Debatte Linkspartei: Die Sache mit dem Schal

Die Linkspartei muss sich gegen Antisemitismus-Vorwürfe wehren. Nun gibt es einen Fraktionsbeschluss - der das Problem aber auch nicht komplett aus der Welt schafft.

Mühsam: Die Linke sucht einen Weg aus der Antisemitismus-Debatte. Bild: dpad

Mit einer Erklärung hat die Linkspartei im Bundestag jetzt auf den Vorwurf reagiert, sich nicht genügend von antisemitischen Positionen abzugrenzen. In einem Fraktionsbeschluss distanzierte sie sich von jenen Stimmen zum Nahostkonflikt, die zum Boykott israelischer Produkte oder zum Teilnahme an der diesjährigen "Gaza-Flottille" aufrufen oder die eine Einstaatenlösung für Palästina und Israel fordern.

Nach den medialen Angriffen der letzten Wochen sucht die Parteiführung nun offenbar Halt in abstrakten Standardfloskeln und Formelkompromissen, die den deutschen Nahostdiskurs seit jeher prägen.

Entzündet hatte sich die Debatte um einen angeblichen Antisemitismus in der Linkspartei zuletzt an einer "Studie" mit dem Titel "Antisemiten als Koalitionspartner?" des Politologen Samuel Salzborn und des Historikers Sebastian Voigt. Diese Studie ist schlicht eine politische Kampfschrift, die grundlegenden wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügt.

ist Soziologe und Kulturwissenschaftler an der Uni Leipzig. 2008 veröffentlichte er das Buch "Die Linke, Israel und Palästina" (Dietz), eine Studie über linke Nahost- und Antisemitismusdiskurse in Deutschland und Großbritannien.

Ein eindeutig antisemitischer Text, der unter dubiosen Umständen auf einer Webseite der Duisburger Linken gefunden wurde, ein Schal, der eine Nahostkarte ohne Israel zeigte, sowie der Ruf nach einem Israel-Boykott, der von Linke-Politikern unterstützt wurde - all diese Vorfälle verallgemeinern die Autoren auf mehr als fahrlässige Weise und ziehen daraus den Schluss, der "antizionistische Antisemitismus" sei in der Linken zu einer "weitgehend konsensfähigen Position geworden".

Alle Argumente, Fakten und Personen, die nicht in dieses Zerrbild passen, werden von den Autoren ignoriert oder kleingeredet. Sogar eindeutige Beschlüsse der Parteigremien, die der These von Salzborn und Vogt widersprechen, werden verschwiegen. Die differenzierten Kriterien, mit denen die Autoren Antisemitismus diagnostizieren wollen, wenden sie im Text nicht an, vielmehr setzen sie auf bloße moralische Empörung.

Für Gespräche mit der Hamas

Den Gipfel des vorgeblichen Antisemitismus in der Linkspartei erblicken sie etwa in der Forderung einiger Linke-Politiker, politische Gespräche auch mit der Hamas zu führen. Das hat zwar nichts mit einer Solidarisierung mit der Hamas und deren antisemitischen Programmatik zu tun, sondern folgt der schlichten Einsicht, dass die Hamas als relevante Konfliktpartei nun einmal nicht ignoriert werden kann.

Eine Einsicht, die auch 24 ehemalige Regierungschefs, Außenminister und andere Politiker aus Europa und dem Rest der Welt gewinnen mussten, die sich in einem offenen Brief an US-Außenmisterin Hillary Clinton und an die EU gewandt haben.

Obwohl die Vorwürfe, die von Salzborn und Vogt gegen die Linkspartei vorgebracht wurden, zum Teil haltlos oder irreführend sind, wurden sie kürzlich sogar zum Aufhänger einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Dort forderte der SPD-Abgeordnete Christian Lange die Linkspartei dazu auf, endlich das Existenzrecht Israels anzuerkennen.

Dass sie dies längst mehrfach getan hat, focht ihn nicht an. Ähnlich tendenziös argumentierte die Frankfurter Rundschau, als sie einem Linke-Politiker eine "antisemitische Entgleisung" vorwarf. Was hatte der getan? Er hatte erklärt, Israels Anspruch, zugleich jüdisch und demokratisch sein zu wollen, sei ein Widerspruch in sich. Wer aber wollte das ernsthaft bestreiten? Daher rührt schließlich die Ungleichbehandlung der arabischen Minderheit in Israel. Diese zu kritisieren bedeutet noch lange nicht, das Existenzrecht Israels zu bestreiten.

Blind für den rationalen Kern

Leider tritt die Gegenseite in der Debatte auch nicht immer besser auf. So weist Norman Paech, Völkerrechtler und Ex-Linke-Abgeordneter, in der jungen Welt zwar gekonnt und mit guten Argumenten und Belegen alle gegen die Linke erhobenen Vorwürfe zurück. Was er jedoch fast zwanghaft vermeidet, ist, die Vorwürfe auch nur einen Moment ernst zu nehmen. Dabei könnte es ja sein, dass die Debatte trotz aller falschen Vorwürfe einen rationalen Kern hat, über den nachzudenken sich lohnen könnte.

Paradigmatisch dafür steht der Schal, mit dem die Linke-Abgeordnete Inge Höger auf einer "Palästina-Konferenz" abgelichtet wurde. Norman Paech argumentiert, in Israel gäbe es genau die gleichen Karten mit exakt den gleichen Grenzen, nur dass sie die Überschrift "Israel" trügen.

Das mag richtig sein. Aber Paech verzichtet leichten Herzens darauf, zu fragen, was ein solches Bild wohl bei jüdischen Betrachtern auszulösen vermag - eine Deutsche mit einem Schal, auf dem Israel symbolisch von der Landkarte getilgt wurde. Höger ist deshalb noch keine Antisemitin. Aber sie bewegt sich in einer Grauzone der Palästinasolidarität, die zum Antisemitismus anschlussfähig ist - ein entscheidender Unterschied, den Salzborn und Vogt nicht zu kennen scheinen.

Eigenartige Koalitionen

Dass manche Politiker der Linkspartei eine historische Sensibilität vermissen lassen, wenn sie sich in dieser Grauzone bewegen, hat damit zu tun, dass sich beim Nahostkonflikt längst verhärtete Fronten und eigenartige Koalitionen gebildet haben. Engagement gegen Antisemitismus geht nicht nur in Deutschland oft mit einer einseitigen Parteinahme für Israel einher.

Viele Kritiker Israels hingegen neigen dazu, Antisemitismusvorwürfe zu bagatellisieren. Das mag angesichts ritualisierter falscher Vorwürfe erklärlich sein - richtig ist es deswegen noch lange nicht.

Engagiert gegen die israelische Besatzung einzutreten und klar gegen jeden Antisemitismus Stellung zu beziehen fällt manchen offenbar schwer. Zweifelhaft ist, ob die Linksfraktion das Problem administrativ lösen kann, indem sie Verhaltensregeln vorgibt. Diese suggerieren eine Eindeutigkeit, wo es keine Eindeutigkeit gibt. Sie ersetzen aber keine innerparteiliche Debatte und Reflexion.

Schlimmer noch: Mit ihrer prinzipiellen Distanzierung von einer Einstaatenlösung erweckt sie den Eindruck, diese Forderung an sich sei bereits antisemitisch. Mag sein, dass auch radikale Israelfeinde sie erheben können - andererseits ist sie im Nahen Osten längst eine Art Realität. Und eine Welt, die sich nicht nach Nationen und Religionen unterteilt, darf ja weiter ein Ziel fortschrittlichen Engagements sein, solange dabei die Rechte aller gewahrt bleiben.

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