Debatte Rechtspopulismus in Europa: Feindbild Europa

Mit Tiraden gegen "faule Südländer" und "Pleitegriechen" nutzen Rechtspopulisten die Eurokrise für sich. Dagegen ist schwer anzukommen.

Kein lustiger Zauberkistenscherz aus Österreich: Heinz Christian Strache, Chef der rechtspopulistischen FPÖ. Bild: ap

Vieles spricht dafür, dass wir in Europa gerade zu Zeugen einer historischen Zäsur werden: Wir erleben die zweite Etappe des Aufstiegs des Populismus.

In der ersten Etappe etablierte sich dieser Populismus als radikale Opposition. Er formulierte eine Minderheitenposition und positionierte sich als jene Kraft, die von der etablierten Politik und den etablierten Medien angefeindet wird. In der zweiten Etappe erweitert er nun seine Kreise. Er verbindet sich mit Teilen des "gutbürgerlichen Milieus" und wird in manchen politischen Fragen hegemonial. In nicht wenigen europäischen Ländern sind wir jetzt mitten in dieser Phase.

In Dänemark und den Niederlanden stützen rechtspopulistische Parteien ganz offiziell die dortigen konservativen Regierungen. In Frankreich gilt als möglich, dass die neue Chefin des Front National, Marine Le Pen, wie vor knapp zehn Jahren schon ihr Vater Jean-Marie Le Pen, in die Stichwahl um die Präsidentschaft einzieht, und in Österreich liegt die rechtsradikale Freiheitliche Partei von Heinz-Christian Strache in manchen Umfragen mit 29 Prozent bereits an erster Stelle. Und selbst in Deutschland, wo das populistische Ressentiment nicht politisch repräsentiert ist, prägen Bestsellerautoren und Krawallmedien die Stimmung: gegen Ausländer, gegen "die Politiker" und die faulen Südländer, die "uns" auf der Tasche liegen.

Um zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, muss man erstens begreifen, wie Populismus funktioniert. Und zweitens, was sich in den vergangenen Monaten verändert hat.

Die da oben, wir da unten

Zunächst verdankt der Rechtspopulismus seinen Aufstieg recht simpler Ausländerfeindlichkeit. Aber von Anfang an wird das xenophobe Ressentiment in einen spezifisch populistischen Argumentationsmodus eingebettet, der ein bestimmtes Setting etabliert: Wir da unten, ihr da oben. "Wir haben ja die Probleme mit den Ausländern, wir leben ja mit denen zusammen. Unsere Kinder gehen ja in Kindergärten, wo alle Ahmed und Ayse heißen. Die wohnen ja in anderen Wohnvierteln", heißt es dann. Oder: Die Politiker und die liberalen Eliten schwingen nur schöne Reden oder reden um den heißen Brei herum. Und wenn mal jemand die Wahrheit sagt, dann wird ihm das Wort verboten."

Mit dieser Rhetorik schwingen sich populistische Parteiführer und Boulevardzeitungen zu den Fürsprechern der "einfachen Leute" auf. Man muss, wenn man den Aufstieg des Populismus verstehen will, begreifen, dass nicht Xenophobie allein dafür verantwortlich ist, sondern eben ein spezifisch populistischer Modus, in den die Xenophobie eingefügt wird.

Wesentlich dafür, dass es dem Populismus gelungen ist, breitere Kreise zu ziehen, war die Transformation von "Ausländerfeindlichkeit" in "Islamfeindlichkeit". Während Ausländerfeindlichkeit in breiten (bildungs-) bürgerlichen und christlichen Milieus tabuisiert war, wurde dieses Tabu brüchig, sobald es sich islamkritisch bemäntelte. Plötzlich konnte man sogar im Namen der Aufklärung gegen bestimmte Einwanderer sein.

Der antieuropäische Affekt

In den vergangenen Wochen und Monaten ist aber noch etwas hinzugekommen, was die Sache nun wirklich gefährlich macht: Im Zusammenhang mit den Rettungsschirmen für die südeuropäischen Länder und Irland wurde der antieuropäische Affekt angefeuert. Das Anti-EU-Ressentiment und die Klage über "die abgehobenen Eurokraten" war immer schon ein Element des Rechtspopulismus, aber sicher nicht das Wichtigste. Das hat sich in den letzten Monaten geändert.

"Wir müssen für die faulen Griechen, Spanier, Portugiesen bezahlen", so trommeln die Populisten. Es ist ein Thema, das zieht. Es gibt Grund für die Annahme, dass die überwiegende Mehrheit der Bürger die Meinung der Populisten teilt. Und es ist vor allem nicht leicht erkennbar, wie man dieser Argumentation den Wind aus den Segeln nehmen soll. Denn um gegen solche Parolen zu argumentierten, muss man volkswirtschaftliche und globale Zusammenhänge ins Feld führen, die ausgesprochen kompliziert sind.

Zum Beispiel dass die Griechen, Spanier und Portugiesen nicht "über ihre Verhältnisse" gelebt haben, sondern dass ihre Probleme mit den wirtschaftlichen Ungleichgewichten der Eurozone zusammenhängen. Dass, zweitens, die Staatsschuldenkrise eine Folge der Finanzkrise ist - und die haben nicht die Staaten, sondern die Finanzinstitutionen verursacht. Dass man drittens die Banken retten musste, was zwar nicht gerecht ist, aber wozu es keine vernünftige Alternative gab. Und, viertens, dass auch die Rettungsschirme für Griechenland & Co. ja keine Griechenrettungsprogramme, sondern in Wirklichkeit Bankenrettungsprogramme sind - also Programme zur Rettung jener deutschen, französischen und sonstigen Anleger, die griechische Staatsanleihen halten.

Auf zur Meinungsführerschaft

Selbst wenn man, mit viel Mühe, mit dieser Argumentation durchkäme - ein Rechtspopulist würden sofort erwidern: "Na bitte, das ist ja noch schöner: Der fleißige kleine Mann muss mit seinen Steuern nicht nur faule Griechen, sondern auch reiche Anleger und böse Banker retten." Denn Rechtspopulisten reden heute in einem Moment wie chauvinistische Nationalisten, um im nächsten wie etwas simple linke Sozialkritiker zu klingen.

Gegen dieses populistische Narrativ haben linke, liberale und christdemokratische Politiker noch kein Mittel und keine überzeugende Erzählung gefunden. Man muss das in seinem ganzen Ernst begreifen: Es besteht die Gefahr, dass der Rechtspopulismus den Protest gegen die finanziellen Belastungen in den reicheren Ländern Europas monopolisiert.

Dagegen sollte man sich schleunigst etwas einfallen lassen - sonst wird aus dem "Friedensprojekt" Europäische Union eine übel gelaunte Gemeinschaft, in der sich alle wechselseitig ankeifen. Die Schwierigkeiten, die auch Folge einer falsch aufgesetzten Währungsunion sind, können nicht durch weniger, sondern nur durch mehr Europa gelöst werden. Wie so oft werfen die Populisten ein paar richtige Fragen auf. Aber sie geben darauf, wie stets, die falschen Antworten. Denn Abschottung und Rückfall in die nationalistische Kleinstaaterei sind keine Lösung.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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