authentizitäts-Unterstellung: Als 1a-Volkssubjekte können die jubelnden Fußballfans mit "ihren Fahnen" gar nichts anderes meinen als ein völkisches Deutschland. Die Fahne: ein eindeutiges und unerbittliches Signal aus den Untiefen des faschistoiden Triebhaushalts. Dass jemand die Nation als ideologische Konstruktion durchschaut haben könnte und die Fahne spielerisch benutzt, undenkbar. Und wenn schon: Aus Spaß wird in Deutschland immer Ernst, sagt die antideutsche Kontinuitätshypothese, jede noch so muntere Masse steht auf stand by für die faschistische Mobilisierung. "Sie machen mobil", heißt es im Blumfeld-Song. Der Antideutsche blickt hinter die demokratische Fassade, er ist ein Politplatoniker, der mehr schaut als andere. Anderes will er dafür gar nicht schauen.

Zur idealistisch abgedunkelten Wirklichkeit gehörte 2006 eine Gruppe schwarz-rot-gold geschminkter Israelis, die nach dem Spiel Deutschland gegen Argentinien am Brandenburger Tor feierte. Die, mit denen ich da auf der temporären Tribüne saß, waren keineswegs solche Israelis, die in Deutschland - aus dem Nahost-Zusammenhang gerissen, in den deutschen Entlastungsdiskurs geschmissen - als Stichwortgeber einer "legitimen Kritik" an der Politik Israels herbeigerufen werden. Es waren genau jene amtlichen Zionisten, mit denen Antideutsche "bedingungslos solidarisch" sind.

Aber egal, denn am liebsten thront die antideutsche Position sowieso unbehelligt über dem Geschehen. In vielen Texten aus dem antideutschen Umfeld flaniert das panhistorische Deutschtum denn auch längst wie ein Volksgeist ohne Körper um den Globus; spätestens seit 9/11 hat er sich angeblich im "Islamfaschismus" materialisiert. Warum sollte er sich also nicht unerwartet am Brandenburger Tor in einem gebrainwashten Israeli einnisten? Im Fußball ist alles möglich: Ob der Antideutsche mit dieser pathetischen Erklärung für den empirischen Störfall einverstanden wäre?

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Politikwissenschaftler, seit 2022 Referatsleiter im Leitungsstab der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Autor für verschiedene Publikationen. Er schrieb von 2009 bis 2016 die monatliche taz-Kolumne "Bestellen und Versenden", seither freier taz-Autor. Themen: Popmusik, Theorie, Ideologiekritik.

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