Sperrstunde soll Touristen vertreiben: Kreuzberger Nächte werden kurz

Dieser Text erschien am 1. April 2011 in der taz Berlin. Dem Datum entsprechend ist die vermeldete Nachricht nicht ganz ernst zu nehmen, um nicht zu sagen: frei erfunden.

In Kreuzberg sind einfach zu viele Touristen auf der Straße Bild: Reuters

Schon zu Westberliner Zeiten war Kreuzberg die Partycouch der Republik. Möglich war das dank der Alliierten und ihrem Kontrollrat. Anders als in Restdeutschland galt in Westberlin keine Sperrstunde. Nun, da Berlin nicht mehr nur Partyhauptstadt Deutschlands, sondern ganz Europas ist, könnte die Sperrstunde ihre Wiederkehr feiern. Das zumindest haben die Kreuzberger und Friedrichshainer Grünen beschlossen.

Die Grünen fordern weder eine Partybremse für Kreuzberg noch Flüsterrollen für Rollkoffer. Dagegen besaßen sie die Größe, den taz-Aprilscherz kongenial zu kontern.

Das saß. Unsere Exklusivmeldung am 1. April über die Grünen-Pläne für eine Sperrstunde in Friedrichshain-Kreuzberg sorgte selbst in der taz vereinzelt für Entrüstung. Irgendwann fiel aber auch beim letzten Spätaufsteher der Groschen: Sowohl die Spaßbremsenoffensive des grünen Landeschefs Daniel Wesener als auch die ätzende Replik von Wirtschaftssenator Harald Wolf ("Erinnert an DDR-Zwangswirtschaft") waren April-Fantasien unseres Autors und entbehrten jeglichen Wahrheitsgehalts.

Dachten wir. Bis uns eine Pressemitteilung der Grünen erreichte, in der Wesener seine Forderungen noch präzisierte: Die Sperrstunde im Partybezirk solle ausgerechnet im taz-Café an der Rudi-Dutschke-Straße nicht um 24 Uhr, sondern bereits um 14 Uhr beginnen. Man reagiere damit auf "zahlreiche Anwohner-Beschwerden über taz-Journalisten, die bereits am frühen Nachmittag alkoholisiert die Nachbarschaft verlärmen".

Und die Grünen setzen noch eins drauf: Bezirksbürgermeister Franz Schulz, hieß es weiter, solle den "Rückbau" der legendären taz-Dachterrasse verfügt haben - um zu verhindern, dass die vom frühen Redaktionsschluss gelangweilten Redakteure ihre "Rauschpartys" vom Café auf die kleine grüne Oase mit Springer-Blick verlegten. Auf diesen Affront reagierte taz-Geschäftsführer Kalle Ruch mit beißender Häme. Schließlich goutierten auch ranghohe Grünen-Mitglieder das leckere Mittagsmenü im taz-Café. "Die glauben wohl, bis zur Sperrstunde um 14 Uhr gemütlich weiter bei uns essen zu können", so Ruch. Er denke nun über ein Hausverbot nach.

Es gab noch andere Versuche, die Leichtgläubigkeit von Medienkonsumenten auszunutzen: So behauptete die Berliner Zeitung, die "Goldelse" werde nach Abschluss der Siegessäulen-Sanierung gen Osten blicken - auf Wunsch der Linkspartei. Der Tagesspiegel berichtete über die Spitzenkandidatur Thilo Sarrazins für die Berliner FDP, und das RBB-Inforadio wartete am frühen Morgen mit der Sensation auf, Zoo und Tierpark würden räumlich fusionieren - auf dem Tempelhofer Feld.

Eher bemüht klang die Meldung aus der Senatskanzlei, Kulturstaatssekretär André Schmitz habe angeregt, die Kunst-Schau "Based in Berlin" ins Abgeordnetenhaus zu verlegen. Den Witz suchten wohl auch andere vergebens: Die Agenturen ließen den offiziösen Scherz links liegen. CLP

"Es ist unser letztes Mittel, aber es ist ein Mittel", sagte Daniel Wesener, seit Kurzem grüner Landeschef mit politischer Heimat Kreuzberg, am Donnerstag beim Redaktionsbesuch in der taz. Seitdem die Grünen Ende Februar zu einer Veranstaltung unter dem Motto "Hilfe, die Touris kommen" eingeladen hatten, wurden sie die Geister nicht mehr los. Die Touris allerdings auch nicht. "Seit den ersten warmen Tagen ist das Problem noch größer geworden", klagte Wesener. Rund um die Admiralbrücke habe es sogar schon einen Aufruf zur Bildung einer Bürgerwehr gegeben. Mit der Einführung einer Sperrstunde ab 24 Uhr in ausgewiesenen Zonen erhoffen sich die Grünen nun eine stärkere Regulierung der Touristenströme. "Spandau und Marzahn wollen schließlich auch was abhaben vom Kuchen", so Wesener.

Lange Zeit galt die Sperrstunde als Symbol bräsigen Spießertums. In Bayern war es verboten, vor bestimmten Feiertagen zu tanzen. Andernorts wurden mit der Sperrstunde die Bürgersteige vor den Kneipen um 23 Uhr hochgeklappt. Nach der Wende allerdings machte das Berliner Beispiel Schule. Zuerst hob Köln die Sperrstunde rund um den Karneval auf. In Bremen durfte dann während des Freimarkts rund um die Uhr getrunken wurden. Selbst Bayern zog 2005 nach. Seitdem muss man bundesweit die Orte suchen, in denen Kneipen zum Schutz der Nachtruhe um eine bestimmte Uhrzeit schließen müssen.

Dass nun ausgerechnet das bei Jung und Alt beliebte Kreuzberg seine Gäste vor die Tür setzen will, empört nicht nur Kneipenwirte. Auch Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) ist entsetzt. "Das erinnert doch sehr an die staatliche Zwangswirtschaft in der DDR", ätzt er in Richtung Grüne. Außerdem stelle sich die Frage, wer überhaupt die Einhaltung einer Sperrstunde kontrollieren soll. "Die meisten Mitarbeiter im Ordnungsamt sind doch schon mit der Parkraumbewirtschaftung überfordert", so Wolf.

Die Industrie- und Handelskammer (IHK) will sogar eine einstweilige Verfügung gegen den von den Kreuzbergern geplanten Antrag einreichen. "Hier steht nicht nur die Freiheit der Touristen auf dem Spiel, sondern auch die Gewerbefreiheit", sagt IHK-Chef Eric Schweitzer.

Die Berliner Grünen lassen sich von der Kritik nicht beeindrucken. "Soll Schweitzer doch mal ein Hostel neben seiner Privatwohnung bauen lassen", rät Wesener. Den Antrag auf die Einführung einer Sperrstunde will er in der nächsten Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einbringen.

Ganz mit der Wirtschaft wollen es sich die Ökos aber nicht verderben. Von der grünen Spitzenkandidatin Renate Künast war zu hören, dass man das Problem auch gemeinsam angehen könne. Sie forderte eine freiwillige Selbstverpflichtung der Hersteller von Rollkoffern. "Wenn wir da Flüsterrollen zur Pflicht machen können, wäre schon viel geholfen", hieß es aus Künasts Umgebung.

Dem Vorschlag kann auch IHK-Chef Eric Schweitzer etwas abgewinnen. "Das ist für mich Green Economy pur", sagte er.

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