Debatte Frauen: Der Trend geht zur "Designermöse"

Immer mehr Frauen und Mädchen lassen sich "untenrum" optimieren. Diese neuen Schönheitsoperationen ruinieren das Frauenbild.

Gerade erst haben wir unser dreißigjähriges Jubiläum begangen und gefeiert, was in dieser Zeit gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen erreicht wurden. Dass sich heute zunehmend Frauen einer Intimoperation unterziehen, werten wir hingegen als herben Rückschlag für das Frauenbild unserer Gesellschaft.

Mit "Intimoperation" sind die "ästhetische" Modifikation der Schamlippen sowie die Hymen-"Rekonstruktion" gemeint. Von chirurgischen Maßnahmen zur Geschlechtsangleichung wird hier nichts zu lesen sein. Das vorweg, um Missverständnisse zu vermeiden.

Bis vor Kurzem stand der Intimbereich nicht zur Disposition für chirurgische Veränderung. Während Gesicht, Busen, Bauch und Oberschenkel immer mehr oder weniger den vermeintlich kritischen Blicken der Öffentlichkeit freigegeben sind, waren unsere Genitalien privat und damit in ihrer Einzigartigkeit genau so annehmbar wie wir selbst. Lustempfinden und Lustmachen, dazu ein paar physische Notwendigkeiten: Das war der Sinn unserer Vaginas und Klitorides. "Form followed function" - bis jetzt.

Intim hieß bislang auch privat

Das Schönheitsideal für unsere Genitalien, das die natürliche Vielfalt wie ein Kuriositätenkabinett erscheinen lässt, wurde durch Kunst und Pornografie geprägt. Die Definitionsmacht des männlichen Blicks ist eine Form von struktureller Gewalt, der sich zu beugen und für die zu bluten immer mehr Mädchen und Frauen bereit sind. Dass zumeist junge Mädchen entscheiden, dass sie "untenrum" nicht hübsch genug seien und bis zu 4.000 Euro dafür sparen, eine schmallippige, haarlose, farblich unauffällige, geschlossene und somit kindliche Designermöse wie aus dem Hause Mattel geschnitzt zu bekommen, ist traurig.

Dass ÄrztInnen aus diesem Wunsch Profit schlagen, den Anschein erwecken, dass ein Abtrennen von Schamlippen auch für die Patientin einer "Routine" gleichkommen könne und die Illusion erzeugen, eine nicht normierte Vagina sei eine Fehlbildung, ist katastrophal.

Doch sind die ÄrztInnen bei einer Schamlippenoperation nur ihren Kundinnen gegenüber verantwortlich. Bei einer Hymen-"Rekonstruktion" schaden die operierenden ÄrztInnen etlichen unbeteiligten Mädchen, Frauen, Familien und dem Frauenbild unserer Gesellschaft. Diese Operation wird nicht aus ästhetischen Gründen gewünscht und sollte somit nicht in die Kategorie der Schönheitsoperationen fallen.

Tatsächlich ist das Ziel dieses Eingriffs häufig, dass durch den Ausbau des Hymensaums die Vaginalöffnung verengt wird, wodurch beim nächsten Geschlechtsverkehr die Penetration zu einer inneren Verletzung führt und Blut aus dem Körper der Frau fließt. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Denn viele Frauen (operiert oder naturbelassen) bluten beim ersten Sex nicht.

Mythos der Jungfräulichkeit

Das Jungfernhäutchen öffnet sich normalerweise im Entwicklungsprozess eines Kindes und kann in diesem Zustand ein Leben lang intakt bleiben, wobei die Form und Ausdehnung individuell stark variiert. Durch eine Untersuchung des Jungfernhäutchens kann niemand mit Sicherheit sagen, ob eine Frau schon sexuellen Umgang hatte oder gar, welcher Art. Somit kann auch keine "Wiederherstellung" eines "Urzustands" vorgenommen werden. Jungfräulichkeit ist nicht körperlich manifestiert und dies macht die Hymen-"Rekonstruktion" zu einer Operation am Imaginären.

Durch die kulturelle Bedeutung von Jungfräulichkeit in einigen Familien ist der operative Eingriff aber auch Ventil für Todesangst und Verstärker von struktureller Gewalt: Wenn eine Frau befürchten muss, wegen einer blutfreien Hochzeitsnacht getötet zu werden und die Existenz ihrer Familie zu gefährden, wird sie alles unternehmen, um die Chancen auf eine schmerzhafte und zu Geweberissen führende Entjungferung zu erhöhen.

Gleiche Handlungsbereitschaft ist von den künftigen Ehemännern zu erwarten, wie bei einem Fall in Düsseldorf, bei dem die Mutter des Bräutigams mit den wenigen Tropfen Blut nach dem ersten Akt nicht zufrieden war, einen deutlicheren Beweis forderte und die jungvermählte Braut in der Hochzeitsnacht zahllose brutale Vergewaltigungen durchlitt.

LehrerInnen, aufgepasst!

Durch die Begriffe "Revirginisierung" oder "Hymenrekonstruktion" wird der Glaube bei Eltern bestärkt, die Jungfräulichkeit ihrer Tochter sei ein körperliches und messbares Merkmal, so dass sie dem blutigen Laken weiterhin eine überhöhte und biologisch nicht zu rechtfertigende Bedeutung beimessen.

Die Existenz und Verbreitung von Hymenoperationen ist nicht der Ausweg für junge Mädchen, die fürchten, dass ihnen ihre Jungfräulichkeit nicht geglaubt wird, sondern eine Gefahr für Leib und Leben aller Mädchen, deren Sexualität reglementiert wird! Frauen sind nur noch unmündige Körper, und die körperliche Reaktion auf Penetration soll "Beweise" für die Integrität der Frau liefern. Pseudowissenschaftliche Indizien werden zu Kronzeugen für alle, die über die Moral und das weitere Leben der jungen Frauen urteilen.

Dass ÄrztInnen dieses System stützen, widerspricht in unseren Augen dem Hippokratischen Eid und jedem medizinethischen Kodex. Denn durch die "Hilfe" im Einzelfall stärken MedizinerInnen, die es besser wissen, einen patriarchalen Mythos, der Frauen das Recht auf selbstbestimmte Sexualität abspricht. Alle, die nicht über den Mythos des Jungfernhäutchens aufklären, von Hymenoperationen abraten und Jungfräulichkeit als Scheinstatus entlarven, machen sich mitschuldig an einer frauendiskriminierenden Welt.

Wir von Terre des Femmes treten dafür ein, dass das Jungfernhäutchen überall im Sexualkundeunterricht thematisiert wird, eine sogenannte Rekonstruktion nur nach einer umfangreichen Beratung durch eine unabhängige Stelle erfolgen darf und die Bundesärztekammer einen kritischen Kodex zu diesen Operationen erlässt. Durch Aufklärung engagieren wir uns gegen den Mythos des Jungfernhäutchens.

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