Berliner Mietenpolitik: Alles Schmu!

Das Thema Gentrifizierung ist nicht nur im Wahlkampf angekommen, sondern auch in den Wahlprogrammen der Parteien. Doch wie glaubwürdig sind Senat und Opposition wirklich?

Bei der Demonstration gegen Mieterhöhungen Anfang September Bild: dpa

Wohnungsneubau

Ups, es fehlen Wohnungen! Wundern kann sich über diese späte Erkenntnis nur, wer Ingeborg Junge-Reyer (SPD) Glauben schenkte. Die Stadtentwicklungssenatorin hat bis zuletzt auf den Leerstand von 100.000 Wohnungen hingewiesen und von einem entspannten Wohnungsmarkt gesprochen. So verging viel Zeit, in der man neue Konzepte für eine soziale Neubaupolitik hätte entwickeln können.

Stattdessen hat der Senat das Thema Neubau den Investoren überlassen - und die bauen, wenn überhaupt, Luxuswohnungen. Nun aber sollen plötzlich 6.000 Wohnungen pro Jahr her, auch für Bedürftige und Mittelschichten. Das ist der Wunsch.

Und so sieht die Realität aus: In Pankow will die Gesobau nächstes Jahr mit dem Bau von 270 Wohnungen beginnen. Die Durchschnittsmiete soll 9 bis 10 Euro pro Quadratmeter netto kalt betragen.

Sieht so das neue soziale Bauen aus? Ja, wenn man nur auf die landeseigenen Gesellschaften setzt. Warum aber soll es nicht auch verbilligte oder kostenlose Grundstücke für Baugemeinschaften und Genossenschaften geben? Warum experimentiert man nicht mit Quersubventionierungen? Nötig wäre die Neuerfindung des Mietshauses des 19. Jahrhunderts, in dem alle Schichten der Bevölkerung leben.

Fazit des Senats: Wer Neubaumieten von 10 Euro sozial nennt, hat den Blick auf die Realität verloren.

Opposition: Die Grünen wollen mehr Initiative von unten.

Wohnungsgesellschaften

Für Rot-Rot sind die sechs landeseigenen Gesellschaften mit ihren 270.000 Wohnungen das wichtigste Instrument der Wohnungspolitik. Der Wunsch: Durch eine kluge und zurückhaltende Preispolitik sollen Degewo und Co. dämpfend auf die Mietpreisentwicklung einwirken. Das soll nicht nur bei Bestandsmietern gelten, sondern auch im Fall von Neuvermietungen.

Und das ist die Wirklichkeit: Ende August überraschten die Wohnungsbaugesellschaften mit der Ankündigung, die Mieten in 19.000 Wohnungen um durchschnittlich 2 Prozent erhöhen zu wollen. Natürlich war die SPD verärgert.

Nur: Mit bloßen Appellen, das hat zuletzt der Howoge-Ausschuss gezeigt, kommt man bei den landeseigenen Gesellschaften nicht weiter. Gefragt sind klare Anweisungen. Doch dazu müsste der Senat erst einmal definieren, was er unter einer "mietdämpfenden Praxis" versteht.

Und noch etwas könnte man den landeseigenen Gesellschaften an die Hand geben: Wenn sie schon auf billigen Senatsgrundstücken neu und teuer bauen dürfen, muss der sogenannte Sickereffekt sichergestellt sein. Wenn also eine günstige Wohnung frei wird, weil sich der Mieter eine neue Wohnung der gleichen Gesellschaft leisten kann, dann darf es bei der günstigen Wohnung keinen Neuvermietungszuschlag geben.

Fazit des Senats: Die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollen es richten. Mehr als Staat können die Sozialdemokraten bis heute nicht.

Opposition: Die Grünen wollen künftig am Stadtrand mehr Bedürftige in den landeseigenen Gesellschaften unterbringen. Die sollen dafür in der Innenstadt mehr zulangen dürfen. Damit würde aber die Armut weiter an den Rand gedrängt.

Zweckentfremdung

Keiner weiß, wie viele Ferienwohnungen es in Berlin tatsächlich gibt, aber jeder Tourist weiß, wie er eine mieten kann. Das ist gut für die Berlinbesucher und schlecht für die Berlinerinnen und Berliner. Und es war lange Zeit kein Thema für den Senat.

Noch 2009 antwortete die Stadtentwicklungsverwaltung auf eine kleine Anfrage der CDU: "Der Senat sieht kaum Möglichkeiten, die Entwicklung durch Rechtsnormen zu kanalisieren."

Einem Zweckentfremdungsverbot, wie es die Grünen seit Langem fordern, erteilt Senatorin Junge-Reyer bis heute eine Absage. Sie verweist dabei auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes, das ein ähnliches Verbot kassiert hatte, weil in Berlin kein Wohnungsmangel mehr bestehe.

Dass der Wohungsmarkt in Berlin aber in viele Quartieren angespannt ist, hat den Senat bis heute nicht zum Umlenken gebracht. Dabei müsste man nur den Wohnungsmarkt in Teilräume aufteilen und für die besonders betroffenen Stadtteile eine angespannte Wohnungssituation feststellen.

Fazit des Senats: Die SPD duckt sich weg, die Linken tun, als wären sie in der Opposition und nicht im Senat.

Opposition: Die Grünen fordern seit Langem die Wiedereinführung der sogenannten Zweckentfremdungsverbotsverordnung. Andere Städte wie Hamburg unter Schwarz-Grün haben vorgemacht, dass es geht.

Neuvermietungen

Okay, nicht für alles kann man dem Senat die Schuld geben. Dass die Mieten vor allem bei der Neuvermietung explodieren, ist die Schuld der Bundespolitik. Mietrecht ist Bundesrecht, und in diesem Mietrecht fehlt bislang eine Kappung der sogenannten Neuvermietungsmieten. Geregelt ist nur die Mietentwicklung bei bestehenden Mietverhältnissen: Sie dürfen innerhalb von drei Jahren um 20 Prozent steigen - wenn der Mietspiegel das zulässt.

Nun verweist der Senat gern auf eine Bundesratsinitiative, die das ändern soll. Allerdings steht Schwarz-Gelb im Bund nicht im Verdacht, besonders mieterfreundlich zu sein.

So wird sich also nichts an der Preisspirale ändern. Bereits von 2009 bis 2011 sind die Mieten um 7,9 Prozent gestiegen. Bei Neuvermietungen sind inzwischen 10 Euro pro Quadratmeter keine Seltenheit mehr. Diese Mietenexplosion wird sich auch im nächsten Mietspiegel niederschlagen.

Fazit des Senats: Rot-Rot verkauft eine Bundesratsinitiative als Erfolg, die keinen Erfolg haben wird. Das grenzt an Wählerverdummung.

Opposition: aufseiten des Senats. Der grüne Abgeordnete Otto fordert die Berliner auf, im Zweifel auf einen Umzug zu verzichten.

Umwandlung

Nicht nur mit steigenden Mietern werden Bewohner vertrieben, sondern auch durch die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Hier hat der Senat kurz vor der Wahl reagiert. Eine alte Verordnung, die den Schutz vor Eigenbedarfskündigungen von drei auf sieben Jahre verlängerte, wurde von vier auf sechs Bezirke ausgeweitet.

Das Ganze hat die SPD dann noch als Großtat verkauft, dabei sind andere Städte längst weiter. Dort gilt die Schutzfrist zehn Jahre. Doch die von der SPD geführte Stadtentwicklungsverwaltung hat, wie immer, Angst vor den Gerichten. Lieber einen Schritt zu wenig als einen zu viel, lautet die Devise. Das gilt auch für ein weiteres Instrument, das in anderen Städten erprobt wird: den Genehmigungsvorbehalt bei Umwandlung in bestimmten Quartieren mit Wohnungsnot.

Fazit des Senats: Gut ist die SPD nur darin, das Mindeste als soziale Wohltat zu verkaufen. Die Linke wäre gerne weiter gegangen.

Opposition: Die Grünen würden gern den ganzen Instrumentenkasten auspacken. Zumindest sagen sie es als Oppositionspartei.

Wohnraum für Hartz IV

Auch die Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger haben es schwer. Erst im Juli wurde durch Statistiken belegt, was lange zuvor bereits vermutet worden war: Sie werden wegen steigender Mieten aus den Innenstadtbezirken in die Randbezirke verdrängt. Zunehmend müssen sie von Friedrichshain-Kreuzberg, Pankow und Mitte nach Spandau und Marzahn-Hellersdorf ziehen.

Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) hatte deshalb eine Erhöhung der Kosten der Unterkunft gefordert. Richtwerte legen dabei den maximalen Zuschuss zur Miete fest.

Diese Richtwerte waren für Einpersonenhaushalte seit 2008, für Mehrpersonenhaushalte sogar seit 2005 nicht angepasst worden. Laut Bluhm sollte für Menschen in Einpersonenhaushalten der Richtwert von 378 Euro auf 390 Euro steigen. Die SPD-geführten Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Finanzen berechneten den neuen Richtwert anders. Sie wollten ihn sogar auf 370 Euro absenken und erst ab Dreipersonenhaushalten ansteigen lassen.

Fazit des Senats: Kurz vor der Wahl wollte die Linke doch endlich mal aktiv werden. Doch die SPD wollte nicht einmal Stellung beziehen.

Opposition: Die Grünen fordern, die Richtwerte regionalisiert nach Bezirken und nach Sanierungsstand zu erhöhen.

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