Manipulation bei Organspende: Die Tücke der Strafbarkeitslücke

Deutlich weniger Menschen sind bereit Organe zu spenden. Schuld ist die Manipulationen von Patientendaten. Trotzdem drohen den Ärzten keine Haftstrafen.

Hat Patient X Schaden genommen, ist er gar gestorben, weil Patient Y auf der Warteliste nach oben gerückt ist? Bild: mathias the dread / photocase.com

BERLIN taz | Angesichts der Manipulationen von Patientendaten an mehreren Kliniken für Organtransplantationen haben die ermittelnden Staatsanwaltschaften in München und Regensburg Erwartungen gedämpft, das ärztliche Fehlverhalten könne strafrechtlich geahndet werden.

„Wir gehen davon aus, dass die Datenveränderungen per se nicht strafbar sind“, sagte der Münchner Behördensprecher, Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch, der taz. Dieser Einschätzung schloss sich sein Kollege aus Regensburg an. Sprecher der Strafverfolgungsbehörden in Leipzig und Braunschweig mochten nur so weit gehen, eine „strafrechtliche Würdigung sei schwierig und aufwändig“.

Zwar seien die Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Münchner Uniklinikums rechts der Isar wie auch die Ermittlungen seiner Kollegen zu ähnlichen Verdachtsfällen an den Unikliniken von Göttingen, Regensburg und Leipzig noch nicht abgeschlossen. Doch ob es jemals zu Anklagen, geschweige denn Verurteilungen der Mediziner kommen werde, sei fraglich, erklärte der Münchner Oberstaatsanwalt Steinkraus-Koch.

Als Ordnungswidrigkeiten verbucht

Zu einer ähnlichen Prognose kam der Sprecher der Regensburger Strafverfolgungsbehörde, Wolfhard Meindl: „Wahrscheinlicher“ sei, dass die vertauschten Blutröhrchen, die manipulierten Urin- und Laborwerte sowie die falschen Angaben über vermeintlich erfolgte Dialysen schlussendlich als Ordnungswidrigkeiten verbucht würden.

Denn, bedauerte Steinkraus-Koch: „Wir haben hier eine Strafbarkeitslücke.“ Danach fehlen offenbar schlicht Paragrafen, die es ermöglichen würden, das zu fassen, was in der Öffentlichkeit gemeinhin als schwerwiegender ärztlicher Betrug an Patienten wahrgenommen wird – und bereits zu einem massiven Vertrauensverlust in die Organspende und Transplantationsmedizin geführt hat: Erst zu Wochenanfang meldete die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), im Jahr 2012 seien die Organspenden um fast 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken.

Lediglich Organhandel ist strafbar

Ein Trend, der sich fortsetzen könnte, sollten die Manipulationen unsanktioniert bleiben. Genau dies sei aber möglich, erklärten nun die Staatsanwaltssprecher Steinkraus-Koch und Meindl: So sei nach dem Transplantationsgesetz lediglich der Organhandel strafbar. Um den aber gehe es nachweislich nicht; die bisherigen Hinweise deuteten vielmehr darauf hin, dass Ärzte zwar dafür sorgten, dass Patienten bei der Organvergabe bevorzugt wurden, indem sie sie kränker machten, als sie eigentlich waren.

Geld sollen sie hierfür von den Patienten allerdings nicht kassiert haben. Auch handele es sich „weder um Urkundenfälschung noch um Veränderungen im Datenverarbeitungsprozess“, sagte Steinkraus-Koch.

Und selbst wenn die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte die Manipulationen als „gefälschte ärztliche Atteste“ werten wollten, sei dies nicht strafbar. Der Grund: Attestiert wurden die gefälschten Daten weder gegenüber einer staatlichen Behörde noch einer Versicherungsgesellschaft, sondern lediglich der für die Organvergabe zuständigen Stiftung Eurotransplant, einer privatrechtlichen Stiftung also – und der gegenüber sind Falschaussagen nicht strafbar.

Möglicher Straftatbestand: Körperverletzung

Der einzig mögliche verbleibende Straftatbestand sei der der Körperverletzung. Steinkraus-Koch: „Hier aber stoßen wir auf das Problem der strafrechtlichen Kausalität: Hat wirklich Patient X Schaden genommen, ist er gar gestorben, weil Patient Y auf der Warteliste nach oben gerückt ist?“ Ein solcher direkter Zusammenhang sei bei der Vielzahl der Fälle kaum nachweisbar.

Seit dem Sommer sind mehr als 100 Manipulationsfälle durch Ärzte an vier Unikliniken bekannt geworden – sie führten dazu, dass einzelne Patienten auf der Warteliste schneller nach oben rückten und so ein Organ erhielten, das ihnen normalerweise zu diesem Zeitpunkt gar nicht zugestanden hätte. Bislang sind 10 der insgesamt 47 Transplantationszentren in Deutschland überprüft worden.

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