Kommentar Revolution in Libyen: Libyen brennt, Europa versagt

Die EU bietet im Fall Libyen ein groteskes Schauspiel. Sie überlässt dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi das Wort, der das brutale Vorgehen nicht verurteilt.

Die EU bietet angesichts der Lage in Libyen ein groteskes Schauspiel. Sie überlässt dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi das Wort. Er werde das Vorgehen der libyschen Regierung gegen die Proteste nicht verurteilen, lässt der Medienzar verlauten. Ungestört schürt er Ängste, die Stichworte kommen von seinem guten Freund, dem libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi sowie dessen Sohn. Dieser droht damit, die Grenzen zu öffnen, wenn die EU sich gegen ihn stelle.

Nur zögerlich werden in der Union andere Stimmen laut. Sanktionen wird es keine geben. Dabei handelt es sich bei Gaddafis Repression gegen die Proteste längst nicht mehr um herkömmliche Menschenrechtsverletzungen. Die wenigen Bilder und Berichte, die aus dem isolierten Land kommen, zeigen eine Reaktion des Regimes, die nur noch mit dem Begriff Verbrechen gegen die Menschlichkeit beschrieben werden kann. Dennoch scheint der EU der Schutz der Südgrenze und die Erdölversorgung, die Gaddafi verspricht, wichtiger als die gepriesenen demokratischen Prinzipien.

Bereits vergangenen Woche, als rund 5.000 Menschen aus Tunesien über das Mittelmeer nach Lampedusa kamen, durften Berlusconi und seine rechtslastigen Innen- und Außenminister unwidersprochen ihre demagogische Propaganda verbreiten. Italien befürchte 80.000 Flüchtlinge aus dem Land, das vor fünf Wochen Diktator Ben Ali stürzte und damit die Welle der Proteste in der arabischen Welt auslöste. Terrorkommandos würden sich daruntermischen. Tunesien stünde kurz vor dem Zusammenbruch.

Anstatt Berlusconi, der mit diesem Katastrophenszenario versucht, von seinem Prozess wegen sexueller Kontakte zu Minderjährigen abzulenken, in die Schranken zu weisen, griffen in der restlichen EU - auch in Deutschland - Politiker das Thema Tunesien auf, als kämen die Boote auf dem Alexanderplatz in Berlin an. Die Menschen auf der anderen Seite des Mittelmeeres suchen nach Freiheit und Demokratie. Und Europa lässt sie im Stich.

Nach Tunesien, Ägypten und Libyen wird nichts mehr sein, wie es war. Die EU hat nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie tritt mit den südlichen Nachbarn auf Augenhöhe in einen Dialog - eine echte Mittelmeerpartnerschaft -, oder sie riskiert, dass die junge Generation gänzlich mit uns bricht. Die Zeit zum Umdenken ist eigentlich schon abgelaufen.

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

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