Ermittler im Tatort Dortmund: Der Liebende von Pont Neuf

Am Sonntag läuft zum ersten Mal der neue „Tatort“ aus Dortmund. Einen der Ermittler spielt Stefan Konarske, der in Paris eine intime Audienz gab.

Stefan Konarske im neuen Tatort als Kommissar Kossik. Bild: wdr

Stefan Konarskes Flucht nach Frankreich beginnt mit einer Lüge. Er ist 16, als er Drochtersen/Assel, das Elbdorf bei Stade, verlassen will, wie seine Freundin, die es als Au-Pair in die USA zieht. Eine Trotzreaktion: „Wenn du für ein Jahr nach Amerika gehst, geh ich nach Frankreich.“ Dabei sei er ein „sehr ängstliches Kind“ gewesen, sagt er.

Seine Eltern lässt er in dem Glauben, er komme nach einem Jahr zurück, „dabei war für mich von Anfang an klar: Wenn ich gehe, dann für immer“. Als er in den Friseursalon seiner Mutter stürmt, um ihr von der Zusage seiner Gastfamilie zu erzählen, schickt die ihn mit Tränen in den Augen auf sein Zimmer. Offenbar ahnt die Mutter, dass sie ihren Sohn verloren hat – an eine Stadt, die Konarske 16 Jahre später längst zur zweiten Heimat geworden ist: Paris.

Hier wollen wir gemeinsam einen Tag verbringen, um Stefan Konarske ein wenig kennenzulernen. Denn in seiner ersten Heimat ermittelt der 32-Jährige ab Sonntag neben Jörg Hartmann, Anna Schudt und Aylin Tezel am neuen Dortmunder „Tatort“ und wird damit sehr bald auch denjenigen ein Begriff sein, die sich nicht für Theater interessieren.

Wir sitzen auf einer Terrasse auf der Rückseite des Nationaltheaters La Colline im 20. Bezirk. Hierher hat sich Konarske 2010 vor den Aufführungen von „Kampf des Negers und der Hunde“ von Bernard-Marie Koltès unter der Regie seines Mentors Michael Thalheimer zurückgezogen, um das Stück im Geiste durchzugehen.

Hier wäre ein schönes Grab

Um die Ecke liegt der größte Friedhof von Paris, Père Lachaise. Auch auf den schnurgeraden Kopfsteinpflasterwegen zwischen den imposanten Grabmälern war Konarske vor jeder Vorstellung anzutreffen. Was ihn an Paris so fasziniert? „Ich liebe die Vielfalt der Stadt mit ihrer großen Poesie und die französische Sprache“, antwortet er, „und ich ziehe aus Paris ganz viel Inspiration, ich kann das gar nicht beschreiben, aber es beflügelt mich.“

Als wir am blumengeschmückten Grab des Spiritisten Allan Kardec vorbeikommen, sorgt sich Konarske über die „möglichen Entwicklungen, die mit dem ’Tatort‘ einhergehen“: Wie verändert die neue Bekanntheit sein Leben? Und ist das nicht erst recht ein Grund, richtig nach Paris zu ziehen? Er sucht eine Wohnung. Im Moment pendelt er zwischen München, Berlin und Hamburg, in Paris ist er Dauergast bei einem Freund.

Am Ausgang gucken wir noch kurz auf den Friedhofsplan: Morrison, Proust, Chopin, Callas, Piaf – die Liste der hier zur letzten Ruhe Gebetteten ist beeindruckend. „Wer weiß, wer weiß“, sagt Konarske. „Das wäre auf jeden Fall ein Platz, wo auch ich mich …, nicht freiwillig, aber …“

In der Rue Saint-Maur im 11. Bezirk, seiner Lieblingsstraße, wohnt Stefan Konarskes bester Freund Camille Tanoh. Der ist nicht nur Schauspieler, sondern auch Blogger, DJ und Schuhdesigner. In Schuhen von Tanoh läuft Konarske durch einen kleinen Park, guckt an den Häusern hoch und schwärmt: „Die Hängematte auf dem Balkon, der bröckelnde Putz, keine Touristen.“ Hier würde er sofort hinziehen.

In der Familie wurde geschwiegen

Was ihn mit Tanoh verbindet? „Wir stammen beide aus einfacheren Verhältnissen und haben erst spät zur Kunst gefunden.“ Er selbst habe mit 17 ein kulturelles Interesse entwickelt – durch die Schule, in der Hugo gelesen wurde und Rousseau, und durch seine Gastfamilie, in der sonntags stundenlang gegessen, getrunken, Musik gehört und diskutiert wurde.

Mit seinen engsten Freunden pflegt er dieses Ritual heute noch. „Diese Art des Austauschs kannte ich von zu Hause nicht“, sagt Konarske. „In der norddeutschen Familie, in der ich groß geworden bin, wurde sehr viel miteinander geschwiegen.“ Als Kind habe er sich isoliert gefühlt : „Ich war ein Fernsehjunkie.“

Pause im Le Bougnat an der Grenze vom 11. zum 3. Bezirk. „Ich muss mir mal die Hände waschen“, sagt Stefan Konarske, „das habe ich mir in dieser Stadt auch angewöhnt.“ Wie den Rotwein zum Mittagessen, dazu gibt es Entrecôte. Konarske mag das kleine Restaurant, weil es ihn „vom Charme her“ an das Haus seiner Gastfamilie erinnert, dieses Altmodisch-Französische mit den rot-weiß gepunkteten Plastiktischdecken.

Beim Espresso vor dem Le Progrès gleich um die Ecke erzählt er von den Dreharbeiten zum „Fünf Freunde“-Kinofilm nach Enid Blyton, in dem er neben Peter Lohmeyer und Oliver Korittke den Bösewicht gibt, und der Herausforderung, mit Kindern zu drehen: „Du musst auch im Off 150 Prozent geben, damit das Kind authentisch auf dich reagieren kann.“

Stefan Konarske nennt sich einen „Energiemenschen“ und entschuldigt sich dafür, dass er das E-Wort so oft sagt. „Die Energie ist so pur, die du von den Kindern zurückbekommst“, schwärmt er. Diese Gegenseitigkeit ist ihm wichtig: „Ich bin jemand, der sehr viel gibt. Wenn dann aber nichts zurückkommt, verschließe ich mich und kann sehr verletzend sein.“ Weil er sich schlecht behandelt fühlte, boykottiert er etwa seine einstige Stammpizzeria in Berlin.

„Soll ich dich am Jutebeutel führen?“

Konarske hat keine spürbare Scheu, über sich zu sprechen. Gestikulierend läuft er durch Paris, ich, wild in mein Notizbuch kritzelnd, halte kaum Schritt. Wir müssen ein drolliges Bild abgeben. „Soll ich dich an deinem Jutebeutel führen?“, bietet er an. Ich lehne dankend ab.

An der Place des Vosges erinnert er sich an seine ersten Erfahrungen als Schauspieler – in den Sommerferien, beim Kellnern in Drochtersen/Assel: „Ich war der kleine süße Blonde mit den blauen Augen und dem französischen Akzent.“ Auf dem Sterbebett soll ihm seine Oma eine Karriere als Schauspieler prophezeit haben. Wirklich? „Ja, ich weiß aber bis heute nicht, wie sie darauf gekommen ist.“

Konarske wollte damals Werbekaufmann werden oder Model-Booker. Auch als er längst ein Praktikum an einem Hamburger Privattheater machte, war es ihm noch suspekt, „warum sich erwachsene Menschen freiwillig zum Vollidioten machen.“ Bis er selbst in einer kleinen Rolle auf der Bühne stand. „Man veräußert sich und das Publikum reagiert darauf. Wunderbar.“

Er brauche seine Freiheit, sagt Konarske, deswegen habe er sein erstes Engagement am Deutschen Theater in Berlin nach vier Monaten gekündigt. „Die Diktatur des schwarzen Bretts, kein Mitspracherecht zu haben – das stört mich am Ensemblebetrieb.“ Seit 2011 ist er am Münchner Residenztheater, steht aber nur in zwei Inszenierungen pro Jahr auf der Bühne, um auch Zeit für anderes zu haben. Er sagt: „Ich will weiter, immer weiter, weiter.“

Mit dem Star auf dem Klo

„Voilà, le Pont Neuf!“ Konarske betritt die älteste Seinebrücke so pathetisch, als habe er das Ziel seiner Träume erreicht. Er zählt all die berühmten Gebäude ringsum auf, als wären sie Gebäckspezialitäten in der Auslage einer Pâtisserie. „Paris, das größte Bordell der Welt“, zitiert Konarske Koltès. „Man steht hier, guckt runter und ist erschlagen von der Schönheit der vielen Jahrhunderte.“ Hier habe er oft mit Michael Thalheimer gesessen und Backgammon gespielt.

Als er den Theaterstar zum ersten Mal getroffen hat – auf der Toilette der Berliner Ernst-Busch-Schauspielschule, wollte Konarske am liebsten weglaufen. „Es hat mich große Überwindung gekostet, mich der Situation zu stellen.“ Da ist sie wieder, die Furcht, die ihn schon als Kind plagte. Doch mittlerweile hat er sie im Griff – auch auf der Bühne: „Über den Punkt der Angst hinwegzugehen und zu merken: Es geht ja doch – das war für mich eine befreiende Erfahrung.“ Stefan Konarske hat sich für die Flucht nach vorn entschieden.

Über Thalheimer spricht er voller Begeisterung, ja Liebe: „Ich möchte Teil seiner Arbeit sein, weil sie mir so gefällt.“ In Thalheimers Inszenierung der „Orestie“ von Aischylos debütierte er am Deutschen Theater in Berlin und wurde von Theater heute gleich zum Nachwuchsschauspieler des Jahres 2007 gewählt.

Was er seither gelernt habe, sei, mit seinen Kräften zu haushalten: „Früher war die Schauspielerei eine große Leidenschaft, die mich zu verbrennen drohte, durch Erfahrung ist sie zu einer Berufung geworden, die ich heute mit geführter Hingabe ausüben kann.“

Nach einem Spaziergang am Fluss lassen wir uns im Jardin des Tuileries in zwei grüne Stahlstühle plumpsen. Endstation. Konarske erzählt, dass er ab morgen vier Wochen Schauspielunterricht in München gibt. Gemeinsam mit zwei Studenten wird er eine Szene aus der „Orestie“ erarbeiten.

„Dass jemand tut, was ich mir ausgedacht habe, könnte mich beglücken“, sagt Konarske, „das kann ich heute zum ersten Mal so aussprechen.“ „Inszenieren“ nenne er das aber nicht. „Ich bin kein Regisseur, noch nicht – vielleicht“, sagt Stefan Konarske und diktiert gleich noch mit, wo für ihn ein Komma hingehört und wo der Gedankenstrich.

Zu sehen ist Stefan Konarske als Polizeioberkommissar Daniel Kossikum ab Sonntag, 20.15 Uhr, in der ARD.
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