Gewaltschutzgesetz in Deutschland: Aus Angst Brutalität ertragen
Seit das Gewaltschutzgesetz gilt, können sich Frauen gegen häusliche Gewalt wehren. Doch gerade Mütter können ihr oft nicht entkommen.
BERLIN taz | Er schlägt sie. Aber sie geht nicht zur Polizei. Sie belügt den Arzt, wenn der ihre Verletzungen behandelt. Sie vertuscht die Gewalt ihres Mannes vor den Freundinnen, vor den Kollegen und vor allem vor den Kindern. Warum?
Seit das Gewaltschutzgesetz in Deutschland vor zehn Jahren in Kraft trat, können sich Frauen erfolgreich gegen häusliche Gewalt wehren. Sie können den Schläger aus der Wohnung weisen und ihm verbieten lassen, sich ihr zu nähern, sie anzurufen, ihr Mails zu schreiben. Laut einer Studie des Familienministeriums geht häusliche Gewalt überwiegend von Männern aus.
„Das Gewaltschutzgesetz ist ein Erfolg“, sagt die Berliner Psychologin Katja Grieger. Und schränkt sogleich ein: „Kinderlose Frauen sind heute gut geschützt, Mütter sind es nicht.“ Die Leiterin des Bundesverbands Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe kennt viele Fälle, bei denen Frauen aus Angst um ihre Kinder die Gewalt ertragen oder – wenn sie den Täter angezeigt haben – der Brutalität dennoch nicht entkommen können.
Wenn nicht eindeutig nachgewiesen ist, dass sich der prügelnde Mann nicht auch an seinen Kindern vergreift, muss die Mutter den Umgang des Vaters mit seinen Kindern zulassen. Es gilt das Credo: Ein prügelnder Mann muss noch lange kein schlechter Vater sein.
„Streikt! Tanzt! Steht auf!“ Unter diesem Motto ruft ein Bündnis von Aktivistinnen am heutigen 14. Februar weltweit Frauen dazu auf, „der Welt zu zeigen, dass wir der Gewalt gegen eine Milliarde Frauen und Mädchen ein Ende setzen wollen“, wie es auf der Webseite der Aktion heißt.
„Jede 3. Frau weltweit war bereits Opfer von Gewalt, wurde geschlagen, zu sexuellem Kontakt gezwungen, vergewaltigt oder in anderer Form misshandelt“, erklärt das Netzwerk. „Jede 3. Frau, das sind eine Milliarde Frauen.“
„One Billion Rising“ ist eine Aktion des Frauennetzwerks V-Day, das vor genau 15 Jahren, am Valentinstag 1998, von der US-Feministin Eve Ensler gegründet wurde. In Deutschland sind für den heutigen Aktionstag mehr als 195 Veranstaltungen angekündigt. (dj)
Mütter am häufigsten Gewaltbetroffen
Katrin Hille, Psychotherapeutin und Fachberaterin beim Frauennotruf Göttingen, kritisiert das: „Solange die gängige Praxis die Rechte aus dem Gewaltschutzgesetz dem Umgangsrecht der Eltern unterordnet, wird die Wirkung der Schutzmaßnahmen gewaltbetroffener Frauen und deren Kindern laufend unterhöhlt.“ Der Anteil der Mütter macht mit rund siebzig Prozent den größten Teil der Gewaltbetroffenen aus.
Es ist ein Fall bekannt, bei dem ein gewalttätiger Vater Umgang mit seinen Kindern haben durfte. Bei einem seiner Besuche vergewaltigte er die Mutter im Beisein des Kleinkindes. Danach ordneten die Richter begleiteten Umgang an – jetzt sieht der Vater das Kind, wenn jemand vom Jugendamt dabei ist.
Warum stößt das Gesetz hier an seine Grenzen? Manche Beraterinnen der Frauenhäuser und -notrufe vermuten, dass etliche Jugendämter sehr vorsichtig geworden sind im Umgang mit gewalttätigen Männern. Seit Väter in Deutschland mehr Rechte an ihren Kindern bekommen und Gerichte das gemeinsame Sorgerecht als Regelfall angemahnt haben, drängen RichterInnen vielfach auf „Einvernehmlichkeit und Mediation“: Eltern sollen sich um jeden Preis einigen. „Das ist bei häuslicher Gewalt der falsche Trend“, sagt Grieger.
Geheim gehaltene Wohorte nicht mehr geheim
Sie berichtet von Frauen, die bei der Übergabe der Kinder erneut dem Druck des Schlägers ausgesetzt sind. Darüber hinaus würden zum Schutz der Frauen und Kinder geheim gehaltene neue Wohnorte bekannt. „Damit ist jeder Schutz hinfällig“, sagt sie.
Zahlreiche Studien belegen zudem, dass Männer, die ihre Partnerinnen misshandeln, auch ihren Kindern gegenüber Gewalt ausüben. Einer Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstuts Niedersachsen zufolge erleben nur rund fünf Prozent der Jugendlichen in Haushalten mit Gewalt diese nicht unmittelbar.
Was passieren kann, wenn Kinder regelmäßig Gewalt mitbekommen, berichten Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern: Da packt ein kleiner Junge seine Mutter am Hals, ein Mädchen schlägt in die Luft und schreit: „Dir werd ich's zeigen.“ Ein anderes Kind nässt ein und ruft im Schlaf: „Bitte nicht ins Gesicht.“
Gesetz nachbessern
Auf die Gefahr, dass das Gewaltschutzgesetz zum „Zweiklassenschutz“ mutieren könnte, wie Katja Grieger es nennt, haben schon vor seinem Inkrafttreten die Gewalt-Expertinnen Birgit Schweikert und Gesa Schirrmacher hingewiesen. Kinderschutz und Frauenschutz sollten „nicht mehr als zwei getrennte Wege angesehen“ werden, sondern „als zwei Seiten ein und derselben Medaille“, schreiben sie in einer Expertise für das Familienministerium.
Jetzt hat die Lobbyorganisation Deutscher Frauenrat die Bundesregierung aufgefordert, das Gewaltschutzgesetz nachzubessern: Gewalt und Nachstellung gegen eine Mutter müssten als Gefährdung des Kindeswohls anerkannt werden – auch in Fällen, in denen die Kinder nicht selbst von Gewalt betroffen sind.
Die Losung „Wer schlägt, der geht!“ müsse ergänzt werden durch den Satz: „Und kann seine Kinder erst dann wiedersehen, wenn er nachweislich gefährdendes Verhalten geändert hat.“
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