Kommentar Vergewaltigungs-Anzeigen: Die Schuld der Opfer

Ex-Generalstaatsanwalt Karge riet im Fernsehen Vergewaltigungsopfern pauschal davon ab, den Rechtsweg zu suchen. Das verdient sorgsame Berichterstattung.

Stellt der Promifaktor einen Malus da, gerade wenn es um Vergewaltigung geht? Das war die zentrale Frage der sonntagabendlichen Diskussionsrunde von Anne Will in Sachen "Kachelmann". Schon die Fragestellung ist Symptom einer fehlgeleiteten Debatte. Denn sie unterstellt, dass eine erkleckliche Anzahl von Opfern den Vorwurf der sexuellen Gewalt nur erhebt, um die bezichtigten Männer nachhaltig zu verletzen. Je prominenter, desto größer der Schaden.

Eine 2009 an der Londoner Metropolitan University erarbeitete europäische Vergleichsstudie zu sexueller Gewalt geht davon aus, dass es in Deutschland jährlich zu rund 3 Prozent Falschbezichtigungen kommt. Die Ziffer mag bei Prominenten höher liegen - doch auch das rechtfertigte mitnichten die in der Öffentlichkeit verbreitete Annahme, Frauen tätigten regelhaft unzuverlässige Aussagen und müssten daher besonders hart in die Mangel genommen werden.

Letzteres aber nun ist belegbare Praxis, weshalb der Ex-Generalstaatsanwalt Karge Frauen pauschal davon abriet, den Rechtsweg zu suchen. Als Staatsanwalt solle er so etwas zwar nicht sagen, aber: Die Frauen würden in einer Weise befragt - hätte er eine Tochter, er würde ihr diese Tortur nicht nahelegen. Das also war die Botschaft auf einem der besten TV-Sendeplätze: Frauen, egal was passiert ist, tut euch das nicht an. Hände weg von den Anzeigen wegen Vergewaltigung!

Wir schreiben das Jahr 2010, und die Rede von zunehmender Gleichberechtigung und starken Frauen ist allgegenwärtig. Doch kommt es hart auf hart, können Opfer - und das sind zu 90 Prozent Frauen - nicht damit rechnen, dass Polizei, Justiz und die Medien mit ihren jeweiligen Mitteln einen angemessenen Opferschutz gewährleisten und damit eine faire Ermittlung ermöglichen.

Dieses verdrängte Unrecht verdient eine sorgsame Berichterstattung. Zudem überlässt ein solcher Fokus es der richtigen Institution, die Schuldfrage zu klären: dem Gericht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.