POLITISCHE KUNST: Ein subversives Märchen

Er sagt, alles sei Zufall, dabei sind etliche Bilder dezidiert politisch: Eine Hamburger Ausstellung zeigt die subversiven, seltsam traumverloren-surrealen Werke des Bremer Malers Norbert Schwontkowski.

Traum von der freundlichen Fabrik: Norbert Schwontkowskis Ölbild "Flamingo" von 2009 (Ausschnitt) Bild: Jochen Littkemann

HAMBURG taz | Und wenn man ihn in ein Reifenlager sperrte, würde er die Reifen malen. Sie sähen aus wie Schlangen und man dächte erst: Sie leben. Und dann: Der malt aber komische Sachen. Denn der Bremer Maler Norbert Schwontkowski, der auch an Hamburgs Hochschule für Bildende Künste lehrte und derzeit im dortigen Kunstverein ausstellt, hat sich fürs Gegenständliche entschieden. Er will Geschichten erzählen und das geht am besten so.

Außerdem ist er ein Handwerker: Er arbeitet gern mit dem Spachtel und mischt in der Faust Pigmente. Es dauert Stunden, den perfekten Untergrund hinzubekommen, der dann so kompakt ist wie Lehm und der obendrein Metalloxyde enthält, sodass sich die Farbe über Nacht verändern kann.

Dieser Folienfetischismus passt zu seinem Herkommen: Ein Gemälde des Malers Fra Angelico hat Schwontkowski einst zur Malerei gebracht. Fra Angelico war Bindeglied zwischen Mittelalter und Renaissance. Und auf mittelalterlichen Bildern ist ein abstrakter Bildgrund Pflicht.

Für Schwontkowski ist er ein erkenntnistheoretisches Instrument: Er habe zwar immer zuerst das Vordergrundmotiv im Kopf, sagt er. Das Gemälde beginnt er aber mit dem Hintergrund. Da fahndet er lange nach der richtigen Farbe und Konsistenz, um das Vordergrundmotiv einzuordnen in den Begriffs- und Verständniszusammenhang der Welt. Vielleicht auch in einen spirituellen, Schwontkowski wollte mal Priester werden.

Wenn er den Hintergrund endlich hat, kommt der Rest, kalligrafisch-flüchtig draufgetupft. Heraus kommt dann eine Fabrik wie auf dem Bild „Flamingo“: In fast überirdisch-mystischem Licht erscheint da, einem Märchenschloss gleich, eine Riesen-Raffinerie. Und ein Märchen ist es wirklich: das von der (umwelt-)freundlichen Fabrik, die – in einer schlauen Brechung des Sozialistischen Realismus – in eine lichte Zukunft weist.

Konterkariert wird die Vision durch Flamingos ganz vorn: Eigentlich Insignien der Poesie, sind sie hier zum Kontrapunkt mutiert. Denn wenn schon die Fabrik nicht schmutzig wirkt, dann sind es wenigstens die Vögel, in Ölig-Schwarz aufs Bild getropft. Sind sie Ölpest-Opfer?

Möglich, aber eigentlich wirkt das Bild wie ein surrealer Traum – wie alle Schwontkowski-Gemälde. In ihnen reflektiert er auch, ganz en passant, den Kunst- und Abstraktionsbegriff: Denn eigentlich ist diese Malerei nicht gegenständlich. Die Gegenstände sind zufällig, könnten auch andere sein; Form ändert sich ständig und das Drauftupfen und -tropfen suggeriert, dass die Farbe auch anders hätte fließen können.

„Kniefall vor der Abstraktion“ heißt folgerichtig ein anderes Bild, das in Hamburg programmatisch an den Eingang gehängt ist. Abgebildet ist ein Mensch mit Schafskopf und man weiß nicht: Ist der devote Betrachter das Schaf – oder der pflichtschuldigst abstrakt malende Künstler? Wird abstrakte Kunst überbewertet? Ist das überhaupt die richtige Frage? Letztlich ringt jeder Künstler ja mit Farbe und Form, und auch Schwontkowski malt nur weiter, „weil ich mit dem jeweils vorhergehenden Bild nicht zufrieden bin“.

Das heißt aber auch, dass das Gesamtwerk eine Gesamt-Erzählung ergibt und dass auch in der Hamburger Schau alle Bilder zusammenhängen. Ein Link sind dabei die immer braun-schwarz-grauen Farben, ein anderer die Umdeutung des Begriffs „Öl“. Denn zwar ist Schwontkowski kein schlichter „Öko-Maler“. Die Bilder der Hamburger Schau, enstanden zwischen 1999 und 2013, sind aber dezidiert politisch. Auf dem Bild „The Other Continent“ zum Beispiel prangen – wie in einer Museumsvitrine – afrikanische Masken: Insignien der immer noch kolonialistisch geprägten Rezeption dieses Kontinents. Noch bedeutsamer ist aber die Farbgebung: Ölig-schlammig-schwarz ist der Hintergrund dieses Gruselkabinetts und es liegt nahe, dabei an Shells Ölverschmutzung etwa in Nigeria zu denken. Ein süffisanter Kommentar also zum neuen Kolonialismus, der die Lebensgrundlage derer zerstört, deren Masken er mit wohligem Grusel ins Museum sperrt.

Zwei Schritte weiter hat Schwontkowski ölig-schwarze Hubschrauber auf mattgelben Hintergrund getropft. Sie sehen aus wie Kampfhubschrauber und das Bild heißt „Dicht am Boden“. Es entstand zwar schon 1999, aber die Ausstellung läuft parallel zur öffentlichen Diskussion über Kampfdrohnen bei der Bundeswehr. Ein Zufall, eine Leerstelle – aber um die geht es ja in der Kunst, die hier erfrischend direkt in den Alltag ragt.

Wer jetzt aber meint, Schwontkowski sei dauermelancholisch, der irrt: Es gibt durchaus den Weg ins Helle. Dann nämlich, wenn Schwontkowski den oben erwähnten Schuppen malt, der voller Reifen und öliger Schläuche ist. Abermals wird also das Öl zum ästhetischen Subjekt, aber das ist nicht die ganze Welt. Denn die Tür des Kabuffs steht offen und da fliegen helle Wolken im gleißenden Licht. Dort ist das Paradies, das spürt man, aber bevor man richtig froh wird, ahnt man, dass das eine Folie ist, eine Einbildung wie bei René Magritte.

Der spielte ja auch mit den Sphären des Unbewussten und in seiner Tradition steht Schwontkowski genauso wie in der Salvador Dalis und Max Ernsts, das zeigen Motivparallelen in seinen Bildern. Schwontkowski ist eine Art politischer Surrealist. Und die Hamburger Ausstellung ein angenehm subversives Märchen.

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