Interview mit Schauspieldirektor Pit Holzwarth: "Stücke, die wir gut finden"

Lübecks Schauspieldirektor Pit Holzwarth will weder fürs Feuilleton arbeiten noch für eine festgelegte Klientel: Er sät inhaltliche Beschäftigung - und erntet ein ausgelastetes Haus

Pit Holzwarth Bild: Thorsten Wolff

taz: Herr Holzwarth, vor den Toren der norddeutschen Theaterhauptstadt Hamburg sich der Bühnenkunst widmen – was heißt das?

Pit Holzwarth: Auseinandersetzung. Ansporn! Wir arbeiten erfolgreich daran, die Lübecker zurückzuholen, die bisher nur in Hamburg ihr Theaterabonnement hatten. Obwohl die Leute die Chance haben, den Abend in einem Hamburger Theater zu verbringen, liegt die Auslastung bei uns zwischen 85 bis 90 Prozent, 2007 waren es im Schauspiel etwa 50 Prozent. Es kommen viele Hamburger inzwischen auch zu uns. Wenn unser „Ring“- und „Wagner-trifft-Mann“-Projekt nationale Anerkennung bekommt, qualitativ besser ist als Entsprechendes im Gravitationszentrum Hamburg, dann tut das der Lübecker Seele gut. Weil wir die deutlich kleinere Stadt sind, die wirtschaftlich so gar nicht, sehr wohl aber in Sachen Theater mithalten kann.

Jahrgang 1956, war zwölf Jahre lang Direktoriumsmitglied, Regisseur und Autor der Bremer Shakespeare Company. Er ist seit der Spielzeit 2007/2008 Schauspieldirektor des Theaters Lübeck. Als freier Regisseur arbeitete er unter anderem in Heidelberg, Mannheim und Saarbrücken.

Warum reisen Theaterfreunde von der Elbe an die Trave?

Wir haben andere Stoffe, ein starkes Ensemble – und bei uns sind junge, innovative Regisseure zu erleben, die gerade auf dem Sprung in die großen Häuser sind, wie Gustav Rueb, Katrin Lindner, Anna Bergmann, Marco Storman …

Zusammen mit Willy Daum kreieren Sie regelmäßig biografische Liederabende – geradezu Blockbuster fürs Große Haus.

Ich suche seit meinen Bremer Shakespeare-Company-Zeiten die Verknüpfung von Musik und Sprechtheater, um eine andere Form von Energie auf der Bühne zu finden: wichtige Themen mit musikalischer Emotionalisierung verknüpfen. Und da wir heute andere Helden als etwa Agamemnon haben, stehen bei uns unter anderem Rio Reiser, Edith Piaf oder Johnny Cash im Mittelpunkt. Die Zuschauer nehmen das begeistert an, weil die Figuren nicht nur durch ihre Lieder, sondern schon durch ihre Biografie was zu erzählen haben.

Mit Thomas Mann haben Sie ja den idealen Vorlagengeber, um in Lübeck etwas über Lübeck zu produzieren – für Lübecker und Lübeck-Touristen.

In der nächsten Saison werden wir Heinrich Manns „Der blaue Engel“ auf die Bühne bringen. Wir haben kein Problem damit, wenn kunstinteressierte Touristen unser Theater füllen.

Erstmals spielen Sie mit „Winterreise“ ein Stück von Elfriede Jelinek. Ist das mutig – oder ein Zeichen für jahrelange Mutlosigkeit?

Wenn für Sie mutig bedeutet, die Theater leer zu spielen, dann sind wir sicher entschieden mutloser als andere Häuser gewesen. Wir haben bisher immer sehr authentische Spielpläne gemacht.

Authentisch?

Das heißt, wir haben das gemacht, worauf wir Lust hatten und wovon wir dachten, es sei gut für die Stadt. Und jetzt hatten wir einen Punkt erreicht, wo wir dachten, Jelinek sei richtig für den Spielplan. Vielleicht war es gut, diese Form von Dramatik bisher auszusparen, so dass jetzt eine Gier auf andere Formen vorhanden ist, die Vorstellungen jedenfalls sind sehr gut besucht.

Die Bedürfnisse wecken, indem man Besuchern etwas ganz lange vorenthält?

Es ergab sich einfach. Es gilt weiterhin: Wir machen kein Uraufführungstheater, kein Feuilletontheater, sondern Stücke, die uns inhaltlich interessieren und die wir gut finden.

Also nicht nur klassischen Kanon?

Filmdrehbücher spielen wir, weil wir die Themen und Figuren oft aktueller finden als in der zeitgenössischen Dramatik. Wir haben die Theaterfassung von Pedro Almodóvars Film „Alles über meine Mutter“ gespielt. Nächste Saison vielleicht Rainer Werner Fassbinder. Ich liebe die großen Stoffe, die großen Erzählungen. Sie sind sicherlich ein wichtiger Teil unseres Erfolgskonzeptes.

Überregional punkten kann man ja nicht gerade mit einer Fassung von „Anna Karenina“, die von Berlin bis Oldenburg schon inszeniert wurde. Auch Joseph Roths „Hiob“ hat Triumphe hinter sich …

Sehr wohl kann man mit starken Inszenierungen dieser Stücke punkten. Ich finde sie inhaltlich toll, deswegen machen wir die. Das ganze Team steht dahinter. Und im Mittelpunkt das Ensemble.

Das sagt jeder Intendant.

Das ist aber oft nicht so. Wir in Lübeck entwickeln einen Spielplan mit guten Rollen für alle Ensemblemitglieder, und so müssen immer Stücke sterben, obwohl ich dafür brenne, wenn ich weiß, dass dann drei Schauspielerinnen nicht ausreichend gute Spielmöglichkeiten bekämen. Ensemble sticht immer Thema. Und das zahlen unsere Schauspieler mit großer Spielfreude zurück.

Lübeck hat 215.000 Einwohner, das Theater pro Saison knapp 180.000 Besucher. Wie geht das?

Szenetheater machen, eine bestimmte Spielstilistik durchdrücken: Das geht in Hamburg, das lassen wir in Lübeck – und stellen uns mit einem breit gefächerten Angebot auf. Und die Leute kommen dann auch aus dem Umland, viele mit Bussen. Auch unsere Jugendarbeit ist erfolgreich. Die Theaterpädagogik und unsere Schauspieler leiten acht Jugendclubs, die Aufführungen entwickeln, die wir teilweise regulär ins Programm aufnehmen. Und die Jugendlichen, die mal mit einem Darsteller einen Workshop, eine Inszenierung, ein Kampftraining gemacht haben, wollen dann die auch auf der Bühne sehen und kommen in die Vorstellungen: Die Zahl der Jugendabos hat sich in den letzten Jahren mehr als verdoppelt haben, etwa 650 haben wir jetzt, das merkt man auch in den Vorstellungen.

Und bei Projekten in der Stadt?

Wir haben von Anfang an gesagt: Wir gehen nicht raus. Wir spielen im Theater. Wir wollen die Leute zurück in unser Haus holen.

Lübeck, so will’s das Klischee, ist zutiefst bürgerlich, also ideal fürs Theatermachen. Wie kann es da zu Insolvenzszenarien und einer nicht enden wollenden Finanzierungs- und Legitimationskrise kommen?

Der Schein trügt. Lübeck ist enorm verschuldet, hat große soziale Probleme, hohe Arbeitslosigkeit. Aber es gibt trotz allem noch ein intaktes Bildungsbürgertum, von dem das Theater stark profitiert.

Chronische Unterfinanzierung, steigende Kosten, gedeckelte Zuwendungen des Landes – ist es in Lübeck wie überall?

Der große Unterschied: Wir sind immerhin bis Ende dieser Spielzeit abgesichert. Gerade auch, weil die Stadt antizyklisch gehandelt und ihrer Zuschüsse von 6,6 auf 7 Millionen Euro erhöht hat. Jetzt kommt aber die die 6,5-prozentige Tarifsteigerung im öffentlichen Dienst, das können wir nicht selbst erwirtschaften.

Sie haben ihren Vertrag bis 2017 verlängert – mit welchen Perspektiven?

Wir arbeiten gerade mit dem Theater Kiel und dem Landestheater Schleswig-Holstein an einer Strategie, das Land zu überzeugen, dass die Zuwendungen den erwarteten Lohnsteigerungen angepasst werden.

Gibt es aufgrund der zunehmend knapper werdenden Mittel weniger Kunst?

Ich musste den Kürzungen am Beginn meiner Tätigkeit in Lübeck zustimmen, das Ensemble von 19 auf 17 Schauspieler verkleinern, aber der künstlerische Etat ist noch genauso hoch wie 2007, das ist das Minimum für gute Qualität, da sind wir nie drangegangen. Ich habe beispielsweise kontinuierlich 120.000 Euro für die Ausstattung für die zwölf Premieren der Saison. Das Schauspielhaus Hamburg hat da einen bedeutend höheren Ausstattungsetat, in manchen Produktionen übersteigt er ein Vielfaches unseres Budgets.

Also produzieren Sie nicht für immer weniger Geld immer mehr?

Richtig. Ich habe ein anderes Konzept von der Shakespeare Company Bremen mitgebracht: Weniger produzieren, dafür mehr Ressourcen in die einzelnen Produktionen geben, die wir dann auch nicht nur zwölf-mal spielen, wie vor meiner Zeit hier, sondern 18- bis 26-mal. Sogar Übernahmen, derzeit sechs, in die nächste Saison sind möglich, so dass wir inzwischen ein richtiges Repertoiretheater haben. „Rio Reiser – Der Kampf ums Paradies“ läuft schon in der dritten Spielzeit. Das spricht für sich.

Lübeck vermarktet sich als Wohlfühlhauptstadt. Ist Ihr Haus das Wohlfühltheater?

Unser Ensemble kommt ja von vielerorts, liebt es aber, hier zu leben. Die Lebensqualität hier ist enorm gut. Zum Wohlfühlen. Und Theater gehört zur Lebenskunst, Leute haben Anspruch auf gute Unterhaltung im Theater, sich dort also wohlzufühlen. Das bieten wir.

Es gibt ja auch Publikum, das gerade nicht das zu Erwartende genießen und überrascht angeregt, herausgefordert werden möchte.

Bei uns arbeiten nur Regisseure, die aus dem Kern des Stückes heraus ihre Inszenierung erarbeiten, sie wollen wirklich die Geschichte erzählen und suchen dafür nach Formen, das finde ich toll. Das finde ich vielfach in Hamburg nicht, dazu sage ich: viel modisch coole Verpackung, oft wenig Inhalt. Das ist das, was wir definitiv nicht wollen: Klienteltheater. Davon grenzen wir uns ab. Unser Ziel ist, eine wirkliche vielfältige Stilistik und sehr unterschiedliche Regiehandschriften zu vereinen.

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